Das Baskenland verhält sich zu Spanien wie der Kosovo zu Serbien

Das Baskenland verhält sich zu Spanien wie der Kosovo zu Serbien

von Rainer Rupp

erschienen am 12.06.1998 in der Jungen Welt

Eine militärische NATO-Intervention würde die Prinzipien des Völkerrechts mit Füßen treten und Präzedenzfälle für gewaltsame Veränderungen von Grenzen schaffen.

Durch einen Einmarsch der NATO im Kosovo würde die atlantische Interventionsgemeinschaft in ihren Bestrebungen, eine neue Weltordnung nach ihrem Gusto herzustellen, eine neue, gefährliche Schwelle überschreiten. Ohne Mandat der UNO wäre eine solche Aktion nicht nur ein Verstoß gegen geltendes Völkerrecht, sondern auch gegen das Schlußdokument der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), das alle NATO- Mitgliedsländer unterschrieben haben. Allerdings würde ein solches Vorgehen dem neuen strategischen Konzept entsprechen, das die USA – unterstützt von den Regierungen in Bonn und London – zum 50. Jahrestag der NATO im Frühling 1999 in der atlantischen Wertegemeinschaft durchdrücken wollen. Schon während der Debatte um die Ost-Expansion der NATO im amerikanischen Senat Anfang des Jahres machte die US-Regierung klar, daß sie von der neuen NATO eine deutliche Erweiterung ihrer Befugnisse und ihres »Verantwortungsbereiches« erwartet. Dies soll einhergehen mit Einsätzen außerhalb Europas.

Die Franzosen scheinen aber auch diesmal den Amerikanern in die NATO-Suppe zu spucken. Am Rande des jüngsten G-7-Gipfels in Birmingham wurde dies in einer Aussprache zwischen Chirac und Clinton deutlich. Die gewöhnlich gut unterrichtete Washington Post berichtete, Chirac habe erklärt, er würde es nicht erlauben, daß die NATO in eine Organisation umgewandelt würde, »die jederzeit und überall auf der Welt militärische Gewalt anwenden könnte. … Wenn die NATO sich das Recht herausnehmen würde zu intervenieren, wann und wo sie will, dann würden andere Mächte mit der gleichen Rechtfertigung sofort beginnen, dasselbe zu tun.« Aus diesem Grund will Chirac auch in Zukunft darauf bestehen, daß Militäroperationen der NATO außerhalb ihres ursprünglichen Selbstverteidigungsbereiches ohne die vorherige Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats nicht stattfinden können. Die französische Haltung hat vorerst den aktionshungrigen Bonner »Menschenrechts«militaristen einen Riegel vorgeschoben. Kinkel und Rühe würden mit der NATO lieber heute denn morgen dem alten Erzfeind Serbien eine militärische Lektion erteilen. Und diesmal wären deutsche Soldaten an vorderster Front dabei.

Die Situation des Kosovo ist nicht mit der Bosniens zu vergleichen. Bosnien war ein Teilstaat der Bundesrepublik Jugoslawien und hatte die Option, den Bund zu verlassen, wenn dies auch unter recht zweifelhaften Vorzeichen in die Tat umgesetzt wurde. Der Kosovo ist dagegen eine Provinz Serbiens. Das Baskenland z. B. verhält sich zu Spanien wie der Kosovo zu Serbien.

Eine NATO-Intervention zugunsten der separatistischen Kosovo-Albaner wäre deshalb nicht nur völkerrechtswidrig, sondern würde auch anderen Separatisten Tür und Tor öffnen. Situationen wie im Kosovo gibt es in Europa viele, vom Atlantik bis zum Ural. Pandoras Büchse würde geöffnet. Die Unterzeichnerstaaten des Schlußdokumentes der KSZE verpflichteten sich, die territoriale Integrität der Mitglieder zu achten. Grenzveränderungen können in Europa nur noch friedlich, am Verhandlungstisch und im gegenseitigen Einverständnis zustande kommen. Auch die NATO-Länder priesen dies seinerzeit als einen besonderen Erfolg der KSZE. Nun fordern einige NATO-Länder – vornweg Deutschland – eine der wichtigsten Errungenschaften der KSZE durch eine Intervention im Kosovo mit Füßen zu treten. Als Präzedenzfall würde dies die Rechtfertigung für die militärische Lösung anderer Grenzstreitigkeiten in Europa liefern. Eine Unterstützung der selbsternannten separatistischen Regierung im Kosovo und ihrer terroristischen Untergrundarmee durch verschiedene NATO-Länder widerspricht den Prinzipien der eigenen NATO-Politik, wie sie im »Frieden von Dayton« für das benachbarte Bosnien festgeschrieben wurden. Mit »Dayton« besteht die NATO auf der territorialen Integrität Bosniens. Um die Abtrennung der serbischen Minorität in Bosnien und deren Vereinigung mit Serbien zu verhindern, hat die NATO sogar einen kurzen Luftkrieg geführt. Für den Kosovo werden nun diese Prinzipien auf den Kopf gestellt. Dort will die NATO militärisch intervenieren, um den Kosovo-Albanern die Abtrennung von Serbien und eine mögliche Vereinigung mit Albanien zu ermöglichen. Vergeblich sucht man hier nach einer Logik; es sei denn: Solange es die Schwächung und Zerschlagung Serbiens fördert, ist es richtig! Unbeeindruckt von den Fakten macht derweil Außenminister Kinkel in der Öffentlichkeit Stimmung: »Bosnien darf sich nicht wiederholen«, lautet die Beschwörungsformel, mit der die NATO-Intervention vorbereitet werden soll. Selbst die taz, das Sprachrohr der Grünen, hat diese Formel mittlerweile übernommen. Die Parteiführung der Grünen, die einst antimilitaristisch auftrat, befürwortet heute die »friedenserzwingenden« Maßnahmen der NATO in Bosnien. Von da bis zur Absegnung einer erneuten Intervention im Kosovo ist es nur noch ein kleiner Schritt. Besonders, wenn man unter dem Zwang steht, Regierungsfähigkeit für Bonn zu beweisen.

