Außenpolitischer Surrealismus

Außenpolitischer Surrealismus

von Rainer Rupp

erschienen am 24.07.1999 in der Jungen Welt

Unterstützung für die Opposition aus dem Westen – doch die Serben tanzen nicht nach der NATO-Pfeife

Die jugoslawische Opposition hat eingestanden, daß sie in der Bevölkerung keine ausreichende Unterstützung hat, um eine ernsthafte Gefahr für Präsident Milosevic darzustellen. So haben die Oppositionsführer ihren groß angekündigten »Marsch auf Belgrad« wegen mangelnden Interesses verschieben müssen. Demnach sind die großen Töne der NATO, wonach der Sturz von Präsident Slobodan Milosevic unmittelbar bevorstehe, etwas voreilig.

Sehr zum Leidwesen ihrer westlichen Förderer zeichnet sich die jugoslawische Opposition durch Uneinigkeit aus. Es fehlt ihr auch die für den Erfolg notwendige Unterstützung des Militär- und Polizeiapparates. Solange Milosevic an der Macht bleibt, wird Serbien nicht nach der neoliberalen Pfeife der NATO tanzen, mag die auch mit noch so phantastisch hochgesteckten Versprechungen von Frieden, Stabilität und Wohlstand auf dem Balkan locken.

Am Dienstag berichtete die englische Tageszeitung Daily Telegraph, daß der große Oppositionsmarsch auf Belgrad aus Mangel an populärer Unterstützung bis Ende August oder Anfang September verschoben worden ist. Der von dem »Bündnis für den Wechsel«, einem Zusammenschluß zahlreicher Oppositionsparteien, angekündigte Marsch galt als eigentlicher Lakmustest für die Anti-Milosevic-Stimmung im Land. Die eher sporadischen Proteste in einigen Provinzstädten können darüber keine ausreichende Auskunft geben.

Die Organisatoren hatten gehofft, mehr als eine Million Teilnehmer aus allen Teilen des Landes nach Belgrad zu führen. Dafür hatte das Oppositionsbündnis in zahlreichen Petitionen den Rücktritt von Präsident Milosevic verlangt und nach eigenen Angaben Hunderttausende von Unterschriften gesammelt. Dennoch gestanden die beiden Oppositionsführer, Zoran Djindjic von der »Demokratischen Partei« und Vuk Draskovic von der »Serbischen Erneuerungsbewegung« inzwischen ein, daß noch ein langer Weg vor ihnen liegt, bis sich genügend Leute finden, um den Rücktritt von Präsident Milosevic zu erzwingen. Die USA, Deutschland und andere NATO-Länder hatten bereits täglich den unmittelbar bevorstehenden Sturz des »Milosevic-Regimes« angekündigt und ihre Unterstützung der jugoslawische Opposition verstärkt, um so die erhoffte Entwicklung zu beschleunigen. Auch diesmal scheuten sie nicht von direkter Einmischung in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens zurück. Verteidigungsminister Scharping forderte zum Präsidentensturz auf und die CIA und der BND warfen der Opposition das Geld geradezu hinterher, wenn man den Berichten englischsprachiger Tageszeitungen Glauben schenken darf.

Dennoch, dem privaten amerikanischen Intelligence-Service »Stratfor« scheinen die offiziellen Berichte westlicher Regierungen über den bevorstehenden Sturz von Präsident Milosevic als »stark übertrieben«. In einer Analyse zählt »Stratfor« einige Haupthindernisse auf, die einem Sturz Milosevics im Wege stehen, wie z. B. »der gewaltige serbische Zorn auf den Westen gepaart mit dem Märtyrer-Komplex der Serben. Milosevic kämpfte, um Kosovo für Serbien zu erhalten, während die NATO-Länder, die die serbische Opposition jetzt aktiv unterstützen, Serbien für zweieinhalb Monate bombardierten. Und nun, da die NATO sich im Kosovo zum Richter über Gesetz und Gerechtigkeit aufgeschwungen hat, scheint sie so gut wie nichts zu tun, um albanische Angriffe auf Serben zu unterbinden.«

»Stratfor« billigt den Serben das Gefühl zu, daß »Westeuropa sich gegen sie verschworen hat, um für die feindlichen Moslems in Albanien eine historisch bedeutsame Provinz zu rauben. Und jetzt versucht Westeuropa zu allem Überfluß auch noch, … den Serben Demokratie zu diktieren, indem sie Milosevic mit westlichen Marionetten ersetzen will. Die Serben mögen Milosevic vielleicht nicht, aber sie sind nicht bereit, der NATO zu verzeihen.«

