Der transatlantische Aluhut: „Fake News“-Vorwurf setzt auf Wiederkehr McCarthys
von Rainer Rupp
erschienen am 4.Dezember 2016 ia RT deutsch und KenFM
Der Vorwurf angeblicher „Fake News“ zielt darauf ab, unliebsame Fakten zu ersticken. Zu oft sind aus Verschwörungstheorien nachgewiesene Verschwörungsfakten geworden. Die vermeintlichen „Spinner“ haben sich nicht selten als gute Menschenkenner erwiesen.
Meinung von Rainer Rupp
Der erste große Angriff unter dem Banner des neuen Kampfbegriffes „Fake News“, mit dem versucht wird, gleich die gesamte Sparte der alternativen Medien einzuschüchtern und ins Abseits zu stellen, wurde am 24. November dieses Jahres von der Washington Post (WaPo) geritten. An diesem Tag hatte die Chefredaktion der Zeitung ihrem Technologie-Reporter Craig Timberg grünes Licht gegeben, um eine – im wahrsten Sinn des Wortes – unglaubliche Geschichte über diese angeblichen „Fake News“ zu veröffentlichen.
Mit dieser Geschichte Timbergs hat die WaPo einen Rückgriff auf die übelsten Zeiten der jüngeren amerikanischen Geschichte gewagt, nämlich auf jene Zeit, in der Senator Joseph McCarthy der am meisten gefürchtete Mann Amerikas war. Es war eine Zeit, in der anonyme Denunziationen, Gesinnungspolizei und lange Haftstrafen für „unamerikanische Aktivitäten“ an der Tagesordnung waren. Schlimmer noch: Die Washington Post, die einst durch die Aufdeckung des Watergate-Skandals Weltruhm erlangt hatte, hat dieser Geschichte Timbergs die Patina der Glaubwürdigkeit verliehen und damit womöglich einen Weg zur Wiederholung der faschistoiden Verbrechen jener Zeit geebnet.
Unter dem Titel „Russland manipuliert öffentliche Meinung in USA durch Online-Propaganda“ hat Reporter Timberg vor knapp drei Wochen der mehr als zwielichtigen Website PropOrNot zu weltweiter Prominenz verholfen, indem er deren „Schwarze Liste“ von Homepages von 200 alternativen US-Nachrichtenportalen ins Internet gestellt hat. Die anonymen Autoren der Liste beschuldigen in dem Artikel die Betreiber der zum Großteil sehr beliebten und vielgelesenen alternativen Nachrichtenportale, mittels „Fake News“ Propaganda für Russland zu machen und teils bezahlte Einflussagenten des Kreml zu sein. Nach Beweisen oder auch nur Indizien oder belastbaren Hinweisen für diese Behauptungen sucht man vergeblich.
Neben den Flaggschiffen progressiver, linker US-Onlinepublizistik wie z.B. „Truthdig“, „Counterpunch“, „Truthout“, „Naked Capitalism“ oder dem „Black Agenda Report“ – eine dem neoliberalen afro-amerikanischen Establishment kritisch gegenüberstehende afro-amerikanische Webseite – umfasst die „Schwarze Liste“ auch libertäre oder konservative Online-Medien wie z. B. den bekannten „Drudge Report“. Ebenfalls auf der Liste stehen natürlich die englischsprachige, rund um die Welt ausgestrahlte Version von „Russia Today“ und selbstverständlich „Wikileaks“.
Praktisch jede US-Webseite, die außenpolitisch nicht das Glaubensbekenntnis der neo-konservativen und „liberalen“ Kriegsfalken nachbetet und innenpolitisch nicht das Credo des neoliberalen Ausbeuter-Chors singt, wird in der Liste erfasst. Und um zu zeigen, in welch obskurer Gesellschaft sich diese vermeintlich russischen „Meinungsagenten“ befinden, sind noch einige Dutzend Webseiten aus dem rechtsextremen Dunstkreis und auch aus UFO- und Esoteriker-Kreisen untergemischt.
