Das Massaker des Senators

Das Massaker des Senators

von Rainer Rupp

erschienen am 07.05.2001 in der Jungen Welt

US-Politiker wehrt sich gegen Anschuldigung, für Verbrechen in Vietnam verantwortlich zu sein – und ein aktueller Nachtrag

Wegen des Verdachts, als junger amerikanischer Leutnant in Vietnam seiner Einheit die Exekution unschuldiger Frauen, Kinder und alter Menschen befohlen und bei deren Ermordung tatkräftig mitgemacht zu haben, steht derzeit der ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidat und US-Senator Bob Kerrey im Rampenlicht der Medienaufmerksamkeit. Wenige Tage vor der Veröffentlichung eines Artikels über Kerreys Rolle bei dem Massaker in dem vietnamesischen Dörfchen Thanh Phong durch ein New Yorker Magazin ergriff Kerrey die Flucht nach vorn und ging mit einer eigenen Darstellung der Ereignisse an die Öffentlichkeit.

Als Offizier einer kleinen Einheit von Elitesoldaten der Navy Seals, die auf den Kampf hinter den Linien und auf lautloses Töten spezialisiert sind, kommandierte Bob Kerrey in der Nacht vom 25. Februar 1969 den Angriff auf Thanh Phong, das angeblich als Nachschubbasis für die Vietcong diente. Nach Kerreys Darstellung sei seine Einheit beschossen worden, woraufhin er und seine Männer aus allen Rohren aus etwa hundert Meter Entfernung zurückgeschossen hätten. Als das Gefecht zu Ende war, hätten sie etwa 20 Tote gefunden, davon ein großer Teil Zivilisten, das heißt, Frauen und Kinder und alte Leute. Die Szene sei nach Kerreys eigenen Worten einer »Greueltat« sehr nahe gekommen. Aber er und seine Leute hätten nicht gewußt, daß sie auf Zivilisten schossen. In seinem anschließenden Bericht an seine Vorgesetzten habe er die zivilen Todesopfer erwähnt. Den Stern aus Bronze, eine hohe amerikanische Auszeichnung für militärische Tapferkeit, den Kerry für seine Operation gegen das Dörfchen bekam, habe er damals zwar angenommen, aber heute mache er sich nichts mehr daraus. Seither müsse er immer wieder an diese schreckliche Nacht denken. Sie lasse ihm keine Ruhe und deshalb sei er nun auch an die Öffentlichkeit gegangen, denn das helfe bei seinem Heilungsprozeß.

Die Reaktion der amerikanischen Massenmedien war überwältigend. In der für Amerika typischen patriotischen Aufwallung galt die Sympathie ausschließlich den Mördern und nicht seinen Opfern. Die Zeitungen überschlugen sich in bewundernden Kommentaren, wie schlimm es doch für Bob Kerrey gewesen sein müßte, mit solch einer schrecklichen Erinnerung so lange gelebt zu haben, und wie mutig Kerreys Schritt doch gewesen sei, damit nun vor die Öffentlichkeit zu treten. Kritische Anmerkungen wurden dagegen abgebügelt. Die amerikanischen Boys hätten damals in Vietnam schließlich unter enormem Streß gestanden. Nur wer im Dschungel als Soldat dabei gewesen sei, der hätte heute das Recht, zu kommentieren und nachzufragen.

Trotzdem haben sich Kritiker von dem massiven medialen Sperrfeuer nicht abschrecken lassen. Was sie gefunden haben, konfrontiert Amerika mit der äußerst unangenehmen Frage, mit welchem Recht die USA die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern anderer Nationen betreiben, wenn sie nicht einmal gewillt sind, einem begründeten Verdacht in den eigenen Reihen nachzugehen.

Der Verdacht auf ein Kriegsverbrechen liegt in der Tat sehr nahe. Nicht nur, weil die Darstellung der Ereignisse in Thanh Phong durch Kerrey sich als äußerst widersprüchlich erwiesen haben. Da gibt es auch die Zeugenaussage von Gerhard Klann. Der ehemalige Navy Seal aus der von Kerrey befehligten Einheit behauptet, daß die Zivilisten kaltblütig ermordet worden sind. Und drittens gibt es in Vietnam Überlebende des Massakers, deren Schilderungen sich mit der Darstellung von Klann decken.

Mittlerweile hat die US-Navy bei einer Überprüfung des Archivs den Bericht von Bob Kerry über den Überfall auf Thanh Phong gefunden und veröffentlicht. Darin steht jedoch kein Wort über zivile Opfer. Statt dessen wird nur von toten Vietcong gesprochen, die bei einem Feuergefecht umgekommen seien. Fragen wirft auch der angebliche Umstand auf, daß es unter den sechs Navy Seals beim Feuergefecht in der Dunkelheit keine Verwundete gegeben hatte. Gefragt wird auch, warum die Mehrzahl der Opfer aus unbewaffneten Zivilisten bestand, wo doch bei einem Gefecht in der Dunkelheit der einzige Orientierungspunkt das Mündungsfeuer des Gegners ist. Außerdem würden bei einem Gefecht nie alle Beteiligten getötet. Es gäbe immer auch Verwundete. Von Verwundeten auf seiten der Vietnamesen war aber in Kerreys Darstellung ebenfalls keine Rede. Dies und mehr deutet darauf hin, daß die Darstellung von Gerhard Klann wohl eher der Wahrheit entspricht als die des ehemaligen Senators Kerrey.

