Déjà Vue – Mit Rettungspaketen wieder die Reichen beschenken
von Rainer Rupp
erschienen am 20.März 2020 via KenFM
Aktuell stellt die Administration von Präsident Donald Trump glaubwürdigen Berichten zufolge ein wirtschaftliches und finanzielles Maßnahmenpaket in Höhe von über einer Billionen-Dollar (Tausend Milliarden) zusammen, um die US-Wirtschaft vor dem Absturz in die befürchtete Depression zu bewahren. Aber wie bereits in der letzten Krise geht es dabei hauptsächlich um mit Steuergeldern finanzierte Rettungsaktionen für Big Business, mit dem einzigen Unterschied, dass diesmal (noch) nicht die Banken an erster Stelle stehen sondern andere, sogenannte „systemrelevante“ Industriebranchen wie z.B. die Fluggesellschaften und Konzerne beispielsweise der schwer angeschlagene Aerospace-Konzern Boeing.
Anfang dieser Woche hatte Trump bereits in einer Pressekonferenz 50 Milliarden Dollar an Rettungsgeldern allein für US-Fluggesellschaften in Aussicht gestellt. Trump sagte: „Wir werden die Fluggesellschaften zu 100 % unterstützen – es ist nicht ihre Schuld“. Das stimmt nicht. Es ist sehr wohl ihre Schuld, und das hat mit dem Corona Virus nichts zu tun. Denn in den guten Zeiten haben die Vorstände der Konzerne alles getan, um die Aktionäre, aber vor allem auch sich selbst zu bereichern und statt Geld für schlechtere Zeiten zurückzulegen, haben sie verantwortungslos zusätzliche Schulden aufgenommen. Und nun soll das vorgeschlagene Rettungspaket vor allem die Anteilseigner aber auch mit einem weitaus geringeren Anteil die ungesicherten Gläubiger, z.B. Zulieferer, die den Fluggesellschaften Kredite eingeräumt haben, retten.
Die Alternative zur Rettung der Aktionäre wäre ein Insolvenzverfahren nach Kapitel 11 des US-Unternehmensrechts, das den betroffenen Fluggesellschaften ermöglichen würde, weiter zu operieren, während es zugleich in die Hände der Gläubiger übergeben würde. Die Aktionäre würden dabei alles oder einen großen Teil ihres Aktienwertes verlieren. Wenn die Firma auf Grund eines überarbeiteten oder neuen Geschäftsmodells weiterhin wirtschaftlich ist, dann gibt es für sie einen schuldenfreien Neustart mit neuen Eigentümern und einer neuen Geschäftsführung.
Aktuell geht es um die vier großen US-Fluggesellschaften – Delta, United, American und Southwest –, deren Aktien seit Mitte Februar 2020 in den Sturzflug übergegangen sind und mit Stand von gestern bis zu drei Viertel ihres Aktienkurses verloren haben. Da der Flugbetrieb wegen Covid-19 weitgehend eingestellt und Besserung nicht in Sicht ist, viele Kosten aber weiterlaufen, ist bereits jetzt abzusehen, dass spätestens in ein paar Monaten den vier Fluggesellschaften das Geld ausgeht und ihre Aktienkurse auf dem Boden zerschellen. Trumps 50-Milliarden-Dollar-Rettungspaket soll das verhindern denn die Vier wären die Hauptempfänger.
Da ist nur ein Problem, ein für die USA ziemlich neues Problem, denn in den Internetforen und zunehmend in den Mainstream Medien gibt es eine ungewöhnlich lautstarke Bewegung gegen erneute, mit Steuergeldern finanzierte Bail-Outs zur Rettung der Anteilseigner. Die Gegner des 50 Milliarden Dollar Rettungspakets verweisen nämlich zu Recht darauf, dass die vier betroffenen Fluggesellschaften in den letzten 8 Jahren Unmengen von Geld verschwendet und unsinnig verpulvert haben, anstatt es in Menschen und neues Material zu investieren. So wird den vier Fluggesellschaften nachgewiesen, dass sie seit 2012 zusammen 43,7 Milliarden US-Dollar aufgewendet haben, um Aktien der eigenen Gesellschaft an den Börsen zurückzukaufen, um die Aktienkurse in die Höhe zu treiben.
