Corona und der kränklichste Teil der kranken Vereinigten Staaten
von Rainer Rupp
erschienen am 17.April 2020 via KenFM
Die Kollateralschäden im „Krieg gegen die Corona-Pandemie“ treffen alle, aber – wie im echten Krieg – nicht alle gleichermaßen. Das trifft nicht nur auf Menschen zu, sondern auch auf Länder, die mit unterschiedlicher Härte getroffenen werden. Hier in Deutschland, wo wir nach Aussage von Kanzlerin Merkel doch „gut und gerne leben“, tritt jetzt in der Krise der krasse Klassen- und Einkommensunterschied besonders deutlich hervor und wodurch über zwei Drittel der Gesellschaft deutlich härter von den Nebenschäden durch die Bekämpfung des Virus getroffen werden als das besser situierte restliche Drittel. Um dies zu erkennen, muss man nicht erst bei Hartz IV-Empfängern oder Arbeitslosen beginnen, sondern die prekäre Lage trifft in der aktuellen Krise auch zunehmend große Teile der so genannte Mittelschicht, besonders während der so genannten Kontakt-Sperre, oder des „Lock Downs“.
Nehmen wir z.B. eine Facharbeiterfamilie, Mama, Papa, zwei Kinder, die über viele Wochen in einem zwei-Zimmer, Küche, Bad Appartement quasi eingesperrt ist, die Kinderspielplätze in der Nachbarschaft – ganz zu schweigen die Kita – sind geschlossen und Spaziergänge mit der vierköpfigen Familie im womöglich etwas weiter entfernten Park sind bei hohen Strafen verboten. Zugleich ist der Vater auf Kurzarbeit bei 60 Prozent seines Lohns und der Mutter hatte man direkt zu Beginn der Krise den Mini-Job gekündigt. Die wenigen Ersparnisse sind schnell aufgebraucht und der Vater stellt sich zurecht die Frage, ob nach der Krise sein alter Job überhaupt noch da ist. Die Nerven liegen blank und die Zukunft sieht – ganz abgesehen von den Sorgen um die Gesundheit – düster aus.
Ganz anders durchlebt die gut situierte, obere Mittelschicht den „Lock Down“. Von den oberen 1% oder 5 % wollen wir gar nicht erst reden. Mann und Frau haben einen guten Job, den man im „Home-Office“ im Häuschen im Speckgürtel am Stadtrand erledigen kann. Die Kinder haben je ihr eigenes Zimmer, wodurch die Hausarbeiten für die Schule per Computer weitaus konzentrierter erledigt werden können. Die Freizeit verbringt man mit den Kindern im Garten, wo zu dieser Jahreszeit ohnehin viel zu erledigen ist, oder hält ein Schwätzchen mit dem Nachbarn über den Gartenzaun, bastelt in Garage oder Keller und repariert etwas, wozu man vorher nie Zeit gefunden hatte. Das alles geschieht natürlich bei vollem Gehalt und auf der „hohen Kante“ liegen genügend Ersparnisse, um jede Krise zu meistern. In dieser Situation ist der lästige „Lock Down“ lediglich ein Ärgernis und keine Katastrophe, die das Nervenkostüm der Hausbewohner zerreißt.
In anderen westlichen Industrieländern mit noch stärkeren sozialen Unterschieden als in Deutschland, in denen es zusätzlich beachtliche sozial benachteiligte Minderheiten gibt, enthüllt die Corona-Epidemie zusätzlich zum Klassengegensatz noch ein rassistisches Problem. Das wird in den von der Corona-Krise gebeutelten USA besonders deutlich.
Im Unterschied zu Deutschland, wo die Gesundheitsversorgung so gut wie für alle Einwohner gesichert ist, ist das in den Vereinigten Staaten bei weitem nicht für alle Menschen der Fall. Afroamerikaner sind daher in den USA besonders stark von Corona betroffen, und zwar in doppelter Hinsicht. Denn auf Grund der strukturellen sozialen Unterschiede sind sowohl die Menschen als auch die Gemeinden, in denen sie leben, erheblich ärmer als der Durchschnitt der USA. Deshalb sind viel mehr Menschen nicht krankenversichert und folglich entfällt die routinemäßige Gesundheitsvorsorge, was in der Bevölkerung zu deutlich mehr Vorerkrankungen führt, was die Betroffenen besonders anfällig für die Corona-Krankheit Covid-19 macht.
Der zweite Aspekt der Benachteiligung ist, dass die medizinische Versorgung in diesen sozial und wirtschaftlich abgehängten Regionen selbst in Normalzeiten viel zu wünschen übriglässt. In der aktuellen Krise, wo es für viele Menschen um Leben und Tod geht, tritt dieser Mangel besonders deutlich zutage.