Anders als die aktionshungrigen Bonner hat sich Washington zu Beginn der Kosovo-Krise zurückgehalten und folgte den KSZE-Spielregeln. In Fall von systematischen Menschenrechtsverletzungen erlauben diese eine nichtmilitärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Unterzeichnerstaaten. Mit Zuckerbrot und Peitsche gelang es den Amerikanern, die Serben und die selbsternannte Regierung der Kosovo-Albaner an einen Tisch zu bekommen. Als Belohnung wurde ein Teil der gegen Serbien verhängten Wirtschaftssanktionen aufgehoben. Ziel der Verhandlungen sollte eine Teilautonomie für den Kosovo unter Wahrung der territorialen Integrität Serbiens sein. Auf den ersten Blick wäre dagegen nichts einzuwenden gewesen, zumal die serbische Regierung vor einigen Jahren den Fehler gemacht hatte, dem Kosovo eine bis dahin bestandene Teilautonomie zu entziehen.

Die Sache hatte allerdings einen Haken. Die USA forderten von der serbischen Regierung den Rückzug des Militärs aus dem Kosovo und den Stopp aller Polizeiaktionen gegen die terroristische Untergrundbewegung, die UCK. Faktisch hätte das nichts anderes bedeutet, als daß die UCK in der Provinz die Macht übernommen hätte. So wären irreversible Tatsachen geschaffen worden, die letztlich keine Alternative zur »friedlichen« Abtrennung des Kosovos gelassen hätten; das Ergebnis wäre eine KSZE-konforme Grenzveränderung gewesen.

Auf diese Weise ermutigt, beharrte die selbsternannte Kosovo-Regierung in den Verhandlungen mit Serbien auf ihrer Maximalforderung: der Sezession. Und statt das Militär abzuziehen, verstärkten die Serben ihre Einheiten im Kosovo und begannen, entlang der Grenze zu Albanien einen Cordonsanitair zu schaffen, um so die lnfiltration von Waffen und Kämpfern der UCK besser unter Kontrolle zu bekommen. Bei dieser Aktion kam es zu schweren Kämpfen mit vielen Toten. Eine Massenflucht von Zivilisten nach Albanien setzte ein. Die Regierung in Bonn sah die schon an die deutsche Tür klopfen.

Da die Kosovo-Albaner an einer Teilautonomie nicht ernstlich interessiert sind, brach die selbsternannte Regierung die Verhandlungen mit Hinweis auf die Kämpfe ab. Nach dem Scheitern der Verhandlungen änderte sich auch der Kurs Washingtons, das befürchtet, daß sich ein länger andauernder Konflikt im Kosovo auf das benachbarte Mazedonien ausweiten könnte und sogar Griechenland und die Türkei auf entgegengesetzten Seiten mit hineinziehen könnte. Der UNO-Sicherheitsrat vergibt jedoch ein Mandat für friedenssichernde bzw. friedenserzwingende Interventionen nicht so leicht. Schwere und massenhafte Menschenrechtsverletzungen wie z. B. Genozid oder ethnische Vertreibungen müssen da schon zweifelsfrei vorliegen. Nun sieht es aber so aus, als ob Serbien bei der Schaffung des Cordonsanitaire der NATO einen Grund geliefert hat, bei der UNO ein solches Mandat zu beantragen. Angeblich hat serbisches Militär die Zivilbevölkerung aus den Dörfern im Grenzstreifen verjagt. Auch seien Panzer und schwere Artillerie gegen Dörfer zum Einsatz gekommen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Bosnien, wo antiserbische Greuelpropaganda zum wirksamsten Kriegsinstrument verfeinert wurde, sind solche Nachrichten mit Vorsicht zu genießen. Allerdings ist auch unumstritten, daß Serbiens Polizei und Militär in der Vergangenheit dazu neigten, eher brutal mit den Kosovo-Albanern umzugehen. Aber selbst wenn die schrecklichen Nachrichten aus dem Kosovo bestätigt werden, wäre das noch lange keinen Grund für ein Interventionsmandat für die NATO durch den UNO- Sicherheitsrat.