Déjà Vue – Nur schlimmer als 2008?
von Rainer Rupp
erschienen am 25.Januar 2016 via KenFM
Während die Musik in den Salons des so genannten Weltwirtschaftsgipfels in Davos für die Milliardäre spielt und die herbeigeeilten Politiker und Presstituierten sich ehrerbietig den wirklich Mächtigen andienen, droht die Titanic der realen Weltwirtschaft in gefährliche Schieflage umzukippen. Angeführt von einem breit angelegten Einbruch der Finanztitel setzte sich letzte Woche die Malaise an den europäischen Aktienmärkten fort. Zugleich ist die prekäre Lage der Peripherieländer der Eurozone und deren nationale Bankensysteme wieder verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt worden, in Spanien, Portugal, Griechenland und insbesondere auch in Italien.
Vor allem italienische Bankaktien sind in den letzten Tagen und Wochen in den Keller gegangen. So ist z.B. der Kurs der alt-ehrwürdigen Banca Monte dei Paschi di Siena, SPA (BMPS) seit April letzten Jahres von 2,56 € auf derzeit 0,70 abgestürzt. Ebenso wie etliche Landesbanken der deutschen Sparkassen wollte auch die BMPS im großen Finanzkasino mitzocken und hat dabei verloren. Ebenso wie viele europäischen und amerikanischen Banken konnte auch sie nach 2008 nur noch mit staatlicher Hilfe (d.h. mit Steuergeldern) über Wasser gehalten werden. 2007 lag der Kurs der BMPS noch bei 89 €. Wie vor wenigen Tagen berichtete, werden die italienischen Anleger zunehmend nervös und fragen sich, wie es mit dem Bankensektor angesichts der von der EZB herbei manipulierten, extrem niedrigen Zinssätzen überleben kann und – eine noch viel drängendere Frage, wie die italienischen Banken über die auf 200 Milliarden Euro angehäuften Schulden je zurückzahlen sollen?
Um einen noch schlimmeren Absturz des italienischen Bankensektors zu verhindern, hat die Aufsichtsbehörde in Rom letzte Woche mal wieder in den „Freien Markt“ eingegriffen und vorübergehend den Aktienhandel ausgesetzt. Zugleich wurden – wie bereits während der letzten Krise – die Leerverkäufe von Bankaktien (also Spekulationen auf sinkende Kurse) verboten. Während dieses Maßnahme für viele Marktteilnehmer signalisierte, dass eine neue Krise bevorsteht, war sie dennoch ein Schuss in den Ofen, denn die Spekulanten umgingen das Verbot von Leerverkäufen indem sie die Preise der CDS-Kreditausfallversicherungen für BMPS und den gesamten Bankensektor nach oben trieben, wodurch Fremdgeld für die Banken erheblich verteuert wurde.
Die Situation der Bankenbranche in den meisten anderen Ländern der EU und des gesamten Westens ist nicht viel besser. Was sich in den letzten Jahren abgespielt hat, war ein Tanz der Banken-Zombies, der lebenden Toten auf einem Vulkan, der jederzeit wieder Feuer speien konnte. Denn das Problem der Überschuldung des gesamten Bankensektors ist längst nicht vorbei. Und das betrifft nicht nur Italien oder kleiner periphere Länder der EU, nein, auch in Deutschland fällt der Lack von der glitzernden Bankenfassade immer schneller ab, bereits das zweite Mal in 8 Jahren, und droht die reale Wirtschaft früher oder später mitzureißen. So ist der Kurs des deutschen Banken-Flaggschiffs Deutsche Bank (DB) seit August 2015 von 32 € auf derzeit 16,61 € abgestützt. Im Jahr 2007 musste man für eine DB-Aktie noch 102 € hinblättern. Und bei der Commerzbank ist die Entwicklung noch fataler. Stand deren Aktienkurs 2007 noch bei 228, dann bekommt man heute pro Aktie nur noch 7,52 €. Dabei haben Politiker, Banken und Medien immer wieder den Arbeitern und kleinen Angestellten auch in Deutschland eingeredet, sie sollten doch ihre Spargroschen fürs