Ärger in der atlantischen »Wertegemeinschaft«

Ärger in der atlantischen »Wertegemeinschaft«

von Rainer Rupp

erschienen am 11.10.1997 in der Jungen Welt

Wer soll die NATO-Ost-Expansion bezahlen? Die USA wollen’s nicht

Kaum drei Monate sind vergangen, daß in Madrid mit großem Pomp die geplante Expansion der NATO nach Osten gefeiert wurde. Doch schon Anfang Oktober lagen sich die NATO-Verteidigungsminister in Maastricht in den Haaren: Es ging um die Finanzierung des Projekts.

Die USA wollen nur zwei Milliarden Dollar der – schöngerechnet – 35 Milliarden und kürzlich vom US- Außenministerium hochgerechneten 63 Milliarden aufbringen. Den Rest soll Europa übernehmen. Frankreich hat seinen Plan, der militärischen NATO-Struktur beizutreten, wieder fallengelassen. Das Bündnis sei »zu amerikanisiert.« Damit blieben die BRD, England und Italien als Hauptzahler. Diese Länder sehen jedoch angesichts ihrer Haushaltsmisere und der politischen Stimmung keine Chancen, das Geld aufzubringen, zumal nicht auszuschließen ist, daß neue Mitgliedsstaaten davon amerikanische Waffensysteme kaufen.

Wenn nicht die europäische, sondern die amerikanische Rüstungsindustrie profitiert, dann sind Konflikte in der atlantischen »Wertegemeinschaft« programmiert. Entsprechend lautstark war der Protest der europäischen Verteidigungsminister gegen den Vorhalt ihres US-Kollegen, daß es in der Allianz keine Trittbrettfahrer geben dürfe. Einige sagten, ihre Länder würden das Fünffache der US- Summen an Hilfe für Rußland, die Ukraine und Bosnien ausgeben. Das sei zwar Wirtschaftshilfe, würde nach dem Ende des Kalten Krieges aber die Sicherheit in Europa eher fördern als der Kauf neuer Panzer und Kampfflugzeuge aus den USA. Von einer »Aushöhlung der Allianz«, vor der US- Verteidigungsminister Cohen warnte, könne keine Rede sein.

Die Clinton-Regierung weigert sich, die hohen Kosten der NATO-Expansion zu übernehmen, weil sie den US-Senat günstig stimmen will. Denn die zur Ratifizierung der Expansion notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat ist nicht gesichert. So manche Senatoren fragen sich nach den langfristigen Kosten, befürchten die Verwässerung der Allianz und weisen auf ein Sicherheitsrisiko hin: Was passiert, wenn US-Truppen und Atomwaffen zur Verteidigung der neuen Mitglieder eingesetzt werden? Die Abstimmung findet voraussichtlich im März statt, und bis dahin wird sich zeigen, ob der alte Kommunistenfresser Jesse Helms – er will die NATO-Expansion von Europa bezahlt wissen und gegen das heutige Rußland gerichtet sehen – auch weiterhin das Zünglein an der Waage spielen kann. Sollte Helms seine Vorstellungen durchsetzen, dann ist sowohl NATO-interner Krach als auch ein neuer Konflikt zwischen Moskau und der Allianz programmiert.

Ernstzunehmende Kritik an der Ost-Expansion ist nur noch von liberalen Kreisen in den USA zu vernehmen. Mitte September hatte beispielsweise die angesehene »Washington Post« gewarnt, daß »die strukturelle Transformation der NATO zu einem Interventionsbündnis bereits stattfindet, was jedoch von der Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks kaum wahrgenommen wird«.

Die Bundeswehr liegt mit ihren neuen Interventionskräften, dem »Kommando Spezialkräfte«, und ihrer wachsenden Präsenz außerhalb der NATO voll im Trend. Schließlich soll sie die »vitalen Interessen Deutschlands«, zum Beispiel in der Rohstoffversorgung, militärisch sichern. Das ist im Weißbuch des Verteidigungsministeriums nachzulesen. Bald kann man das Ministerium offiziell in Kriegsministerium umbenennen.