Anonyme Beschuldigungen werden für bare Münze genommen
Erstaunlich ist, dass die WaPo keine Informationen über die „PropOrNot“-Betreiber gibt. Die Gruppe „PropOrNot“ kann auf diese Weise – ohne Rechenschaft geben zu müssen – mithilfe ihrer „Schwarzen Liste“ den Stab über 200 Webseiten brechen, diese als russische Einflussagenten beschimpfen und die materielle Existenz der Betreiber dieser Webseiten zu gefährden. Zugleich unterstellen sie jedem Leser dieser alternativen, kritischen Nachrichtenportale implizit, ein Gegner Amerikas bzw. unamerikanischer Aktivitäten verdächtig zu sein.
Sowohl von der WaPo als auch von der Webseite „PropOrNot“ erfahren wir nur, dass es sich bei den anonymen dahinterstehenden Mitgliedern angeblich um Leute mit „außenpolitischer, militärischer und technologischer Expertise“ handeln soll. Die Zeitung rechtfertigt die Wahrung der Anonymität der auf Denunziation spezialisierten Mitglieder der Gruppe mit einer Begründung, die direkt einem Drei-Groschen Revolver-Roman entstammen könnte, nämlich dass die Aufdeckung ihrer Identität sie sofort zur „Zielscheibe von Legionen gut ausgebildeter russischer Hacker“ machen würde.
Auf Nachfragen konnte die Zeitung auch nicht erklären, auf Grund welcher Methodologie PropOrNot entschieden hat, welche Nachrichten gefälscht oder echt sind. Oder mit welchen Methoden die angebliche „russische Desinformationskampagne“ gegen die Wahlverliererin Hillary Clinton in die alternativen US-Nachrichtenkanäle eingespeist wurden. Auf diese und viele anderen Fragen bleibt die WaPo jede Antwort schuldig.
Lediglich auf der PropOrNot-Webseite gab es verworrene Aussagen über deren Arbeitsweise: „Bitte beachten Sie, dass unsere Kriterien auf Verhaltensweisen beruhen. […] Für die Zwecke der Definition spielt es keine Rolle, […] ob sie [gemeint sind die Betreiber alternativer Webseiten, Anm. des Autors] überhaupt wissen, dass sie die russische Propaganda bis zu einem bestimmten Punkt wiederholen. Wenn sie diese Kriterien erfüllen, dann handeln sie zumindest als gutgläubige, nützliche Idioten der russischen Geheimdienste und bedürfen daher einer näheren Überprüfung.“
„Fake News“-Vorwurf soll kritische Diskussion ersticken
Im Klartext heißt das, dass jeder, der Material veröffentlicht, das – unter Zugrundelegung der seltsamen „Definition“ dieser anonymen Denunzianten – zum „Nutzen“ des russischen Staates interpretiert werden kann, von diesen Leuten als potentielles Trojanisches Pferd für Moskau auf die „Schwarze Liste“ gesetzt werden kann, was dann von den Behörden „einer näheren Überprüfung“ unterzogen werden muss.
Und was sind nun genau „Fake News“ zum „Nutzen“ des russischen Staates? Zumindest dazu hat sich PropOrNot auf seiner eigenen Webseite etwas detaillierter ausgelassen. Unter den Kriterien, die als klare Zeichen für eine von russischer Propaganda infizierte „Fake News“-Nachrichtenseite gelten, findet man z. B. folgende Themen: „Unterstützung für politische Entwicklungen wie Brexit und die Zersplitterung der EU und der Eurozone“, die Unterstützung des Widerstandes in der Ostukraine gegen die Putschisten-Regierung in Kiew oder die Verurteilung der Dschihadisten-Kämpfer in Syrien gegen Präsident Assad.
Gemäß dieser PropOrNot-„Kriterien“ für „Fake News“ kann jede kritische Äußerung über die westliche und saudi-arabisch finanzierte Kampagne für den gewaltsamen Regimewechsel in Syrien oder über den beachtlichen Anteil von Nazis und anderen Rechtsextremisten in der post-maidanischen ukrainischen Regierung sofort den Verdacht auslösen, dass man ein bezahlter Maulwurf des russischen Geheimdienstes ist.
Welche Ziele PropOrNot mit seinen McCarthy-Methoden verfolgt, finden wir auch auf der bösartigen Website der Gruppe. Gegen die angeblichen russischen Einflussagenten wollen sie „formale Untersuchungen durch die US-Regierung erzwingen“, weil „die Leute, die Propaganda für brutale autoritäre Oligarchien machen, oft auch in einem breiten Spektrum in üble Geschäften verwickelt sind“.
