Clinton – »nützlicher Idiot« der UCK?
von Rainer Rupp
erschienen am 04.10.1999 in der Jungen Welt
Europäische Verärgerung über US-Unterstützung für unabhängiges Kosovo
Die Clinton-Regierung habe leider damit begonnen, für das Kosovo Pläne zu entwickeln, die den Vorstellungen der UCK-Führer vom Kosovo als Kern eines Großalbaniens weitgehend entgegenkämen. Dieser Traum albanischer Nationalisten sei aber ein Alptraum für die europäischen Regierungen, die befürchteten, daß ein unabhängiges, ethnisch reines albanisches Kosovo schnell zum Auseinanderbrechen der benachbarten Staaten führen würde. Dies würde nur zu neuen Flüchtlingsströmen führen und möglicherweise sogar einen größeren Konflikt auf dem Balkan auslösen.
Unter der Bedingung, nicht beim Namen genannt werden zu dürfen, sprachen sich die Teilnehmer an einem sicherheitspolitischen Seminar letztes Wochenende im russischen Nowgorod recht freimütig aus. Das Seminar war gemeinsam vom Berliner Aspen-Institut und vom Institut für die Integration Rußlands organisiert worden. In den Diskussionen der sicherheitspolitischen Experten und hochrangigen Regierungsvertreter aus Ost und West wurde der transatlantische Riß offensichtlich, der durch die amerikanische Absicht entstanden ist, die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien unter UCK- Führung zu befördern.
»Die Unabhängigkeit Kosovos würde zur Aufteilung Mazedoniens führen, dessen westliches Drittel bereits von Kosovo-Muslimen bevölkert ist, die sich dort im letzten Jahrzehnt niedergelassen haben«, meinte ein europäischer Sicherheitspolitiker dazu. Pristina als Hauptstadt des Kosovo liege günstiger als Tirana, die Hauptstadt Albaniens, weshalb es unvermeidlich dazu kommen würde, daß ein unabhängiges Kosovo mindestens den Norden Albaniens mit aufsaugen würde.
Das Resultat einer solchen Entwicklung, meinten andere europäische Beamte, würde die gegenwärtige NATO-Intervention im Kosovo nachhaltig diskreditieren. Die NATO müßte sich dann nämlich zu Recht Vorwürfe gefallen lassen, daß sie entgegen ihrer Zusagen, die serbische Souveränität zu respektieren, im Kosovo einen neuen unabhängigen Staat geschaffen habe. Dies würde im nachhinein sogar Präsident Slobodan Milosevic rechtfertigen, der ständig darauf beharrt hätte, daß das wirkliche Ziel des NATO-Luftkrieges die Schwächung Serbiens und die Abtrennung des Kosovo sei.
Regierungsvertreter aus Moskau drückten ihr tiefes Mißtrauen gegenüber den tatsächlichen Motiven der amerikanischen Unterstützung für einen unabhängigen muslimischen Staat im Kosovo aus. Sie vermuteten, daß dies exemplarisch dazu dienen sollte, die Entstehung neuer unabhängiger muslimischer Staaten in Südrußland wie z B. in Dagestan zu fördern. Dagestan umfaßt einen großen Teil der russischen Küste am Kaspischen Meer, unter dessen Oberfläche gigantische Öl- und Gasreserven lagern sollen, auf die amerikanische Großunternehmen schon längst ein Auge geworfen haben.
Nach einem Bericht der »International Herald Tribune« vom 1. Oktober sorgten sich besonders die Deutschen und Italiener über den neuen amerikanischen Kosovo-Kurs: Wenn Washington seine Fähigkeit überschätze, die UCK zu kontrollieren, könnten die Amerikaner am Ende die Unabhängigkeit des Kosovo akzeptieren, das Management der daraus folgenden schlimmen Konsequenzen aber den Europäer überlassen.
Nach Meinung der Europäer habe die amerikanische Regierung vollkommen falsche Vorstellungen von den Zielen der Kosovo-Albaner und dem tatsächlichen Charakter der UCK. In Nowgorod kritisierten deshalb amerikanische Experten und europäische Regierungsbeamte unisono die Clinton-Regierung, weil unter amerikanischem Druck die NATO und die UNO gegenüber der UCK im Kosovo Zugeständnisse gemacht habe, die von Hardlinern der UCK nur als Beweis für die Schwäche der westlichen Staaten gedeutet werden könnten. Dazu gehörten sowohl die Einführung der D- Mark als gesetzliches Zahlungsmittel im Kosovo als auch zahllose andere kleine Schritte, die die UCK in ihrem Unabhängigskeitsstreben bestätigten.
Die entscheidende Schlacht habe die NATO aber verloren, als sie dem Druck der UCK nachgab und, statt auf der Auflösung der militärischen Strukturen der UCK zu bestehen, ihrer Umwandlung in das paramilitärische Kosovo-Schutz-Korps zustimmte. Warum dieser fatale Schritt gemacht wurde, erklärte in Nowgorod ein US- Experte. Die NATO hat die Durchsetzung ihrer Entmilitarisierungspläne für die UCK aufgegeben, weil sie vor einem Guerillakrieg mit den Albanern zurückschreckte.
»Amerikaner sehen die Albaner hauptsächlich als Opfer der serbischer Barbaren, und diese Sympathie könnte sie blind machen für die Schwierigkeiten, eine politische Kultur zu ändern, die tief in Clan-Strukturen und Blutrache-Denken verwurzelt ist«, meinte ein anderer amerikanischer Balkan-Experte. Ein nicht namentlich genannter deutscher Politiker ergänzte: »Die Europäer haben das Gefühl, daß der albanische Nationalismus genau so zerstörerisch und destabilisierend ist wie das serbische Machtstreben. Wir sorgen uns manchmal, daß die Kraft des albanischen Nationalismus in den Vereinigten Staaten nicht richtig verstanden wird.«
Neu war bei dem Seminar in Nowgorod, daß auch westliche Regierungsvertreter unverhohlen die engen Beziehungen der UCK zum albanischen organisierten Verbrechen ansprachen, das sich europaweit ausbreitet. Sie befürchten sogar, daß ein unabhängiges Kosovo zum »Treibhaus eines Mafia-Staates« werden könnte.