Amerikanisches Störfeuer

Amerikanisches Störfeuer

von Rainer Rupp

erschienen am 12.06.1999 in der Jungen Welt

Warum sich Washington gegen ein Abkommen mit der jugoslawischen Führung stellte

Kapitulation Belgrads, Sieg für die NATO – so die gängige Interpretation des erzielten Verhandlungsabkommens über ein Ende des Krieges gegen Jugoslawien und die Stationierung internationaler Truppen im Kosovo. Das vom russischen Jugoslawien-Sonderbeauftragten Viktor Tschernomyrdin und dem EU-Unterhändler Martti Ahtisaari ausgearbeitete Abkommen war offiziell im Auftrag der G-8-Staaten mit der jugoslawischen Regierung ausgehandelt worden. Zwar enthält das Abkommen viele Textpassagen, die dem Rambouillet-Diktat der NATO entnommen sind, es unterscheidet sich aber von diesem doch auch in wesentlichen Punkten. Am meisten hat demnach die NATO zurückstecken müssen.

Unterschiede gibt es vor allem in der Frage der Truppenpräsenz. Die internationale Truppe kann nur im Kosovo und nicht in ganz Jugoslawien stationiert werden, wie im Besatzungsdiktat von Rambouillet noch vorgesehen war. Der Rambouillet-Text bestand zudem auf einer NATO-Truppe mit NATO-Kommando und -Kontrolle. Es war keine Oberaufsicht der UNO vorgesehen, vielmehr wurde der UN-Sicherheitsrat »eingeladen«, »eine Resolution unter Kapitel VII der UNO-Charta zu verabschieden, die die von der NATO gemachten Arrangements« für die Aufstellung einer NATO-Truppe nachträglich absegnet. Dem jetzigen Abkommen zufolge steht die internationale Kosovo-Truppe »unter UNO-Oberhoheit«. Die »internationale Sicherheitspräsenz« hat eine »bedeutende NATO-Beteiligung« und »ein einheitliches Kommando und einheitliche Kontrolle«. Zu dieser internationalen Sicherheitspräsenz zählen auch Soldaten aus Rußland und anderen Nicht-NATO-Staaten. Dieser Teil steckt noch voller Probleme.

Ein Beispiel für die fortbestehenden Unklarheiten ist der Aspekt der »einheitlichen Kommando- und Kontrollstruktur« der Militärkräfte im Kosovo. Die NATO beharrt darauf, daß – obwohl sie mit keinem Wort genannt wird – nur sie und nicht die UNO damit gemeint sein kann. Dagegen besteht Rußland weiter darauf, daß seine 10 000 Soldaten nicht unter einem NATO-Kommando stehen werden.

Nach dem Rambouillet-Text hätte die NATO »in ganz Jugoslawien ungehinderten und freien Zugang«. Im jetzigen Abkommen wird dagegen nur noch vom Kosovo und nicht mehr von ganz Jugoslawien gesprochen.

Rambouillet sah nur eine Interim-Autonomie für das Kosovo vor, der ein Referendum über die Unabhängigkeit der Provinz folgen sollte. Über dessen Ausgang bestanden angesichts der ethnischen Zusammensetzung keine Zweifel; es hätte praktisch die von der NATO betriebene Loslösung des Kosovo von Jugoslawien bedeutet. Das Abkommen von Ahtisaari und Tschernomyrdin spricht dagegen nur noch von »einer substantiellen Autonomie für die Bevölkerung im Kosovo innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien«. Ein zukünftiges Referendum wird nicht mehr erwähnt.

Rambouillet erlaubte allerdings mehreren tausend jugoslawischen Soldaten, im Kosovo zu bleiben. Das jetzige Abkommen beinhaltet hingegen einen »überprüfbaren Rückzug aller Militär-, Polizei- und paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo«. Erst nachdem der Rückzug abgeschlossen ist, darf eine »abgestimmte Zahl von jugoslawischen Soldaten (Hunderte, nicht Tausende) wieder in das Kosovo zurück«. Und das auch nur zu dem Zweck, die Verbindung zu den KFOR-Einheiten zu halten, Präsenz an den Grenzübergängen zu zeigen (als Symbol nationaler Souveränität über das Kosovo) und um nationale serbische Gedenkstätten zu schützen.

