Die Bevölkerung verliert
von Rainer Rupp
erschienen am 03.07.2001 in der Jungen Welt
Jugoslawien vor endgültigem Auseinanderbrechen. Profitieren wird der Westen
Fast ein Jahrhundert nach seiner Gründung steht das nur noch aus Serbien und Montenegro bestehende Jugoslawien vor seinem Ende. Am Wochenende hatte der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic erklärt, er halte die Auflösung der Föderation für möglich. NATO, EU und insbesondere Deutschland hatten diesen Prozeß forciert.
Damit wären Djindjic und sein montenegrinischer Amtskollege Djukanovic fast an ihrem Ziel angelangt: der Zerstörung Jugoslawiens. Die Strukturen des Bundes und nicht zuletzt der Bundespräsident Vojislav Kostunica hindern die beiden Politiker jedoch immer noch daran, zu schalten und zu walten, wie es ihnen gefällt. Wenn es aber kein Jugoslawien mehr gibt, dann sind nicht nur die Bundesstrukturen hinfällig, sondern auch Präsident Kostunica ist dann arbeitslos und kann dem Ausverkauf Jugoslawiens an die Neue Weltordnung der NATO und EU nicht länger im Wege stehen.
In den nächsten Wochen und Monaten wird daher vermutlich mit westlicher Hilfe ein weiterer Staatsstreich zum Sturz eines jugoslawischen Präsidenten vorbereitet. Denn der vom Westen anfangs hochgelobte Kostunica hat die von der NATO und EU geforderten politischen Unterwerfungsgesten bisher hartnäckig verweigert. Der Präsident soll nun vor der jugoslawischen Öffentlichkeit in seinem Amt unglaubwürdig gemacht werden. Gleichzeitig wird der frühere Präsident Slobodan Milosevic, inzwischen nach Den Haag ausgeliefert, dämonisiert, wozu auch die von anonymen Sprechern der serbischen Regierung verkündete »Entdeckung« immer neuen Massengräber mit albanischen Opfern in den Vororten Belgrads gehört. Djindjic winkt indes mit weiteren westlichen Milliardenkrediten, um in der Bevölkerung des durch Krieg und Embargo gebeutelten Landes Hoffnung auf schnelle Besserung zu wecken und mit seiner Person zu verbinden.
Von dem von Djindjic eingeschlagenen Weg werden jedoch ganz andere profitieren, nur nicht das jugoslawische Volk. »Stratfor«, der US-amerikanische »Intelligence Service« für Privatunternehmen, meldet in seiner jüngsten Analyse, daß hauptsächlich die USA und EU von der endgültigen Zerstörung der Bundesrepublik Jugoslawiens »wirtschaftlich profitieren werden«. Denn – so »Stratfor« – »ungestört von den alten Bundesstrukturen« wird es für die westlichen Investoren leichter sein, die »regionale Entwicklung zu fördern«. Und obendrauf würde dem Westen noch ein Bonus geschenkt, denn mit dem Verschwinden Jugoslawiens würde Moskau einen treuen Alliierten auf dem Balkan verlieren, »wodurch Rußland in Zukunft von der Politik der Region ausgeschlossen wird«. Einige Stimmen machen außerdem darauf aufmerksam, daß durch das Verschwinden Jugoslawiens auch das der NATO schwer im Magen liegende Kosovo-Problem elegant gelöst werden könnte. Denn laut Friedensvertrag von Kumonovo ist das Kosovo Teil Jugoslawiens und nicht mehr Serbiens. Nach dem Verschwinden Jugoslawiens könnte somit das Kosovo in die Unabhängigkeit entlassen werden, ohne daß damit gegen UNO-Resolution 1244 oder gegen den Grundsatz von Helsinki verstoßen würde, daß Staatsgrenzen nie wieder mit Gewalt verändert werden dürfen.
Die Bevölkerung Jugoslawiens gibt sich unrealistischen Träumen hin, wenn sie sich von ihrer Unterwerfung unter die Neue Weltordnung eine schnelle Verbesserung ihres Lebensstandards verspricht. »Die Chancen für eine massive wirtschaftliche Entwicklung sind gering«, schreibt Stratfor. »Statt dessen ist es viel wahrscheinlicher, daß sowohl Serbien als auch Montenegro vereinsamte Schuldnerländer werden. Ohne den Zugang zu den Häfen Montenegros wird insbesondere die serbische Wirtschaft eher eine Last als ein Guthaben für Europa werden«, meint Stratfor.
Auch in bezug auf die Konfrontation mit den albanischen Gewaltextremisten im Kosovo und Südserbien und an den Grenzen zu Montenegro sieht nach Stratfor die Zukunft nicht rosig aus. »Eine geschwächte jugoslawische Armee wird mit den ethnisch-albanischen Extremisten nicht mehr fertig werden und die NATO wird herausfinden, daß Serbien und Montenegro Schutz von der Allianz benötigen.«