Das Kosovo – fette Kriegsbeute der NATO

Das Kosovo – fette Kriegsbeute der NATO

von Rainer Rupp

erschienen am 27.09.1999 in der Jungen Welt

Feuerwehr als Brandstifter. Washington betrachtet Sezession der südserbischen Provinz als »unvermeidlich«

»Höchste Regierungsbeamte der Clinton-Administration haben insgeheim ihren Widerstand gegen die Unabhängigkeit des Kosovo von Jugoslawien aufgegeben und sehen die Sezession der Provinz in zunehmendem Maße als unvermeidlich an.« Dies berichtete die »Washington Post« in einem Leitartikel. (US-Officials Expect Kosovo Independence, von R. Jeffrey Smith, Page A1, 24. 9. 99) Dies stelle eine wesentliche Abweichung der Vereinigten Staaten von ihrer bisherigen Position dar und habe »bereits bedeutende Auswirkung« auf die Aktivitäten der internationalen Friedenstruppen im Kosovo. »Die Vereinigten Staaten sind zum wichtigsten Fürsprecher für die Schaffung unabhängiger Institutionen und Rechtsstrukturen im Kosovo geworden und wollen so das jüngste UNO-Protektorat von den vielfältigen Wirtschaftsproblemen und den politischen Schwierigkeiten Jugoslawiens isolieren.«

Heuchlerisch verneinen allerdings die befragten US-Beamten, daß die US-Regierung durch ihr Verhalten das weitere Auseinanderbrechen Jugoslawiens befördert. Sie behaupten lediglich, daß sie die Überlebensfähigkeit des Kosovo sichern wollen und daß die Provinz zu einer »sich selbst regierenden Demokratie mit einer erfolgreichen Wirtschaft wird«. Aber die von der Zeitung befragten US-Politiker fügten hinzu, daß »Fragen der Souveränität dem Fortschritt im Kosovo nicht im Wege stehen dürften, weil die Provinz aller Wahrscheinlichkeit ohnehin ihre Unabhängigkeit gewinnen wird.«

Holbrookes Freund Kouchner

Offiziell wird dies jedoch weiterhin bestritten: »Unsere Politik bezüglich der Unabhängigkeit des Kosovo hat sich nicht geändert. Wir unterstützen die Schaffung demokratischer Institutionen und der Marktwirtschaft, und das steht im Kern unserer Bemühung«, ließ der Nationale Sicherheitsberater Samuel R. »Sandy« Berger seinen Sprecher verkünden. Und der Sprecher des Außenministeriums und Freund des UCK-Chefs Thaci, James P. Rubin, erklärte: »Wir haben immer gesagt, daß wir die Unabhängigkeit des Kosovo nicht unterstützen.«

Bezugnehmend auf zahlreiche westliche Diplomaten, die die Situation im Kosovo genau verfolgen, berichtete jedoch die Washington Post, daß die USA seit dem Ende des NATO-Luftkrieges ganz deutlich eine sehr viel tolerantere Haltung gegenüber den Unabhängkeitsbestrebungen der UCK eingenommen haben. Aus Sorge um die mögliche Destabilisierung der gesamten Region hatten die Vereinigten Staaten vorher diese Absicht mißbilligt. Allerdings scheint man sich in Washington selbst noch nicht ganz einig zu sein. Im Nationalen Sicherheitsrat zögere man noch, während man im Außen- und Verteidigungsministerium bereits zum Schluß gekommen sei, daß die Unabhängigkeit des Kosovo unausweichlich ist.

Im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Hauptstädten sei – so die Zeitung – Washington »weniger vorsichtig gewesen, wenn es um die Durchsetzung von politischen Maßnahmen ging, die die Entwicklung der Provinz in Richtung Unabhängigkeit beschleunigen.« So ergeben alle richtungsweisenden Maßnahmen der NATO und des UNO- Administrators für das Kosovo, des Holbrooke-Freundes Bernard Kouchner, ein eindeutiges Muster, das die Souveränität Jugoslawiens über seine Provinz untergräbt.