Wenn es diesen Leuten gelingt, die avisierten Webseiten entsprechend zu brandmarken, kommt als nächstes Druck auf Facebook und Google, diese alternativen Nachrichtenseiten zu verbieten, ihnen die Werbeeinnahmen zu sperren und sie damit zur Aufgabe zu zwingen. Tatsächlich haben sich bereits Facebook und Google bereiterklärt, resolut gegen die Verbreitung von „Fake News“ vorzugehen.
An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass Timberg in seinem WaPo-Artikel die Webseite von PropOrNot nicht verlinkt hat.
Das habe einen guten Grund gehabt, schreibt dazu der weltbekannte, investigative Journalist Glenn Greenwald:
„Wenn die Leser die Gelegenheit gehabt hätten, die Seite zu besuchen, wäre es augenblicklich klar gewesen, dass diese Gruppe von angeblichen Experten tatsächlich Amateure sind. Sie gehen mit primitiven, flachen und propagandistischen Klischees hausieren und von ernsthafter, inhaltlicher Analyse und Fachwissen haben sie keine Ahnung. Es ist auf eklatante und nachweisbare Weise nichts anderes als die Förderung der NATO-Sicht auf die Welt unter Anwendung extrem zweifelhafter McCarthy-Taktiken gegen ein breites Spektrum von Kritikern und Dissidenten. Jeder halbwegs ordentliche Herausgeber wäre vor jedem dieser [in Timbergs Geschichte enthaltenen] Faktoren zu Tode erschrocken“, so der Julian-Assange-Vertraute Greenwald.
Lobpreisung des Denunzianten
Tatsächlich ist der „Fake News“-Erzähler Timberg augenblicklich als großartiger „Enthüllungsjournalist“ gefeiert worden. Gierig wurde seine „Die-Russen-waren-es“-Geschichte von einem schnell wachsenden Segment (selbst)gleichgeschalteter Meinungsmacher verschlungen. Vom für Washington zuständigen Chefredakteur der New York Times, Jonathan Weissman, bis zum ehemaligen Obama-Chefberater Dan Pfeiffer wurde Timbergs Geschichte als journalistischer Coup auf dem Niveau des Pulitzer-Preises gewürdigt. „Russland scheint die amerikanische Demokratie erfolgreich gehackt zu haben“, tönte Sahil Kapur, der politische Reporter von Bloomberg. Und für die „Überlebenden“ der grandios gescheiterten Wahlkampagne Hillary Clintons gilt PropOrNot nun als Beweis, dass die Wahlen von Russland manipuliert wurden.
Und wer nun hier in Deutschland über diese Geschichte aus den USA nur ungläubig den Kopf schüttelt, der muss wissen, dass es längst auch hierzulande ähnliche Entwicklungen gibt. Auch in Deutschland wimmelt es bereits von „Putins Polit-Trojanern“. RT-deutsch steht dabei im Fokus der um Aufmerksamkeit winselnden deutschen McCarthy-Epigonen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die offenbar nun weltweit letzte Hoffnung der transatlantischen Kriegstreiber-Eliten, hat am 11. November pflichtschuldigst davor gewarnt, wie imminent die angebliche Gefahr ist, als sie – wiederum völlig aus der Luft gegriffen – Einmischungen und Manipulationen vonseiten des russischen Geheimdienstes bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr an die Wand malte.
Am 30. November hat sodann der ehemalige CDU-Staatsekretär der Bundesregierung, Willy Wimmer, in einem bemerkenswerten Interview darauf aufmerksam gemacht, dass in einer offensichtlich von deutschen Mitarbeitern des amerikanischen Think Tanks „Atlantic Council“ geschriebenen Passage in einem aktuellen Bericht über die SPD „pure Diffamierung“ betrieben wird, die ihn „an Joseph Goebbels erinnert“.
Wörtlich sagte Wimmer:
„Wenn man selbst den Bundeswirtschaftsminister oder ein Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn in die Kategorie ‚Trojanische Pferde für Moskau‘ rückt, dann kann ich nur sagen, dann ist doch der Weg zur Volksverhetzung freigegeben.“