Clark störte Washington
von Rainer Rupp
erschienen am 30.07.1999 in der Jungen Welt
NATO-Oberbefehlshaber Europa stieß US-Politiker offenbar vor den Kopf
Der Oberkommandierende der NATO für Europa (SACEUR – Supreme Allied Commander Europe), der US- amerikanische General Wesley K. Clark, soll schon im April nächsten Jahres vorzeitig seinen Posten räumen. Von dieser Entscheidung des US-Kriegsministers Cohen wurde er – nach Angaben der »Washington Post« – am vergangenen Dienstag erst im letzten Augenblick informiert, eine Stunde, bevor ein Reporter bei ihm auftauchte, um ihn dazu zu interviewen.
Offiziell wird die vorzeitige Ablösung Clarks wie folgt erklärt: Der amerikanische Luftwaffengeneral Joseph W. Ralston, z. Z. Stellvertreter des Chef des amerikanischen Generalstabs, steht Anfang des nächsten Jahres vor seiner Pensionierung, wenn er nicht einen noch gleichwertigen oder höheren anderen Posten findet. Solch einen Posten bekleidet General Clark in seiner Funktion als SACEUR. Normalerweise würde dieser Posten aber erst im Sommer 2000 frei. Da Ralston im Pentagon viele Sponsoren habe und besonders von Cohen als Ausputzer geschätzt würde, bestünde der Wunsch, ihn unbedingt für die Streitkräfte zu erhalten. Ohne rechtzeitigen neuen Posten wäre er jedoch gezwungen, in Pension zu gehen. Deshalb soll nun Clark vorzeitig seinen SACEUR-Posten für Ralston räumen. Soweit die offizielle Story.
Obwohl hohe Pentagon-Beamte General Clarks unerwartete Ablösung als Routine in der Postenrotation bezeichneten, gibt seine vorzeitige Ablösung doch Anlaß zu allerlei Spekulationen. Viele amerikanische Kommentatoren und Bewunderer des »Helden vom Kosovo« sehen in der vorzeitigen Entlassung Clarks eine Beleidigung des Generals durch das Pentagon, die ausgerechnet den Mann trifft, »der die NATO zum Sieg geführt hat«, so die »Washington Post«. Clark habe erwartet, mindestens volle drei Jahre bis Juli 2000 auf seinem Posten zu bleiben. Die meisten seiner Vorgänger hatten immerhin vier Jahre oder noch mehr auf dem einflußreichen und gut dotierten Posten des SACEUR gedient.
Amerikanische und europäische Medien lobpreisen den 54jährigen General Clark als kühnen Soldaten und gewieften Diplomaten. So war er das ranghöchste militärische Mitglied des Teams, das – angeführt vom US-Diplomaten Richard C. Holbrooke – bei den Friedensverhandlungen von Dayton erfolgreich gewesen sei. CNN zufolge gilt Clark zwar als »brillant«, zugleich aber auch als »arrogant und brüsk«. Unter militärischen Kollegen gelte Clark – so die »Washington Post« – als »zu politisch« und als jemand, der sich auch in die kleinsten Dinge einmischt. Trotzdem beförderte ihn Pentagon-Chef Cohen 1997 zum SACEUR, zum Oberbefehlshaber NATO-Europa. Aber dann kam es schon zu Beginn der Kosovo-Krise zu Spannungen zwischen den beiden. Clark wollte einen totalen Krieg gegen Jugoslawien führen und fühlte sich durch ihm aufgelegte politische Einschränkungen behindert. Trotzdem drängte er mit einigem Erfolg immer wieder auf die Ausweitung des Krieges.
Während der elf Wochen dauernden Luftschläge erreichte Clark, daß ihm für das Bombardement Jugoslawiens schließlich über 1 000 Flugzeuge zur Verfügung standen. Auch wurden auf sein Drängen hin die Angriffe auf zivile Ziele ausgedehnt, wofür er hoffentlich eines Tages vor das Kriegsverbrechertribunal gestellt wird. Und trotz dieser militärischen Eskalation beklagte sich Clark weiterhin über die Einmischung der Politiker in »seinen« Krieg. Sie hielten den nun als »großen Krieger« gerühmten Clark mit ihren Bedenken zurück. Sonst wäre die Menschenschlächterei noch viel schlimmer geworden.
In der Zielsetzung bestanden allerdings keine großen Unterschiede zwischen der politischen und der militärischen Führung der NATO. Die Politiker waren nur deshalb vorsichtiger, weil sie befürchten mußten, daß bei noch größerem Blutvergießen der Zusammenhalt der NATO ernsthaft gefährdet worden wäre. Deshalb versuchten sie zum Leidwesen von General Clark, alle Operationen zu unterbinden oder wenigstens hinauszuschieben, die auf eigenen Seiten größere Opfer gefordert hätten. Um solche Opfer zu vermeiden, durften die NATO-Piloten z. B. nicht unter 4500 m Flughöhe operieren, weil dort die noch intakte serbische taktische Flugabwehr eine große Gefahr für sie dargestellt hätte. Diese Einschränkung reduzierte drastisch die Effizienz der Luftangriffe, was General Clark beklagte. Andererseits störte es die NATO-Politiker kaum, daß durch die erhöhte Ungenauigkeit der Bombenabwürfe die Zahl der zivilen Toten auf seiten Jugoslawiens rapide stieg.
Wirklich in die Bredouille brachte General Clark die Washingtoner Regierung erst, als er nachdrücklich die Erlaubnis verlangte, für eine Bodeninvasion des Kosovo zu planen. So z. B. bei seiner Vorsprache in Washington Mitte Mai. Noch am 21. Mai erklärte das Pentagon, daß trotz des Drängens von General Clark eine Bodeninvasion des Kosovo »nicht ernsthaft überlegt würde«. Zwei Monate später erfuhr man aus der »Washington Post«, daß Clark vom Pentagon die Erlaubnis zur Planung der Invasion bekommen hatte.