Nach Gerhard Klann trafen die Navy Seals bei ihrem Überfall auf das Dorf auf keinerlei Widerstand. Man habe weder Vietcong noch Waffen gefunden. Trotzdem habe Kerrey seinen Leuten befohlen, die vietnamesischen Zivilisten aus ihren Häusern zu holen und zusammenzuführen. Dann habe Kerrey die Erschießung angeordnet, weil er befürchtete, daß die Bewohner des Dorfes, das in der vom Vietcong kontrollierten »Free Fire Zone« lag, später dem Feind helfen könnten. Bei der anschließenden Überprüfung der Hütten nach versteckten Vietnamesen hätte er, Gerhard Klann, einem alten Mann die Kehle durchgeschnitten, während Kerrey die Füße des Opfers festgehalten habe. Daß mindestens fünf Vietnamesen mit dem Messer getötet wurden, hatte Kerrey zwar während eines CBS-Interviews bestätigt, aber zugleich bestritten, daß es sich dabei um Zivilisten gehandelt hat oder daß er selbst daran beteiligt gewesen ist. Die restlichen Mitglieder seiner Navy-Seal-Einheit hat Bob Kerrey mittlerweile nach Washington zu seiner Unterstützung einfliegen lassen. Diese bestreiten zwar die Darstellung der Ereignisse durch Klann, aber selbst erzählen sie nichts über den Verlauf der Operation.

Pham Thi Lanh ist heute 62 Jahre alt und wohnt immer noch in Thanh Phong. Sie hatte sich damals in den Büschen vor den Amerikanern versteckt. Einer westlichen Nachrichtenagentur erzählte sie ihre Erinnerungen, wonach sie in jener Nacht im schwachen Mondlicht gesehen habe, wie einem älteren Ehepaar aus dem Dorf mit dem Messer die Kehle durchgeschnitten wurde. Später habe sie dann auch noch die drei kleinen Enkel des Ehepaars erdolcht aufgefunden. Eine andere Frau aus dem Dorf berichtet, daß bei dem Massaker in der Nacht vom 25. Februar 1969 von den Amerikanern 13 Kinder, sechs Frauen, von denen eine schwanger war, und ein etwa 60jähriger Mann ermordet worden sind. Aber die Aussagen der Zeugen aus Thanh Phong werden in den Vereinigten Staaten nicht ernst genommen, denn schon wird der Verdacht geäußert, daß sie möglicherweise von ihrer kommunistischen Regierung zu dieser Aussage gezwungen wurde, um die USA in schlechtem Licht erscheinen zu lassen. Staat dessen fordern die Freunde Kerreys im Kongreß und in den Medien, die Sache doch ruhen zu lassen und sich statt dessen wichtigeren Dingen zuzuwenden. Wen würde es wundern, wenn sie dabei an die amerikanische Forderung gedacht haben, endlich den ehemaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Milosevic als Kriegsverbrecher zu bestrafen.

Rainer Rupp

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USA verärgert über Rauswurf in Genf

New York. Mit Verärgerung hat das offizielle Washington auf den Verlust des Sitzes der USA in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen reagiert. Bei der Abstimmung am Donnerstag verloren die USA ihren Sitz, den sie seit der Gründung der Menschenrechtskommission vor 54 Jahren hatten. Sie unterlagen in der Gruppe »Westeuropa und Andere« gegen Frankreich, Österreich und Schweden.

Kongreßmitglieder machten die europäischen Verbündeten Washingtons für den Abstimmungsflop mitverantwortlich. Für ihn sei es keine Überraschung, daß einige europäische Länder sich an dem Manöver zur Eliminierung der USA aus dem Gremium beteiligt hätten, wetterte der Vorsitzende des Auswärtigen Senatsausschusses, der konservative Jesse Helms. Der Präsident des Repräsentantenhauses, Dennis Hastert, sprach gar von einem »Affront gegen die Vereinigten Staaten«. Erbost forderte der republikanische Fraktionsvorsitzende im Repräsentantenhaus, Dick Armey, den Stopp der Rückzahlung von 650 Millionen Dollar an die UN. »Sie haben die älteste Demokratie der Welt rausgeworfen und dafür ein Land mit der schlechtesten Menschenrechtsbilanz der Welt an seine Stelle gesetzt: Sudan«, sagte Armey.