Der Papiertiger muß Zähne zeigen
von Rainer Rupp
erschienen am 01.07.1998 in der Jungen Welt
Kommentar zur selbst angemaßten Rolle der NATO in Kosovo
Niemand bestreitet, daß Kosovo ein integraler Bestandteil Serbiens ist, auch die NATO nicht. Allerdings bestreitet die NATO, und vorneweg Deutschland, den Serben das Recht, innerhalb der Grenzen ihres souveränen Landes gegen bewaffnete und terroristische Separatisten vorzugehen. In diesem Fall drohen sie mit NATO-Bomben.
Einerseits wird man in Brüssel und Bonn nicht müde zu beteuern, daß man eine Sezession des Kosovo nicht will, sondern nur Verhandlungen für eine größere Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens. Andererseits unterstützt man einseitig die Kräfte im Kosovo, die sich erklärtermaßen mit weniger als einer Sezession nicht zufriedengeben wollen.
Das Engagement der NATO gegen Serbien – mit Bonn als treibender Kraft – wird mit der angeblichen Sorge um die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo gerechtfertigt. Reine Heuchelei, denn dieselben Menschenrechtsverteidiger liefern massenweise Waffen in die Türkei, mit deren Hilfe bisher über 3 000 kurdische Dörfer zerstört wurden. Wendet man die zur Zeit für den Kosovo propagierten Maßstäbe für das NATO-Mitgliedsland Türkei an, dann hätte die türkische Armee schon längst in die Steinzeit gebombt werden müssen.
Der Schutz der Menschenrechte kann also nur ein Vorwand für die Einmischung der NATO in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens sein. Ein wirkungsvoller Vorwand, um die öffentliche Meinung zu vereinnahmen und auf eine Intervention vorzubereiten. Aber welche Gründe verbergen sich hinter den Kriegsvorbereitungen der NATO? Kosovo hat kein Öl und nur einige wenige andere Bodenschätze. Als besonderer Markt kommt er nicht in Frage, da klein und bettelarm.
Der Grund liegt in der neuen Rolle der NATO und ihrem Selbstverständnis, als einzige effektive sicherheitspolitische Organisation in Europa Polizei spielen zu müssen. In Bosnien ist das bisher nur notdürftig gelungen. Unter der Oberfläche schwelt der Konflikt weiter. Steht die NATO im Kosovo nun tatenlos beiseite, dann leidet ihre Glaubwürdigkeit nur noch mehr und damit könnte nicht nur ihre langfristige Strategie der Ostexpansion, sondern auch sie selbst erneut in Frage gestellt werden. An der Stärkung und Expansion der NATO hängen aber wirtschaftliche, politische und machtpolitische Interessen der Mitgliedsländer. Folglich muß auch im Kosovo unter Beweis gestellt werden, daß die NATO kein Papiertiger ist.
Eine NATO-Intervention im Kosovo ohne UN-Mandat käme einer Kriegserklärung an Jugoslawien gleich und würde gegen Völkerrecht und KSZE-Schlußakte verstoßen. Doch das scheint die meisten NATO-Mitglieder wenig zu kümmern. Besonders bei Amerikanern und Deutschen haben die widerborstigen Serben einen schlechten Stand, haben sie sich doch bisher trotzig der neuen politischen und marktwirtschaftlichen Weltordnung des Westens widersetzt.
Nun drängt sich die Frage auf, warum ausgerechnet die Deutschen, vorneweg die große Koalition von Volker Rühe und Möchtegern-Außenminister Rudolf Scharping, so sehr auf eine NATO-Intervention auch ohne UN-Mandat drängen? Alter Haß auf die Serben kann kaum ein ausreichender Grund für solch einen gefährlichen Kurs sein. Es geht vielmehr um die Neuordnung der Machtverhältnisse im europäischen Hinterhof.
Eins müßte den Machtstrategen in Bonn jedoch klar sein: Kosovo ist nicht Bosnien, und Serbien wird sich nicht kampflos dem Diktat der NATO unterwerfen. Ein Spaziergang wird es für die Bundeswehr nicht werden. Zu gerne möchte ich wissen, wie viele Zinksärge Herr Rühe bereits für den Rücktransport bestellt hat. Und was wird er den Müttern der getöteten deutschen Soldaten erzählen? Ganz bestimmt nicht, daß sie für deutsche Machtansprüche und Großmannssucht gestorben sind.