Mit anderen Worten: Die vier großen US-Fluggesellschaften – Delta, United, American und Southwest –, deren Aktien jetzt am Boden liegen, weil ihnen in ein paar Monaten das Geld ausgehen könnte, sollen die Hauptempfänger des 50-Milliarden-Dollar-Rettungspakets sein, obwohl sie zuvor 43,7 Milliarden US-Dollar mit Aktienrückkäufen verbrannt haben. Die sind für den ordentlichen Geschäftsablauf zwar unnütz, dafür aber waren sie höchst effektiv darin, Aktionäre, d.h. die Anteilseigner zusätzlich zu bereichern. Und ausgerechnet diese Leute sollen jetzt durch Trumps Rettungspaket vom Steuerzahler gerettet werden.
Aktienrückkäufe galten lange Zeit als eine Form der Marktmanipulation und waren nach US-Aktienrecht (SEC-Regeln) bis 1982 illegal. Damals machte sich bereits der Einfluss der neo-liberalen, so genannten „Chicago-Boys“ bemerkbar, als einige neue SEC Regeln (10b-18) herauskamen, die Unternehmen bei einem Überfluss an Cash einen „sicheren Hafen“ für ihr Geld anbieten wollten, nämlich in Form von Rückkäufen der eigenen Aktien, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen.
Als aber die Konzerne im Laufe der Jahre herausgefunden hatten, dass sich niemand von der Aufsichtsbehörde um diese Bedingungen kümmerte und niemand etwas prüfte, nahmen die Aktienrückkäufe zu. Aber sie explodierten erst, nach der Finanzkrise. Damals hatte die US-Zentralbank die Kreditzinsen gegen Null getrieben, was so gut wie alle großen Konzerne an der Wall Street ausnutzen, um mit Billigkrediten über Rückkäufe die Kurse ihrer Aktien in die Höhe zu treiben.
Die 500-Unternehmen des US-Börsenindexes S&P, einschließlich derjenigen, die jetzt riesige Rettungspakete von den Steuerzahlern und von der Fed fordern, haben seit 2012 für insgesamt 4,5 Billionen (4500 Milliarden) Dollar ihre eigenen Aktien zurückgekauft, dies mit gigantische Summen geliehenen Geldes finanziert, und nun sind seit Corona praktisch über Nacht die Aktienkurse ganz, ganz tief abgestürzt. Die Börsenwerte von gestern sind verbrannt, aber die Schulden sind geblieben. Die Konzerne sind kaputt. Und wenn sie nicht mit Steuergeldern gerettet werden, dann werden sie nicht an die Rückzahlung ihrer Kredite denken und dann werden auch die Banken vor dem Aus stehen. Die betrügerische, zum großen Teil nur noch aus heißer Luft und Zulieferungen aus China bestehende US-Wirtschaft ist kaputt und diesmal darf gezweifelt werden, ob zusätzliche Billionen von Rettungsgeldern das wieder heilen können.
Im Jahr 2018 war der Chef der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC wegen der ungezügelten Aktienrückkäufe und was diese für die finanzielle und operative Gesundheit der Unternehmen bedeutete, kurzzeitig nervös geworden. Damals sagte SEC-Kommissar Jackson: „Zu oft haben Unternehmen, die Rückkäufe tätigen, es versäumt, die langfristigen Investitionen in Innovation oder ihre Arbeitskräfte zu tätigen, die unsere Wirtschaft so dringend benötigt“. Zugleich hinterfragte er, ob die bestehenden SEC-Regeln „Investoren, Arbeitnehmer und Gemeinschaften vor der Flut des Aktienhandels der Unternehmen, der die heutigen Märkte dominiert, schützen können“. Offensichtlich konnten sie das nicht, wie wir aktuell sehen.
Neben den Fluggesellschaften steht derzeit der Aerospace-Konzern Boeing im Fokus der Kandidatenlisten für das Rettungspaket mit in Steuergeldern in Höhe von 60 Milliarden Dollar, möglichst sofort!
Wenige Stunden nachdem Präsident Trump den Luftverkehrsgesellschaften seine Zustimmung zu ihrem Rettungspaket signalisiert hatte, melde sich Boeing zu Wort und wollte ein eigenes Rettungspaket von 60 Milliarden Dollar. Der Kurs der Boeing Aktien liegt aktuell um mehr als 75 Prozent unter seinem Höchststand vom September 2019.