Die US-Bundesregierung hatte Anfang dieser Woche diese Benachteiligung von Minderheiten anerkannt und eingeräumt, dass das Corona-Virus Afroamerikaner besonders stark trifft.
„Wir sehen starke Anhaltspunkte dafür, dass Afroamerikaner in weitaus größerem Umfang betroffen sind als andere Bürger unseres Landes“, sagte US-Präsident Donald Trump während seiner Corona-Pressekonferenz am vergangenen Dienstag.
Am selben Tag berichtete die Washington Post unter Berufung auf Daten einiger lokaler Behörden, dass Landkreise mit afroamerikanischen Mehrheiten teils dreimal so viele Infektionen und fast sechsmal so viele Todesfälle vermeldeten wie Landkreise, in denen weiße Amerikaner in der Mehrheit sind.
Zahlen für das ganze Land liegen noch nicht vor. Bislang haben lediglich lokale Behörden wie Städte oder Bundesstaaten eher sporadisch Statistiken veröffentlicht, aus denen man die strukturelle Benachteiligung von ethnischen Minderheiten in den USA abschätzen kann.
Im Landkreis Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin seien z.B. rund 70 Prozent der Todesfälle nach einer Infektion mit dem Corona Virus Afro-Amerikaner, obwohl sie nur etwa 26 Prozent der Bevölkerung stellten, schrieb die Washington Post. Im Bundesstaat Michigan waren demnach etwa ein Drittel der Corona-Infizierten und rund 40 Prozent der Toten Afro-Amerikaner – bei einem Bevölkerungsanteil von rund 14 Prozent.
In der Millionenmetropole Chicago zum Beispiel, wo knapp ein Drittel der Bewohner Afroamerikaner sind, waren laut Angaben lokaler Behörden vom vergangenen Dienstag sieben von zehn COVID-19-Todesfällen Afro-Amerikaner. Unter den vermeldeten 140 Toten waren demnach 95 Afroamerikaner, unter den rund 5.500 Infizierten waren es etwa die Hälfte.
Der Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, Anthony Fauci, kommentierte diese Angaben während der oben bereits erwähnten Pressekonferenz mit Trump und erklärte den Tatbestand mit einer „Verschlimmerung des Gesundheitsgefälles“ in den USA. Weiter führte er aus, dass Vorerkrankungen wie Herzkrankheiten und Diabetes bei Afroamerikanern häufiger zu verzeichnen seien als bei anderen Gruppen. Solche Vorerkrankungen machten eine Verlegung auf die Intensivstation wahrscheinlicher, so Fauci.
Und der oberste Gesundheitsbeamte der US-Regierung, Vizeadmiral Jerome Adams, erklärte das Problem dem US-Sender CBS folgendermaßen: „Afroamerikaner haben einen eher niedrigen sozio-ökonomischen Status, was es schwieriger macht, soziale Distanz zu wahren“. Was für eine schöne Umschreibung dafür, dass ein hoher Anteil der Afro-Amerikaner ohne Jobs und oft bettelarm sind, dementsprechend unter miserablen Bedingungen auf engstem Raum mit vielen anderen zusammengepfercht sind, was nicht als „Wohnen“ bezeichnen kann.
Auch US-Medien griffen den Aspekt des „Gesundheitsgefälles“ auf und verwiesen u.a. darauf, dass Afro-Amerikaner sich schlechter ernährten und auch mehr unbehandelte Krankheiten hätten. Aber genau wie zuvor Fauci, gingen auch die meisten US-Medien nicht auf die sozio-ökonomischen Gründe dieses „Gesundheitsgefälles“ ein, nämlich dass die neoliberalen Globalisierung die abgrundtiefe Kluft zwischen Arm und Reich in den letzten zwei Jahrzehnten sogar noch breiter gemacht hat und an vorderster Stelle Afro-Amerikaner betroffen sind.
Weder Trumps Chef-Kommandeur im Krieg gegen Corona, Vize-Admiral Adams, noch die meisten Medien fanden es erwähnenswert, dass der durchschnittlich sehr viel schlechtere Gesundheitszustand der afroamerikanischen Gesellschaftsgruppe eine Folge der fehlenden Absicherung durch eine allgemeine Krankenversicherung ist. Aber sogar für Kleinunternehmer und andere selbständig Mittelständler, die bisher gut verdient und glaubt hatten, sie bräuchten keine teure Krankenkasse, kann Covid 19 – auch im Überlebensfall – schnell zu einer sozialen Katastrophe werden. Dafür genügt bereits ein Aufenthalt von wenigen Tagen auf der Intensivstation eines Krankenhauses.
