Coronavirus: Gefahr für Menschen, Weltwirtschaft und Börsen?
von Rainer Rupp
erschienen am 28. Januar 2020 via RT deutsch
Finanzmedien scheinen in der Epidemie des Coronavirus eine größere Gefahr für die Börsen zu sehen als die nationalen Gesundheitsbehörden der westlichen Länder für die Menschen. Und US-Hardliner nutzen die Krise, um Stimmung gegen China zu machen.
von Rainer Rupp
Trotz der radikalen Vorsichtsmaßnahmen in China, wo sich inzwischen über 60 Millionen Bürger unter Quarantäne befinden und ganze Regionen und Millionenstädte hermetisch gegen jeglichen Publikumsverkehr abgeriegelt sind, hält das deutsche Gesundheitsministerium die geplanten Vorkehrungen zur Eindämmung des Corona-Lungenvirus im Fall von Ansteckungen in Deutschland für ausreichend und warnt die Bevölkerung „vor Panik“.
„Deutschland ist gut auf einen Pandemiefall vorbereitet. Es gibt klare Pandemiepläne, regelmäßige Übungen sowie die Ressourcen, um schnell und effektiv zu reagieren. Wir stimmen uns laufend mit allen relevanten nationalen und internationalen Stellen zur Lage ab“, so zitierte die Tageszeitung Die Welt am vergangenen Montag einen Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Insgesamt sei die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland relativ gering.
„Nach allem, was wir wissen, überträgt sich das Coronavirus nur schwer von Mensch zu Mensch. Und der Krankheitsverlauf ist relativ moderat.“ Da allerdings scheint sich der Sprecher geirrt zu haben. Noch am Abend desselben Tages korrigiert die Weltgesundheitsorganisation WHO ihre frühere Einschätzung des internationalen Gefährdungsniveaus durch das Coronavirus nach oben. Eine Sprecherin der Organisation sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, es habe ein verbales Missverständnis gegeben. Die WHO schätze das Risiko nun „sehr hoch in China, hoch in der Region und hoch auf weltweitem Niveau“ ein, also auch für Deutschland. Am Dienstagmorgen wurde dann auch der erste offiziell bestätigte Fall in Deutschland (Bayern) gemeldet.
Da darf man gespannt sein, ob Gesundheitsminister Spahn weiterhin abwiegelt. Noch jüngst hatte er betont, dass die ganz normale, alljährliche „Wald- und Wiesengrippe“ viel gefährlicher sei, denn allein in der Grippesaison 2017/2018 seien mehr als 25.000 Menschen daran gestorben. In dieser Verniedlichung des Coronavirus liegt eine große Gefahr. Von Jahr zu Jahr gibt es mehr oder weniger Grippetote in Deutschland, aber meist im fünfstelligen Bereich. Normalerweise ordnet der Hausarzt keine Autopsie an. Vielleicht hofft Spahn, dass dabei die Corona-Opfer unbemerkt blieben und den normalen Grippetoten zugerechnet würden. Das wäre extrem verantwortungslos, denn dabei könnte sich die Epidemie unbemerkt weiter verbreiten, und man könnte erst angemessen reagieren, wenn es zu spät ist.
Die Bevölkerung scheint jedoch Spahn diesen Beschwichtigungsversuch nicht abzunehmen, denn laut der Pharmaindustrie ist die Nachfrage nach Atemschutzmasken in diesem Januar „extrem hoch“. Sie übertreffe „das Normalniveau um das Zehnfache“. Und die Vorsorge scheint gerechtfertigt, wenn man sieht, mit welchem gigantischen Aufwand die Chinesen versuchen, die Epidemie einzudämmen und für die Opfer zu sorgen.
Noch im Laufe des Montags hatte der Vizegouverneur der Provinz Hubei – in der die 11-Millionenstadt Wuhan liegt, das Epizentrum des Ausbruchs des Coronavirus – geäußert, dass in den nächsten Tagen 100.000 Krankenhausbetten mit 112 medizinischen Einrichtungen zur Behandlung des Virus in der Provinz geöffnet werden. Die Dringlichkeit und das Ausmaß der behördlichen Maßnahmen erwecken den Eindruck, dass sich der Ausbruch womöglich weitaus schneller verbreitet, als die Behörden angenommen hatten. Und das scheint in der Tat der Fall zu sein.
