Deutsch-französischer Schlagabtausch am grünen Tisch
von Rainer Rupp
erschienen am 09.05.1998 in der Jungen Welt
Streit um die EZB geht tiefer, als sich vermuten läßt
Die Europäische Währungsunion (EWU) ist ökonomisches Mittel zum politischen Zweck. Der Schlüssel zum Verständnis liegt in den unterschiedlichen französischen und deutschen nationalen Interessen. Ein entscheidender Schritt, um diese Interessen in Einklang zu bringen, wurde 1990 getan, als der französische Präsident Mitterrand seine Vorbehalte gegen die deutsche Einheit, also gegen ein größeres und mächtigeres Deutschland, aufgab und im Gegenzug Kanzler Kohl sich mit seiner ganzen Autorität für die EWU einsetzte. »Das ganze Deutschland für Kohl, die halbe DM für Mitterrand«, spotteten seinerzeit Witzbolde in Brüssel.
Zum Verständnis des Hintergrundes ist es wichtig, daß Paris seit vielen Jahren keine eigene Währungspolitik mehr machen konnte, denn die DM war einfach zu stark. De facto mußte die französische Zentralbank der Politik der Bundesbank folgen, auch wenn es zum Schaden der französischen Wirtschaft war. Mit Hilfe der EWU – so hoffte nun Paris – könnte die Bundesbank weitgehend neutralisiert werden, und bei der zukünftigen europäischen Geld- und Währungspolitik würden die Franzosen ein gewichtiges Wort mitzureden haben.
Sobald man sich über die EWU und die Einführung des Euro grundsätzlich geeinigt hatte, ging zwischen Paris und Bonn das Gerangel um die Gestaltung bzw. gegenseitige Beschneidung der Einflußmöglichkeiten auf die zukünftige Europäische Zentralbank (EZB) los. Die Deutschen wollten aus ihr ein Abbild der Bundesbank machen: nur der Geldwertstabilität verpflichtet und keinerlei politischen Weisungen unterworfen. Somit hätten die europäischen Regierungen keinerlei Einfluß auf die EZB. Für die französische Regierung war eine solche Vorstellung ein Graus, widersprach sie doch vollkommen den französischen politischen Traditionen. Außerdem wollte Paris mit der Euro- Einführung der Bundesbank die Kontrolle über die Geldpolitik abringen; aber nicht, um sie wieder ohne jegliche politische Mitsprache in die Hände einer europäischen »Super-Bundesbank« zu legen.
Gegen den DM-Block (Deutschland und die anderen EU- Länder, die bereits ihre Währungen mehr oder weniger fest an die DM gekoppelt hatten) kam Paris aber mit seinen Vorstellungen nicht an. Die zukünftige EZB wurde nach dem Modell der Bundesbank konzipiert. Als Preis für seine Zustimmung zu diesem Konzept gelang es Frankreich jedoch, den widerstrebenden Deutschen den »Euro-X-Rat« abzuhandeln. Nach Vorstellung der Franzosen und mit tatkräftiger Unterstützung der Italiener sollte dieser Rat ein Vorläufer einer europäischen »Wirtschaftsregierung« werden. In ihm sollten gemeinsame wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Ziele und Maßnahmen abgestimmt werden, wodurch ein politisches Gegengewicht zur EZB geschaffen würde, die nun außerhalb jeglicher demokratischer politischer Kontrolle stehen wird.
Der französische Vorstoß für den Euro-X-Rat paßte der Kohl-Regierung überhaupt nicht, denn schließlich findet ihrer Meinung nach die »Wirtschaft in der Wirtschaft statt«, aus der sich die Politik gefälligst raushalten soll. Aber Mitterrands Nachfolger Chirac hatte den Deutschen klar gemacht, daß Paris nicht ohne substantielle Gegenleistung bereit war, sich die Zwangsjacke der von den Deutschen geforderten Maastricht-Kriterien anpassen zu lassen.
Bei dem Euro ging es von Anfang an zwischen Deutschland und Frankreich nicht nur um einen Kampf um möglichst gute Ausgangspositionen für nationalen Einfluß und Macht im zukünftigen Europa, sondern auch um unterschiedliche Vorstellungen der Rolle der Politik in der Wirtschaft. Zum Glück wird dieser Kampf heute am Konferenztisch ausgetragen. Aber auch dabei wäre es fast schon zu Handgreiflichkeiten gekommen wie beim europäischen Gipfel in Dublin im Dezember 1996. In seinem neuen Buch, »Le Roman de 1’Euro«, berichtet Gabriel Milesi, wie Chirac und Kohl sich auf Tuchfühlung gegenseitig anschrien, während ihre anwesenden Minister wie versteinert zuschauten. Erst als einer Chirac auf die Schulter klopfte und beiseite zog, entspannte sich die Situation.
Seither sind die Probleme für die beiden Staatschefs nicht geringer geworden. In der Zwischenzeit muß Chirac mit einer sozialistischen Regierung kohabitieren, und Kohl muß um seine Wiederwahl fürchten. Dies war eine denkbar ungünstige Ausgangslage für den jüngsten Gipfel in Brüssel, wobei sich beide zwar über die Einführung des Euro einig waren, nicht aber darüber, wie der Euro gemanagt werden soll: durch eine absolut unabhängige Zentralbank nach dem Modell der Bundesbank oder zumindest teilweise auch durch politische Einflußnahme zur Förderung der Beschäftigung und zur Festlegung des Wechselkurses zwischen dem Euro und dem Dollar, um die Exportwirtschaft zu fördern.
Vor diesem Hintergrund spielte auch die Position des Präsidenten der Europäischen Zentralbank eine besondere Rolle. Wim Duisenberg, der als Chef der holländischen Zentralbank eng mit der Bundesbank zusammenarbeitete, war der Favorit der Deutschen, ist er doch in ihren Augen der Garant für eine politikfreie Fixierung der EZB auf die Geldwertstabilität. Für die Franzosen dagegen ist Duisenberg nichts anders als die Bauchrednerpuppe der Bundesbank, der zwar noch annehmbar war, um die Vorbereitungen für die Einführung des Euro zu treffen, aber spätesten ab Januar 2002 durch einen Präsidenten ersetzt werden müßte, der für die französischen Politikvorstellungen ein größeres Verständnis aufbringen würde. Um so mehr, weil sich die Deutschen für eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik im Rahmen des Euro-X-Rates nicht erwärmen wollen.