Selbst die serbische Opposition hat bestätigt, daß Militär und Polizei nach wie vor loyal zu Milosevic und seiner Regierung stehen. Am 21. Juli befaßten sich jugoslawische Regierungsbeamte entschieden mit der einzigen Schwachstelle im sonst ruhigen Sicherheitsapparat. Sie sprachen mit verärgerten Armeereservisten, die gegen die NATO gekämpft hatten, aber noch nicht bezahlt worden sind. Etwa 1 000 Reservisten blockierten Straßen in Zentral- und Südserbien. Sie drohten, daß sie so lange bleiben würden, bis man sie bezahlt hätte. Berichten zufolge hätten viele der Reservisten ihre Waffen mit nach Hause genommen und gedroht, nach Belgrad zu marschieren, wenn sie nicht innerhalb 48 Stunden ihr Geld bekämen.

Der jugoslawische Verteidigungminister Pavle Bulatovic erklärte, daß die Bezahlung der Reservisten oberste Priorität hätte, aber nicht alles auf einmal ausgezahlt werden könnte. Die Polizei ist bereits bezahlt. Die Reservisten müssen sich nun bis 1. August gedulden, um ihre erste Ratenzahlung zu bekommen. Dies hat scheinbar zur Beruhigung der Situation beigetragen.

Zu guter Letzt ist die serbische Opposition tief gespalten. Djindjic erklärte der montenegrinischen Tageszeitung Vijesti, daß das »Bündnis für den Wechesl« keinen Grund sähe, mit der Serbischen Erneuerungsbewegung von Draskovic zusammenzuarbeiten. Demnach haben sich die beiden Seiten nicht über die Notwendigkeit des Sturzes von Milosevic einigen können.

Die zersplitterte Opposition, die von der NATO geduldete anhaltende ethnische Säuberung des Kosovo von Serben durch die UCK und die Tatsache, daß die Machtinstrumente weiterhin fest in den Händen von Milosevic liegen, all das läßt die amerikanischen und deutschen Aufrufe zum Sturz des jugoslawischen Präsidenten in zunehmendem Maße als außenpolitischen Surrealismus erscheinen. Der Opposition fehlt die dazu nötige Grundwelle populärer Unterstützung und sie hat wenig Einfluß auf die tatsächlichen Machtverhältnisse in Belgrad. Die wird durch die fehlende Unterstützung für den Marsch auf Belgrad veranschaulicht.

Es sieht ganz danach aus, als ob auf absehbare Zeit die NATO weiterhin mit einem widerspenstigen Serbien mitten auf »ihrem« frisch eroberten Balkan zu tun haben wird. Die NATO und die EU hatten gehofft, das Kosovo-Problem möglichst schnell und möglichst unter Umgehung der UNO nach ihrem Gusto lösen zu können. Dazu hätte es aber der Kooperation Belgrads bedurft. Diese hatten sich die neuen geostrategischen Manipulatoren in Brüssel, Bonn, London und Washington von einer neuen, willfährigen Regierung Jugoslawiens erhofft. Aber Präsident Milosevic sitzt fester im Sattel, als sich das die NATO und die EU in ihrer erneuten Fehleinschätzung der Lage vorgestellt haben. Belgrad wird zum Leidwesen der NATO auf der Erfüllung des Ahtisaari-Tschernomyrdin-Milosevic-Abkommens und der Resolution des UNO-Sicherheitsrats zum Kosovo bestehen, die die südserbische Provinz als Teil des souveränen Jugoslawien anerkennt, in der jugoslawische Gesetze gelten und für die jugoslawische Institutionen letztlich verantwortlich sind. Im Herzen der Region, die der Westen in selbstherrlichem Gutdünken und nach den Erfordernissen der Marktwirtschaft umzubauen versucht, wird es auch weiterhin ein der NATO feindlich gesinntes Jugoslawien geben. Deshalb ist zu erwarten, daß die NATO mit ihren Bemühungen fortfährt, den demokratisch gewählten Präsidenten Milosevic zu stürzen und Serbien zu destabilisieren.

Bei der Verfolgung ihrer Ziele wird die NATO auch vor einem bürgerkriegsähnlichen Blutvergießen in Montenegro nicht zurückschrecken. Auf die Entwicklungen dort sollte sich in nächster Zeit das Augenmerk richten.