Alter in Aktien anlegen. Wer daran geglaubt hat und vor 8 Jahren für 1020€ zehn Aktien der Deutschen Bank gekauft hat, der hat jetzt nur noch 166€ in der Tasche, die Inflation nicht mitgezählt. Und es wird noch schlimmer kommen, wenn man Top-Ökonomen Glauben schenkt, die nicht länger den Mainstream mit geschönten Analysen bedienen wollen. Auf deren Seite hat sich nun auch William White geschlagen. Der ehemalige Chefökonom der BIS, der Zentralbank der Zentralbanken, und aktuelle Chefökonom der OECD hat am Mittwoch in Davos dem britischen Blatt „The Telegraph“ ein Interview gegeben, wonach das globale Finanzsystem „gefährlich instabil“ ist und wir „vor einer Lawine von Insolvenzen stehen, die die soziale und politische Stabilität (in Europa) testen wird“. Das europäische Bankensystem würde von Tausend Milliarden Euro Schulden erdrückt. Die Situation sei heute „schlimmer, als im Jahr 2007“ und „die makroökonomische Munition der Zentralbanken, um Einbrüche zu bekämpfen“, sei „im Wesentlichen aufgebraucht“. Und in dieser Situation gibt es kaum noch Hoffnung auf nachhaltige Verbesserung der realen Wirtschaft, im Gegenteil. Die schöne Fassade, wonach wirtschaftlicher „Fortschritt“ in Europa von Politikern und Medien ganz einfach mit dem Hinweis auf die hohen Kurse am Aktienmarkt und die niedrigen Anleihe-Renditen für Schatzbriefe „beweisen“ wurde, kann nicht länger das heranziehende Unwetter einer neuen Rezession verdecken. Für François Hollande und seine nur noch dem Namen nach „sozialistische“ Regierung sind die schönen Tage, wo sie sich hinter den von der EZB manipulierten Daten verstecken konnten, endgültig vorbei.
Die Menschen bewundern nicht mehr die „unsichtbaren Kleider“ des Kaisers, sondern sie haben erkannt, dass der Präsident nackt da steht und einer tief gespaltenen Nation vorsteht. So wird Frankreichs Stabilität durch immer neue Rekorde bei der Arbeitslosigkeit, durch wachsende Armut und Ungleichheit und durch eine aus den letzten Regionalwahlen sehr gestärkte anti-Euro und anti-EU/NATO Opposition erschüttert.
In einer angesichts der bevorstehenden Wahlen schon nach Verzweiflung riechenden Rede hat der „Sozialistenführer“ Hollande Anfang der Woche eingestanden, dass seine bisherige Wirtschaftspolitik nicht aufgegangen sei, dass sich Frankreich in einem wirtschaftlichem „Ausnahmezustand“ befinde und dringend weitreichende Reform notwendige seien, wobei er natürlich an die von Deutschland empfohlenen, Unternehmer freundlichen und Arbeiter und Gewerkschafter feindliche Maßnahmen im Stil von Gerhard Schröders „Agenda 2010“ und der so genannten Hartz IV –„Reformen“ denkt. Immer mehr Staatoberhäupter in der EU warnen zunehmend schrill, dass der Zusammenhalt der Union ernsthaft gefährdet ist. Vordergründig geht es um die Verweigerung der Aufnahme der Flüchtlingsströme. Viele Länder machen Kanzlerin Merkels explizite Einladungs- und Willkommenspolitik dafür verantwortlich. Aber die Risse in der Union gehen tiefer und nicht selten treffen jetzt diametral entgegen gesetzten Vorstellungen über Wirtschafts-, Währungs-, und Sozialpolitik kompromisslos aufeinander. Das betrifft auch den Streit über mehr oder weniger zentralstaatliche Steuerungen durch demokratisch nicht gewählte und legitimierte EU-Organe in Brüssel. Von der Slowakei, über Polen und Österreich, von London bis Brüssel hört man inzwischen immer häufiger Tabu-Brüche in Form der Infragestellung des Bestands der Union. Selbst EU-Kommissionschef Juncker befürchtete Anfang letzter der Woche schon, dass die heftigen Streitigkeiten “bereits der Anfang vom Ende sein könnten”.