Als sezessionsfördernd benennt die Washington Post genau dieselben Maßnahmen, auf die bereits die junge Welt in verschiedenen Beiträgen in der Vergangenheit aufmerksam gemacht hat. Diese umfassen insbesondere die Einführung der D-Mark als neue Währung für das Kosovo, während der jugoslawische Dinar als Zahlungsmittel zwar nicht verboten wurde, bei seiner Verwendung aber ein Straftarif gezahlt werden muß, das neue Zollregime, das an der jugoslawischen Regierung vorbei im Kosovo aufgebaut wird und von dem jugoslawische Zöllner ausgeschlossen sind (ein klaren Bruch des Abkommens zwischen der UNO und Jugoslawien), die Umwandlungen der terroristischen UCK zu einem Teil in eine unabhängige Polizeikraft und zum anderen in das sogenannte »Kosovo Schutz-Korps« (KSK).

Belgrad wird brüskiert

Die NATO bescheinigt dem KSK zwar zivilen Charakter, doch das KSK hat eindeutige militärische Strukturen. Auch dies verstößt gegen Text und Geist des Abkommens zwischen Jugoslawien und der UNO. Die an der KSK-Spitze federführenden UCK-Terroristen machen aus ihrem Sieg keinen Hehl und bekennen sich offen zu der militärischen Rolle des KSK zur Betreibung der Sezession. NATO- und UNO-Vertreter hören in solchen Fällen immer dezent weg, so daß nur Rußland gegen die Schaffung des KSK energisch protestierte und dies als höchst gefährliche Entwicklung bezeichnete.

Das offizielle Wegsehen der NATO und UNO, wenn die UCK versucht, auch noch die letzten Serben und Roma aus dem Kosovo zu vertreiben, ist mehr als eine peinliche Farce. NATO und UNO machen sich durch Duldung und unterlassene Hilfeleistung vielmehr mitschuldig an den UCK-Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Geradezu lächerlich wirkt es allerdings, wenn die NATO tagelang mit der UCK darüber verhandelt, ob und wie viele Mitglieder der 5 000 Mann starken KSK offen welche Waffen tragen dürfen. (Ergebnis: 200 Mitglieder mit Faustfeuerwaffen, 2 000 Waffen im Depot, und weitere Waffen auf Antrag zum Selbstschutz.) So soll der Schein einer zivilen Truppe geschaffen werden. Wieso braucht die KSK zum Feuerlöschen und beim Katastrophendienst (seinen angeblichen Aufgaben) überhaupt Waffen, es sei denn, um Feuer zu legen und Katastrophen zu verursachen? Auch weiß die NATO, daß die UCK genügend Waffen im Kosovo versteckt hat. Durch die Formierung des KSK mit seinen militärischen Strukturen wird also die Grundlage für eine schlagkräftige Armee gelegt, die dem ethnisch »gereinigten« albanischen Kosovo die Szession von Jugoslawien erkämpfen kann.

Am 24. September berichtete jW, daß Bernard Kouchner aus offensichtlich vorgeschobenen »Sicherheitsgründen« die innerjugoslawische Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien von NATO-Truppen kontrollieren lassen und zugleich den Zugang von Serbien aus in das Grenzgebiet des Kosovo beschränken will. Am gleichen Tag berichtete die Washington Post, daß die »Vereinigten Staaten – mit Unterstützung von einigen europäischen Nationen – auf die Einführung einer UN-Maßnahme drängen, die dem UNO-Vertreter im Kosovo, Bernard Kouchner, das Recht geben würde, für die Bewohner des Kosovo temporäre Reisepässe auszustellen.« Dies ist nichts anderes als ein weiterer Schritt in Richtung Sezession.

Nach Angaben der Washington Post vertreten höchste US- Regierungsbeamte nun den Standpunkt, daß der »rechtliche Status des Kosovo« (im Klartex: Provinz Serbiens oder unabhängiger Staat) »erst nach einer internationalen Konferenz bestimmt« werden könnte, »die sicherlich nach Ende der Amtszeit von Präsident Clinton und vermutlich nachdem der jugoslawischer Präsident Slobodan Milosevic nicht mehr an der Macht ist, stattfinden wird.«

»Die Frage zum etwaigen Status des Kosovo – wie sein Verhältnis zu Serbien ist, was sein Verhältnis zu Jugoslawien ist, was sein Verhältnis zur gesamten Region ist – das wird in der Zukunft zur Diskussion stehen«, zitiert die Zeitung einen leitenden US-Beamten. Allerdings gestand ein anderer Beamter ein, daß die »Meinungsunterschiede über die Unabhängigkeit des Kosovo zu einem ständigen Faktor innerhalb der NATO-Allianz geworden sind«.