Die Kosten für die Behandlung für einen schweren Fall von Lungenentzündung aufgrund des Coronavirus können schnell mal 75.000 Dollar betragen. Selbst wenn man eine Krankenversicherung hat, was längst nicht alle haben, kann die Rechnung Zehntausende von Dollar betragen, Kosten, welche die meisten Versicherungspolicen nur zu einem Teil decken. Wie viele erkrankte Menschen stehen jetzt vor der Frage, ob sie sich im Krankenhaus behandeln lassen sollen und oder ob sie lieber zu Hause sterben wollen, um die Familie nicht mit den Behandlungsschulden finanziell zu ruinieren.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass auch in der Corona-Pandemie die USA auf makabre Weise „first“ sind. Sowohl was die Zahl der Infizierten als auch die Zahl der Toten betrifft liegen die USA weit vorn auf dem ersten Platz. Zyniker würden sagen: Jetzt sind die USA das, was sie immer behaupten zu sein: „an exceptional country“, ein außergewöhnliches Land. Dazu gibt es hier einen kurzen Überblick, mit Vergleichszahlen von Donnerstagabend den 16.04.2020 um 21:00 Uhr. Die Quelle ist die Johns Hopkins Universität (USA), die die Daten ständig aktualisiert.
Platz Bestätigte Infektionen Tote Platz
weltweite 2.1 Millionen 141.000
USA 1 641.000 31.100 1
Spanien 2 182.000 19.100 3
Italien 3 168.000 22.100 2
Deutschland 4 135.000 3.857 9
China 12 83.400 3.346 11
Russland 14 28.000 232
Bezüglich der Zahl der Corona-Toten liegt Russland noch weit abgeschlagen direkt hinter Südkorea, das mit nur 229 Toten die Krise hervorragend gemeistert hat.
Derweil rückt in den USA nach New York immer mehr die „Mardi Gras“ Stadt New Orleans im US-Bundesstaat Louisiana in den Fokus der Corona-Experten. Aus den oben bereits genannten Gründen, die mit der sozio-ökonomischen, strukturellen Benachteiligung der zahlreichen afro-amerikanischen Einwohner zu tun haben, könnten nach New York Louisiana und vor allem New Orleans das nächste Epizentrum der Corona-Verbreitung werden. Prozentual liegt Louisiana mit einer Ansteckungszahl von über 400 pro 100.000 schon jetzt an vierter Stelle hinter dem Bundesstaat New York. Mit 1.479 Ansteckungen von 100.000 hat New Orleans allerdings New York City mit nur 1.419 Fällen bereits übertroffen.
Das könnte man relativieren, weil New York City mit etwa 8 Millionen viel mehr Einwohner hat als New Orleans mit seinen 1,2 Millionen. Und der ganze Bundesstaat Louisiana hat mit seinen 4,6 Millionen Bürgern nur knapp mehr als die Hälfte von New York City. Dennoch hat Louisiana das Zeug dazu, angesichts der exponentiellen Vervielfachung der Corona-Infizierungen zu einem neuen Epizentrum zu werden, das den verarmten Süden der USA ansteckt. Dafür sind die Bedingungen sehr gut, denn hier handelt es sich um den “ kränklichsten Teil Amerikas“, um den es schon in der Zeit vor Corona nicht gut stand und der jetzt am härtesten getroffen werden könnte, hieß es diese Woche in einem Bericht von Bloomberg.Law.
Weiter heißt es darin, dass der Süden die höchsten Raten in den USA von Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Herzinfarkten und Schlaganfällen hat und das in Kombination mit ausgedehnten ländlichen und verarmten Gebieten mit schlechtem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Menschen hier seien demzufolge besonders anfällig für ein „Virus, das besonders tödlich für Menschen mit zugrunde liegenden gesundheitlichen Vorerkrankungen ist“.
Wegen Covid-19 erwartet daher der Spezialist für Lungenkrankheiten, Aaron Milstone, laut Bloomberg.Law „eine Katastrophe im Südosten“ der USA. „Wir werden eine höhere Morbidität sehen und eine höhere Sterblichkeit durch den Virus“, sagte Dr. Milstone. Weiter heißt es in dem Bericht: „Vier der fünf US-Bundesstaaten mit den höchsten Diabetesraten liegen im Süden, und acht Staaten haben Medicaid (die basis-medizinische Hilfe des Staates für Arme) nicht im Rahmen des Affordable Care Act erweitert (gemeint ist die misslungene Obama-Krankenversicherung), so dass Tausende von Familien keinen Zugang zu routinemäßiger medizinischer Versorgung mehr haben, während finanziell angeschlagene ländliche Krankenhäuser verkümmern.“
Diese Faktoren könnten die jüngste überraschende Explosion von Corona-Fällen in Louisiana erklären, zusätzlich natürlich zu der Tatsache, dass die Mardis Gras – Festlichkeiten (ein Art Karneval), die insgesamt vom 6. Januar bis zum 25. Februar – also bereits in der Corona-Zeit – über eine Million Touristen und Schaulustige aus den benachbarten Bundesstaaten in New Orleans mitgefeiert haben.