Bereits am Dienstagmorgen hatte sich laut der Gesundheitskommission der Provinz Hubei die Zahl der Ansteckungen in der Provinz über Nacht um 91 Prozent auf 2.714 Fälle fast verdoppelt. Zugleich ist die Zahl der Todesfälle über Nacht um 24 Prozent auf inzwischen 106 Fälle in Hubei angewachsen.
Inzwischen werden aus 29 anderen chinesischen Provinzen offiziell Coronavirus-Fälle gemeldet. In ganz China gibt es mit Stand von Dienstagmorgen 4.231 Fälle von Ansteckung, und 30.453 Menschen stehen wegen des Verdachts auf Ansteckung in Isolierstationen unter Beobachtung. Mit Ausnahme von Hubei gibt es in den anderen Provinzen Chinas bisher jedoch noch keine Todesfälle. International hat sich das Virus auf zwölf weitere Länder, davon zwei europäische (Frankreich und Deutschland), mit insgesamt 45 Ansteckungsfällen verbreitet.
Neujahrsfest als Infektionsbeschleuniger: Virus verbreitet sich rasant
Die rasante Verbreitung macht Sorgen. Am 8. Dezember 2019 war man zum ersten Mal in einem Krankenhaus in Wuhan auf bisher unbekannte Krankheitssymptome aufmerksam geworden. Am 31. Dezember begann dann eine offizielle Untersuchung von inzwischen 27 Fällen einer schweren Lungenentzündung mit unbekannten Ursachen. Am 1. Januar 2020 wurde der Fischmarkt von Wuhan als Herkunftsort des unbekannten Virus identifiziert und geschlossen. Am 9. Januar gab es den ersten Todesfall der immer noch unbekannten Krankheit. Diese wurde dann am 10. Januar als Virus der Coronaviren-Familie identifiziert. Am 13. Januar wurde bereits der erste Fall im Ausland, Thailand, gemeldet.
Während nicht nur in Deutschland, sondern in der EU und auch in den USA die Politik die Gefahr des Coronavirus für die Menschen weiter herunterspielt, sehen die Finanznachrichten in der Pandemiegefahr ein weitaus größeres Risiko, vor allem für die Wirtschaft und die Börsen. Diese seien nicht nur in China, sondern auch im Westen in Gefahr. Das Virus könnte das „Schwarzer-Schwan-Ereignis“ sein, die unvorhergesehene Entwicklung, die sich nicht nur extrem negativ auf die globale Nachfrage auswirkt, sondern auch die eingespielten, globalen Zuliefererketten unterbricht und zum Zusammenbruch von Produktionsabläufen und Firmen führen könnte. In dessen Folge könnte dann auch die extrem aufgeblasene Blase an den Finanzmärkten platzen.
Nicht wenige Leser werden das für eine Übertreibung halten. Aber wenn wir uns Chinas inzwischen viel größeres Gewicht in der extrem interdependenten Weltwirtschaft ansehen, dann wirken sich wirtschaftliche Probleme im „Reich der Mitte“ sofort auf ganze Industrie- und Handelsbranchen in anderen Ländern aus, auch im Westen. Denn wenn die chinesische Wirtschaft leidet, werden auch die weltlichen Volkswirtschaften Opfer des Coronavirus, selbst wenn es – rein theoretisch – keinen einzigen menschlichen Ansteckungsfall im Westen geben würde.
Aktuell ist die Zeit, in der die Chinesen ihr Neujahrsfest feiern, und das tun sie in der Regel in ihrer Heimat im Kreise ihrer Eltern. Alljährlich geht das einher mit der größten Völkerwanderung der Welt. Hunderte Millionen von Chinesen sind unterwegs in ihre oft weit entfernten Heimatdörfer und Städte. Die chinesische Bevölkerung ist allerdings nicht nur innerhalb Chinas sehr mobil, sondern auch international. Hunderttausende Chinesen arbeiten in anderen Ländern, und ein beträchtlicher Prozentsatz dieser Offshore-Arbeiter und Angestellten ist zum Neujahrsfest nach Hause zurückgekehrt und wird bald seine Arbeit in den USA, Europa, Afrika, Südostasien, im Mittleren Osten usw. wieder aufnehmen. Es wäre naiv zu glauben, dass keiner dieser zurückkehrenden Arbeiter und Angestellten nicht bereits Träger des Coronavirus ist.