Bernard Kouchner, den »Washington als einen wertvollen Verbündeten« im Kosovo ansieht, beabsichtigt in der kommenden Woche, ein lukratives Bergwerk in der Stadt Trepce zu privatisieren. Außerdem sollen einige große Kraftwerke in den Außenbezirken von Pristina und das örtliche zellulare Telefonnetz an private Investoren verkauft werden. Die Objekte gehören dem jugoslawischen Staat. Auf welcher rechtlichen Grundlage das jugoslawische Volk enteignet werden soll, ist ein Rätsel.

Das scheint aber Kouchner und seine amerikanischen Freunde nicht zu stören. Es paßt allerdings ins zeitlose Muster von Angriffskriegen, daß anschließend der Sieger versucht, reiche Beute zu machen. Und die US- geführte NATO tut nun im Kosovo nichts anderes. Mit Hilfe der UCK rauben sie das jugoslawische Volkseigentum und stellen es dem internationalen Kapital gegen harte D-Mark zur Verfügung. Völkerrecht und Gesetze sind dabei nebensächlich.

Die Vereinigten Staaten, so die Washington Post, würden es bevorzugen, die Privatisierung so schnell wie möglich durchzuziehen, »um ausländisches Kapital anzuziehen und so Arbeitsplätze zu schaffen.« Aber innerhalb der Vereinten Nationen scheint sich nun doch noch ein Rest von Widerstand gegen den Raubzug der allmächtige neoliberalen Supermacht im Kosovo zu regen. Etliche höhere UNO-Vertreter haben dem Privatisierungsvorhaben Kouchners widersprochen, weil sie sich der Rechtslage nicht sicher sind.

Kriminelle Freihandelszone

Auch Kouchners Entscheidung, letzten Monat die D-Mark einzuführen, gerät innerhalb der UNO unter zunehmende Kritik. Es war »ein Fehler«, zitiert die W.P. einen anderen UNO-Beamten. Auch sei die Absicht Kouchners, eigene Reisepässe für die Kosovo-Bewohner einzuführen, auf Widerstand im UNO-Hauptquartier gestoßen. Weitere Kontroversen werden wegen einer anderen Kouchner-Entscheidung erwartet: Die neuen Telefonnummern fürs Kosovo sollen nämlich nicht mehr die jugoslawische »38« als Vorwahl haben. Die jugoslawische Regierung ist erbost darüber, daß solche Maßnahmen überhaupt in Betracht gezogen werden.

Und trotzdem hört man von der NATO, von Bernard Kouchner und aus Washington, daß niemand in Richtung Unabhängigkeit des Kosovo arbeitet. Das neue Zollwesen in der serbischen Provinz Kosovo ist nicht mit einem einzigen Vertreter Jugoslawiens besetzt. Es gibt keine jugoslawische Markierungen oder Fahnen an den internationalen Grenzen des Kosovo zu Albanien. Kriminelle Banden aus Albanien können unkontrolliert in das Kosovo ein- und ausreisen. Aber an der innerjugoslawischen Provinzgrenze Serbiens zum Kosovo sollen Kontrollen errichtet und der Zugang für Serben beschränkt werden. Jugoslawisches Volkseigentum soll von der UNO rechtswidrig »privatisiert« werden, wobei für die UCK als Teil des organisierte Verbrechens im Kosovo sicher viele D-Mark abfallen werden. Zugleich verwandelt sich die Terrororganisation UCK in das Kosovo-Schutz- Korps, das über Waffen und militärische Strukturen verfügt. Die NATO aber stellt das KSK als »Organisation mit humanitären Aufgaben« dar. Der Zynismus der NATO und der dahinter stehenden Regierungen, auch der in Berlin, ist ohne Beispiel.