Der Sturzflug der Boeing Aktie fing aber bereits vor Covid-19 an, nämlich nach den tragischen Abstürzen von zwei der neuesten 737 MAX Airliner. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass das aus Gründen der schnellen Gewinnmaximierung, ein der neuen Maschine ein fehlerhaftes Design zu Grunde gelegt worden war. Hinzu kommt, dass bei eingehenden Untersuchungen nach den Abstürzen deutlich geworden war, dass die Verarbeitung der neuen Maschine eine einzige Katastrophe ist, für die niemand die Verantwortung übernehmen will. Seither wurde die Produktion der 737 MAX eingestellt und die existierenden Modelle haben Flugverbot.
Zugleich hat auch Boeing seit 2012 für mehr als 100 Milliarden US-Dollar seine Aktien zurückgekauft, viel Geld, das jetzt fehlt.
Am 30. 9. 2012 hatte der Luftfahrttechnologiekonzern Boeing mit 762 Millionen ausstehenden Aktien, die zu diesem Zeitpunkt zu rund 65 Dollar gehandelt wurden einen Börsenmarktwert von 49,6 Milliarden Dollar. Seither begann auch das Boeing-Management systematisch und zum Großteil mit geliehenem Geld zu den Billigstzinsen der US-Zentralbank FED 198 Millionen Stück der eigenen Aktien an der Börse zurückzukaufen. Dafür gab die Boeing-Chef-Etage mit Zustimmung des Aufsichtsrats der Kapitaleigner (Aktionäre) bis zum 30.09. 2019 insgesamt die gewaltige Summe von 100 Milliarden Dollar hauptsächlich geliehenen Geldes aus.
Nicht nur, aber hauptsächlich Dank dieser seit 1982 wieder erlaubten, preistreibenden Marktmanipulation war der Boeing-Aktienpreis bis zum Februar 2019 um 670 Prozent auf 446 Dollar pro Aktie gestiegen. Bei 565 Millionen Aktien im Umlauf gab das Boeing einen Börsenmarktwert von einer Viertel Billionen Dollar, genau 252 Milliarden Dollar. Durch den Absturz bedingt liegt der Börsenmarktwert nur noch bei 56,5 Milliarden Dollar, also nur noch knapp über dem Niveau von 2012. Dafür hat das Unternehmen durch die Rückkäufe riesige Schulden angehäuft.
Natürlich war die Freude der Anteilseigner und des Managements ob dieser Entwicklung riesengroß. Denn die Anteilseigner haben von den höheren Aktienpreisen an der Börse um ein Vielfaches mehr profitiert als von einer höheren Dividendenausschüttung; der Grund: Der Großteil der Preistreiberei wurde mit geliehenem Geld finanziert, was jedoch zur Finanzierung von Dividenden nicht erlaubt ist.
Den Hauptgewinn dieser Preismanipulation der Boeing-Aktien nach oben, und zwar mit Geld, das der Konzern geliehen hat, hat das Management der Firma eingefahren. Denn das übliche, meist etliche Millionen Dollar große Jahresgehalt wird normalerweise durch einen Bonus erheblich aufgebessert. Dieser Bonus kommt meist in Form von Aktienoptionen, wie anhand eines vereinfachten Beispiels erläutert werden kann: Solch ein Bonus besteht z.B. aus der Verpflichtung eines Konzerns, in einem bestimmten Jahr dem Geschäftsführer 20.000 Boeing-Aktien zu schenken, wenn die Aktie bis zum Jahresende den Börsenkurs von 250 Dollar/Stück überschritten hat. Das wäre dann ein Bonus von 5 Millionen Dollar.
Nach der nur extrem langsamen Erholung der realen Wirtschaft nach dem schweren Zusammenbruch infolge der Finanzkrise von 2008 und der anschließenden Krise der Staatsfinanzen war der Rückkauf von Aktien der eigenen Konzerne der Hauptsport der Anteilseigner und der Geschäftsführung der großen, an den Börsen notierten Konzerne geworden.
Jetzt hat der Corona Virus den Schleier von der verrotteten Unternehmenskultur von Boeing gerissen. Aber genauso wenig wie bei den Luftverkehrsunternehmen trägt Covid-19 nicht die Hauptschuld an der Misere des Unternehmens. Dennoch versucht Boing aus der Krankheit Kapital, bzw. ein staatliches Rettungspaket zu schlagen, um sein Überleben zu sichern.
