Der amerikanische Virus

Der amerikanische Virus

von Rainer Rupp

erschienen am 22.09.1998 in der Jungen Welt

Milliardeneinkommen von US-Managern werden zum Maßstab der »Eliten«

Die Globalisierung hat die »sozialstaatliche Illusion« als solche entlarvt, schrieb der Verfechter der neoliberalen Ideologie Andreas Zielcke vor einem Jahr in der FAZ. Statt die verlogenen Phrasen vom »Fortschritt für alle« zu beschwören, bekannte er unverblümt: »Die Globalisierung läuft im Interesse des Kapitals.« Intellektuelle Unredlichkeit kann man Herrn Zielcke nicht vorwerfen, der neben dem Kapital noch einen weiteren Gewinner der Globalisierung ausmacht, den »arrivierten Stand der Angestellten«, die über die Fähigkeit verfügten, global zu agieren und zu profitieren und sich deshalb auch am nachhaltigsten für den globalen Markt einsetzten. In der Tat läßt sich diese Gruppe mittlerweile problemlos der kapitalistischen Klasse zurechnen. In einer von Amerika ausgehenden Entwicklung lassen sich die Spitzenmanager der Multis ihre Dienste fürs Kapital mit Aktienoptionen mehr als nur versüßen und erzielen Jahreseinkommen, von denen die meisten kleinen und mittleren Unternehmer nur träumen können.

Der Manager als Milliardär

Im letzten Jahr hat der Vorstandsvorsitzende der amerikanischen Walt Disney Corporation, Michael Eisner, sage und schreibe 556 Millionen US-Dollar verdient, zum gegenwärtigen Kurs fast eine Milliarde Mark. Persönliches Einkommen wohlgemerkt. Dabei hat er nur zur Hälfte von den Aktienoptionen Gebrauch gemacht, die ihm als Teil seines Gehaltes eingeräumt worden waren. Wenn er schlau war, hat er die andere Hälfte zu den noch höheren Börsenkursen im ersten Halbjahr ’98 abgestoßen und dabei noch mehr verdient. Wenn er jedoch zu gierig war und zu lange gewartet hat, dann haben die ihm verbliebenen Optionen durch die jüngste Talfahrt der amerikanischen Börse etwa 150 Millionen US-Dollar an Wert verloren. Trotzdem dürfte er auch dieses Jahr ein standesgemäßes Einkommen haben.

Aktienoptionen sind in Amerika seit langem ein fester Bestandteil der Bezahlung für Topmanager, neben Gehalt und Bonus. Mit den Optionen wird dem Manager das Recht eingeräumt, eine bestimmte Anzahl Aktien des eigenen Unternehmens zu einem festgesetzten Niedrigpreis zu kaufen und jederzeit zum höheren Börsenkurs zu verkaufen. Je höher der Börsenkurs, desto höher der Wert seiner Option. Sein oberstes Ziel ist es also, den »shareholder value« zu steigern, was ja im ureigensten Interesse der Aktienbesitzer ist. Einfachstes, sicherstes und daher beliebtestes Mittel, dies zu tun, waren Massenentlassungen. Die wurden in der Vergangenheit stets mit sofort steigenden Börsenkursen belohnt, zeugten sie doch von einer aggressiven und kostensenkenden Unternehmenspolitik.

Gegen eine Beteiligung am Unternehmenserfolg wäre an sich nichts einzuwenden, wenn diese nicht nur den wenigen Top-Managern vorbehalten bliebe. Und wenn diese Beteiligung der wenigen nicht mittlerweile amoralische Dimensionen erreicht hätte, und das durchschnittliche reale Einkommen des amerikanischen Arbeiters in den letzten 25 Jahren nicht zurückgegangen wäre. Top-Verdiener wie Michael Eisner sind jedoch kein Einzelfall, wenn er letztes Jahr auch an der Spitze lag. Die Optionen, die der Chef des Computerriesen Compaq bekam, waren nur 188 Millionen US-Dollar wert. Die Hälfte aller amerikanischen Spitzenmanager erzielte 1997 Jahreseinkommen von nur 18,5 Millionen Dollar, wie neulich ein Personalberatungsbüro für Multis berechnete. Der Anteil des eigentlichen Gehalts und des Bonus machte dabei weniger als zwei Millionen Dollar aus.

Begehrlichkeiten

Europäische Topmanager werden in bezug auf Gehalt und Bonus ähnlich großzügig bezahlt. Aber Aktienoptionen hielten in der Alten Welt erst relativ spät Einzug, zuerst unter Maggie Thatcher Anfang der achtziger Jahre in England. Dort erzielte die Hälfte der angestellten Topleute im letzten Jahr ein Durchschnittseinkommen von 4,3 Millionen Dollar. Das war zwar weit unter dem US-Niveau, aber trotzdem um ein Vielfaches höher als bei ihren Kollegen in Deutschland, wo z. B. der Spitzenmann von Daimler-Benz, Herr Schrempp, nur etwas weniger als eine Million Dollar in Optionen bekam. Unter den »armen« deutschen Top-Managern, die sich selbst doch zu gerne zur Spitze der europäischen Elite zählen, weckt so was natürlich Begehrlichkeiten.

Daß die Klagen der unterbezahlten deutschen Manager berechtigt sind, wurde spätestens im Mai dieses Jahres klar, als Daimler-Benz faktisch die amerikanische Chrysler- Corporation übernahm. Allein die Nummer zwei im Chrysler- Vorstand, Mr. Robert Eaton, erzielte auf Grund seiner Optionen 1997 ein höheres Einkommen als die zehn ranghöchsten Manager von Daimler-Benz zusammengenommen, wie kürzlich die New York Times berichtete. Daß deutsche Spitzenmanager als unsere Leistungsträger im globalen Wettbewerb nicht länger derart eklatant benachteiligt werden dürfen, dafür muß auch der einfache Arbeiter mit seinem Jahreseinkommen von 30 000 DM Verständnis haben. Um Abhilfe zu schaffen, führte Daimler-Benz vor zwei Jahren das System der Optionen für 170 seiner Topmanager ein. Seitdem wurde der Umfang der Optionen und der Kreis der Bevorzugten erheblich erweitert.

Robert Eaton, die schon erwähnte Nummer zwei von Chrysler, erwartet, daß es unumgänglich ist, daß schon bald deutsche und amerikanische Spitzenmanager von Daimler- Chrysler ähnlich hoch bezahlt werden. Sein Argument ist von bestechender Logik: »Wir müssen alle wettbewerbsfähig bleiben!« Der amerikanische Virus verbreitet sich.

Während die Kinderarmut wächst und immer größere Gruppen ins soziale Abseits driften, haben die Besserverdienenden längst ihren Blick für gesellschaftliche Relationen verloren, sei es für die weltweiten Ungerechtigkeiten oder die Realität vor der eigenen Haustür. Von unseren »Eliten« hört man nicht einmal mehr nachdenkliche Worte über die akute gesellschaftliche Krise. Rücksichtslos setzen sie sich für den neoliberalen globalen Markt und ihren »shareholder value« ein. Unermeßliche persönliche Reichtümer und Macht winken. Diese Entwicklung veranlaßte den christlichen Moraltheologen Hans Küng zu der Aussage, daß »eine Wirtschaftsdoktrin, die sich ausschließlich am Profit orientiert, nicht nur unrealistisch und selbstzerstörerisch, sondern auch unmoralisch ist«.