Während im Rambouillet-Text die terroristische »Kosovo- Befreiungsarmee« nicht einmal erwähnt wurde, wird im nun von Belgrad angenommenen Abkommen explizit »die Demilitarisierung der UCK« als »Teil des politischen Prozesses in Richtung einer vorläufigen politischen Übereinkunft« verlangt. Allerdings wird das Wort »Entwaffnung« nicht benutzt. »Demilitarisierung« scheint folglich zu bedeuten, daß die UCK schwere Waffen wie Panzer und Kanonen aufgibt, aber nicht die Kleinwaffen, was allerdings ohnehin kaum kontrollierbar wäre.

Schließlich soll das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und nicht die NATO die Rückkehr der Kosovo- Flüchtlinge überwachen.

Die Frage drängt sich auf, ob mit diplomatischem Geschick ein solcher »Friedensplan« nicht auch ohne das durch die NATO ausgelöste Blutvergießen hätte erreicht werden können. Zumal die Allianz jene humanitäre Katastrophe erst herbeiführte, die sie zu verhindern vorgab.

In Washington ist man mit der ganzen Entwicklung nicht sehr zufrieden. Ab einem bestimmten Punkt waren die Kontinental- Europäer dem harten, auf bedingungslose Kapitulation angelegten, aber sonst konzeptionslosen Kurs der USA nicht länger gefolgt. Der diplomatische Durchbruch von Ahtisaari und Tschernomyrdin war ein europäischer Erfolg über die USA und die von ihr geführte NATO. In den darauffolgenden Tagen trat die Strategie Washingtons zutage, sich des ursprünglichen Abkommens zu bemächtigen, um es mit allerlei Tricks im US-genehmen Sinne umzubiegen und entsprechend festzunageln.

Hinter den Kulissen der vorgespielten westlichen Einheitsfront in der NATO findet ein harter Machtkampf um Einfluß und Vorrangstellung bei der Neuordnung Europas statt. Um Positionen wird sowohl zwischen den USA und Kontinental-Europa als auch zwischen den Europäern selbst gerangelt. Da die nationalen Kapitale in den NATO-Ländern scheinbar immer noch stärker ausgeprägt sind als die internationalen der Multis, streiten sich schon jetzt hinter der NATO-Einheitskulisse die kapitalistischen Hyänen um die noch nicht ganz tote Balkan-Beute.

Das offiziell nicht erklärte Kriegsziel der USA, erneut zu beweisen, daß ohne die Vereinigten Staaten in der Welt nichts mehr geht – der Begriff von der »indispensible nation« wird in den Washingtoner Regierungskorridoren bis zur Ermüdung gepredigt – und somit langfristig die US-Dominanz über Europa abzusichern, ist durch das Ahtisaari/Tschernomyrdin-Abkommen in wesentlichen Elementen unterlaufen worden. (Foto: Griechische Grüße für US-Marines, die am Donnerstag bei Thessaloniki an Land gingen, um über Mazedonien ins Kosovo einzumarschieren)

Selbst bei den europäischen Kriegsteilnehmern und -befürwortern hat die Clinton-Regierung keine Punkte gewonnen. Vielmehr haben sich die USA als politisch eindimensionale Führungsmacht erwiesen, die auf Grund haushoher technologischer Überlegenheit derart überheblich geworden ist, daß sie nur noch eine Lösung für internationale Sicherheitsprobleme kennt: den hemmungslosen Einsatz brutaler militärischer Gewalt bis zur bedingungslosen Kapitulation des Gegners. Dies hat Washington nach dem Krieg gegen Irak erneut bei der Bombardierung Jugoslawiens unter Beweis gestellt. So ist Washington denn auch davon überzeugt, daß es nur seinem Bomben-Verdienst zu verdanken ist, daß die Regierung in Belgrad überhaupt zu Verhandlungen bereit war. Nach einigen weiteren Wochen Luftkrieg wären die Serben endgültig weichgebombt worden und sie hätten sich bedingungslos den amerikanischen NATO-Forderungen unterworfen. Das Ahtisaari/Tschernomyrdin-Abkommen mußte demnach in Washington zu Verärgerungen führen.

So erklären sich die Versuche der USA und ihrer NATO, unmittelbar nach Bekanntgabe des »europäischen« Abkommens mit Belgrad zu stören, Konfusion zu streuen, auf nicht verhandelbare NATO-Positionen zu pochen, von der Erfüllung aller ihrer Forderungen durch Belgrad zu sprechen … Die systematischen diplomatischen Demütigungen Rußlands und Jugoslawiens sollten dazu beitragen, eine Unterzeichnung des Abkommens doch noch zu verhindern. Vergeblich.