„Der kurzfristige Zugang zu öffentlicher und privater Liquidität wird eine der wichtigsten Möglichkeiten für Fluggesellschaften, Flughäfen, Lieferanten und Hersteller sein, eine Brücke zur Erholung zu schlagen“, sagte der Sprecher von Boeing und weiter: „Wir wissen zu schätzen, wie sich die Regierung und der Kongress in dieser schwierigen Zeit mit allen Elementen der Luftfahrtindustrie beschäftigen.“
Da sich die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus von Tag zu Tag verstärken, werden wahrscheinlich auch andere stark betroffene Branchen demnächst um Rettung bitten. Während solche Rettungsaktionen Massenentlassungen und Störungen der Wirtschaft verhindern können, läuft die Sache aber letztlich auf nichts anderes hinaus, als Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Unter diesem Banner führt ausgerechnet der US-Multimilliardär Mark Cuban derzeit in der Öffentlichkeit den Kampf gegen die geplanten Rettungspakete der Trump-Regierung an.
Der 1958 geborene Cuban ist Unternehmer, Börsenspekulant, Eigentümer des berühmten Basketball Clubs Dallas Mavericks, sowie im Sport- und Fernsehgeschäft tätig.
Am 18. März erschien Cuban zum Interview auf dem populären, US-weit ausgestrahlten Sender CNBC um zu „Virus-Bail Outs“, wie er die Rettungspakete nannte, Stellung zu nehmen. Er zeigte sich immer noch empört über die Rettungspakete, die während der Finanz und Wirtschaftskrise vor 10 Jahren geschnürt worden waren, weil kein einziger der Führungskräfte der großen Konzerne, die für die Große Rezession verantwortlich waren, zur Rechenschaft gezogen worden war. Zugleich monierte er, dass der allergrößte Teil des TARP-Rettungsprogramms der US-Zentralbank Fed in die Reihen der Führungskräfte und Anteilseigner geflossen war und die Lücke zwischen Arm und Reich im Land nur noch vergrößert habe.
Auch bezüglich der aktuellen Krise beklagte Cuban, dass auch diesmal bei den Rettungsaktionen die Massen der Mittelschicht ignoriert und stattdessen wieder den Führungskräften geholfen wird, ausgerechnet den Leuten, die ihre Unternehmen vor allem durch Aktienrückkäufe in solch prekäre Positionen gebracht haben, dass sie den Sturm einer Krise nicht überstehen können.
„Wir wissen jetzt bereits, was passieren wird“, sagte Cuban. „In einem Jahr, werden wir zurückblicken und sagen, warum haben wir die Arbeiter nicht berücksichtigt? Der tägliche Lohnarbeiter. Die Menschen, die Mindestlohn haben. Warum haben wir ihnen nicht auch geholfen?“
Er fuhr fort: „Deshalb sollten wir darauf achten, dass, was auch immer wir in einem Rettungspaket tun, wir sicherstellen, dass jeder Arbeiter entschädigt und gleichbehandelt wird und dass die Führungskräfte nicht extra belohnt werden, um in der Firma zu bleiben, nur weil sie nirgendwo anders hingehen können.“
„Die Regierung hat für die Unternehmenschefs das Risiko aus ihrer Gleichung herausgenommen, also lassen Sie uns auch alle Arbeitnehmer gleichbehandeln“, sagte Cuban. Auf die Frage, wie das gemacht werden soll, sagte Cuban:
„…. Wenn mit einem staatlichen Rettungspaket einem privaten Unternehmen geholfen wird, – sei es eine Fluggesellschaft oder was auch immer – … muss sichergestellt werden, dass das Unternehmen verpflichtet wird, proportional für alle anderen, die für das Unternehmen arbeiten, das Gleiche zu tun, was es für seine Führungskräfte tut. Die gleiche Behandlung, Punkt, Ende der Geschichte.“ Zugleich müsste als „Bedingung für ein Rettungspaket der Aktienrückkauf verboten werden, für immer. Keine Rückkäufe. Nicht jetzt, nicht in einem Jahr, nicht in 20 Jahren. Niemals“, schloss Cuban.