Was die Mobilität der Chinesen innerhalb des Landes betrifft, so haben Chinas Zentralbehörden angesichts des besorgniserregenden Tempos der Ausbreitung des Virus, begleitet von einer rapide steigenden Zahl von Todesfällen mit sehr tiefgreifenden Reisebeschränkungen, vielen Millionen Chinesen einen Strich durch ihre Pläne zum Neujahrsfest gemacht.
So konnten beispielsweise in Hubei die Busse, Züge sowie Taxis und Fähren nicht über die Stadt- oder über Provinzgrenzen hinweg verkehren. Über 62 Millionen Menschen waren am Montag, dem 27. Januar, bereits von diesen Entscheidungen betroffen. Auch Shantou in der Provinz Guangdong – im südlichen Industriegürtel, wo die sagenhafte Erfolgsgeschichte der „Made in China“-Exportartikel ihren Anfang genommen hatte – sollte ab Montag, dem 27. Januar, unter eine Teilquarantäne gestellt werden. Da es in der Stadt bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Ansteckungsfälle gab, wird den Menschen lediglich der Zutritt zur Stadt verwehrt. Wer jedoch die Stadt verlassen will, dem wird dies gestattet.
Epidemie könnte Weltwirtschaft erschüttern
Die Millionenmetropole Wuhan, das Epizentrum der Epidemie, ist sowohl für die Wirtschaft Chinas als auch für globale Konzerne, die im Reich der Mitte tätig sind, ein wichtiger Produktionsstandpunkt. Und die Provinz Hubei, in der Wuhan liegt, belegt in der Liste der wichtigsten Lieferketten von 32 Provinzen Chinas den siebten Platz. Die Auswirkungen des Ausfalls allein dieser einen Provinz Hubei könnten eine erhebliche Belastung für die gesamte chinesische Wirtschaft darstellen. Und eine weitere Ausbreitung der Corona-Krankheit würde zu einem merklichen Rückgang des chinesischen Bruttoinlandprodukts (BIP) führen, mit ebenso empfindlichen Auswirkungen auf den internationalen Handel und die westlichen Volkswirtschaften.
Etwas vorschnell werden in manchen Kommentaren die wahrscheinlichen wirtschaftlichen Kosten der Corona-Epidemie mit dem Ausbruch der SARS-Epidemie im Jahr 2003 verglichen. Der Hauptunterschied zu damals ist, dass im Jahr 2003 das Gewicht Chinas in der Weltwirtschaft 8,7 Prozent betrug. Heute macht es ungefähr 25 Prozent aus. Auch die Produktionsstruktur der chinesischen Wirtschaft hat sich stark verändert, und diese Änderungen erhöhen die Risiken sowohl für Peking als auch für die Weltwirtschaft. Ebenso ist der chinesische Dienstleistungssektor heute viel größer als noch vor 17 Jahren. Zwangsläufig wirkt sich der Ausbruch des Coronavirus auch auf das Konsumverhalten der Menschen aus, auf den Einzelhandel, Freizeitaktivitäten, Restaurantbesuche usw.
Insgesamt sind die wirtschaftlichen Folgewirkungen der Epidemie für China und die Welt noch gar nicht erfassbar. Aber sicher dürfte bereits jetzt sein, dass die Epidemie einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden angerichtet hat und noch viele weitere Menschenleben fordern wird.
Heutzutage jedoch kann keine menschliche Tragödie schlimm genug sein, dass US-amerikanische Hardliner nicht versuchen würden, daraus Propaganda-Honig zu ziehen und – wie im vorliegenden Fall – gegen Peking zu hetzen. In einer E-Mail-Benachrichtigung an seine Abonnenten warb der US-amerikanische TV-Sender Newsmax am Montag unter dem Titel „Ist das Wuhan-Virus eine Biowaffe?“ für eine Sendung mit dem „berühmten nationalen Sicherheitsreporter Bill Gertz“, der „über die enge und überraschende Verbindung zwischen dem Wuhan-Virus und Chinas immensem Programm für Biowaffen“ berichten werde.