Chinas Abkehr vom freien Markt

Chinas Abkehr vom freien Markt

von Rainer Rupp

erschienen am 12.10.1998 in der Jungen Welt

Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik. Devisenkontrollen eingeführt

Bisher hat die Volksrepublik China die verheerende Finanz- und Wirtschaftskrise Asiens relativ unbeschadet überstanden. Zwar soll das Wirtschaftswachstum dieses Jahr auf sieben Prozent absinken, aber im Vergleich zu den Krisenländern der Region, deren Wirtschaftskraft dramatisch zurückgeht und die mit schweren sozialen und politischen Unruhen konfrontiert sind, erscheint China wie eine Insel der Stabilität inmitten aufgewühlter See. Die Führung in Peking kann sich gratulieren, daß sie ihre Märkte, besonders ihren Kapital- und Finanzmarkt, nur zaghaft geöffnet hat. In letzter Zeit mehren sich sogar die Zeichen einer Trendwende in Chinas Wirtschaftspolitik in Richtung verstärkter staatlicher Kontrolle; und nicht nur im Finanzsektor.

Nach der Einführung neuer Devisenkontrollen am 20. August dieses Jahres kündigte die chinesische Zentralbank am 29. September zusätzliche Restriktionen an. Offiziell hieß es, diese seien dazu bestimmt, die illegale Verschiebung von Kapital ins Ausland zu bekämpfen. De facto aber erschweren die neuen Maßnahmen auch den in- und ausländischen Unternehmen den kurzfristigen, grenzüberschreitenden Kapitaltransfer und beeinträchtigen somit die Spekulation auf die Abwertung der chinesischen Währung. In Erwartung einer solchen Abwertung hatten bereits viele Firmen ihre Gelder ins Ausland gebracht, wodurch der Renminbi unter Druck kam.

Chinesische Firmen sind nun verpflichtet, innerhalb kurzer Zeit nicht genehmigte Auslandskonten aufzulösen und nach China zurückzutransferieren, wollen sie nicht empfindliche Strafen riskieren. Die chinesischen Maßnahmen ähneln jenen, die die malaysische Regierung Anfang September in einer Art Befreiungsschlag gegen die internationale Währungsspekulation eingeführt hat. Bisher mit großem Erfolg.

In einer zweiten Aktion hat Peking neue Maßnahmen zur Preiskontrolle, und zwar in Form von Leitpreisen u. a. für Autos, Stahl, Chemikalien, Zucker usw., angekündigt. Offensichtlich sollen damit einheimische Industrien vor Niedrigpreisimporten aus den benachbarten asiatischen Ländern geschützt werden, deren Produkte durch die starke Abwertung ihrer Währungen extrem billig zu haben sind. Außerdem hat China Ende September 98 neue Restriktionen für ausländische Investitionen in die chinesische Telekommunikationsindustrie erlassen. Dieser Sektor war in letzter Zeit von internationalen Investoren besonders heiß umkämpft.

Auch die bereits angelaufene Privatisierung staatlicher Betriebe soll nun gebremst und besser kontrolliert werden. Hier war es zu einem undurchsichtigen Durcheinander von Verschleuderung, Korruption und Abzockerskandalen gekommen.

Trotz der günstigen Wirkungen der neuen Maßnahmen steht China vor riesigen Problemen. Über 70 Prozent der Bevölkerung leben noch von der Landwirtschaft. Und die wurde in den letzten zehn Jahren arg vernachlässigt. Die Reformen konzentrierten sich auf den Aufbau einer größtenteils exportorientierten Leichtindustrie. Durch die Währungsabwertungen in den anderen asiatischen Ländern, mit denen China auf dem Weltmarkt im Wettbewerb steht, sind die chinesischen Produkte zu teuer geworden. Teile der Industrie arbeiten nur noch mit halber Kapazität. Riesige Lagerbestände verrotten in Warenhäusern. Preise sinken, Gewinne schmelzen. Arbeitsplätze gehen verloren. Löhne werden gekürzt. Und auch China hat seine Immobilien- und Bankenkrise. Im Vertrauen darauf, daß alles nur besser und schneller gehen wird, wurde in den boomenden Regionen in den Himmel gebaut. Natürlich teuer und auf Kredit. Nun stehen die meisten neuen Bürogebäude leer, und die Immobilienpreise gehen nach unten.