Die Dekadenz unserer neoliberalen Demokratur
von Rainer Rupp
erschienen am 20. Juni 2020 via KenFM
In unserer neo-liberal verfassten Gesellschaft gibt es zur herrschenden Wahrheit keine Alternative. Aber die offiziellen Lügen stehen in immer krasserem Widerspruch zu der von den Menschen zu beobachtenden Realität. Deshalb vertraut in manchen EU-Ländern inzwischen die Mehrzahl der Bevölkerung nicht mehr ihren Regierungen und Medien. Diese versuchen im Gegenzug ihre Kritiker als Spinner oder Verschwörungstheoretiker zu diffamieren und auszugrenzen. Aber damit wird das Problem der Herrschenden nicht gelöst.
Unsere sogenannte liberale weltliche Ordnung wird nicht erst seit der Corona-Krise in ihren Grundfesten erschüttert. Spätestens seit der ersten großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 verfolgen die elitären Globalisierungsgewinner in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien mit ansteigender Panik, wie ihnen die Felle davon schwimmen. Zunehmend verlieren sie nämlich das kostbarste Gut, mit dem sie ihre Herrschaft bisher legitimieren und festigen konnten, das Vertrauen der Bevölkerung und den Glauben der Leute, dass die gewählten Politiker für das Wohl des Volkes arbeiten. Heute blicken immer mehr Menschen hinter die bröckelnde Fassade der bürgerlichen Demokratie, die ihnen sozialen Ausgleich, Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Suche nach Frieden lediglich vorgaukelt. Und das erschüttert das Staatsgefüge.
Vor allem ist es die sich ausbreitende Dekadenz der korrupten, politischen Eliten, die sich mit ihrem penetranten Dünkel längst unangreifbar über Gesetz und Moral wähnen, die für viele Menschen immer unerträglicher wird.
Diese Fäulnis springt vor allem beim politischen Spitzenpersonal der Regierung in Berlin ins Auge. Als Musterbeispiele dafür bieten sich die hinreichend bekannten Herren Andreas Scheuer, Minister für Verkehr und Jens Spahn Minister für Gesundheit an.
In einer noch funktionierenden Demokratie wären diese Leute – und mit ihnen viele andere mehr – längst nicht mehr in Amt und Würden. Wenn noch ein bisschen Anstand vorhanden wäre, wären sie schon lange von sich aus zurückgetreten, um der Entlassung durch den Regierungschef zuvorzukommen. Aber die ganze politische Kaste in Berlin ist so versaut, dass die Kanzlerin mit diesen beiden Witzfiguren weiter regieren kann, ohne dass ein Aufschrei der Empörung durchs Land geht. Und die selbsternannten Qualitätsmedien, die sich wegen ihrer angeblichen Funktion als öffentliches Kontrollorgan der Politik und Regierung gerne als Vierte Gewalt aufplustern, versagen nicht erst seit gestern auf der ganzen Linie.
Mit Wehmut kann man heute nur noch an die Zeiten zurückdenken, zu denen die freie Presse Ministern wie Scheuer und Spahn ihre Inkompetenz, ihr Versagen, ihre frechen Lügen und die gigantischen Schäden, die sie zu Lasten des Volkes angerichtet haben, so lange medial um die Ohren geschlagen hätten, bis sich die beiden Herrschaften in einem tiefen Loch verkrochen hätten.
Aber Jens Spahn und Andreas Scheuer sind beileibe nicht die Einzigen. Weitere Beispiele gibt es zuhauf, sogar auf Ebene der Bundesregierung. Da wäre z.B. unsere katastrophale Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die mit Nestlés Deutschland-Chef in einem gemeinsamen Video für den heftig kritisierten Lebensmittelkonzern Schleichwerbung gemacht hat. Anstatt zurückzutreten hat die Dame diesen und viele weitere Skandale und Skandälchen lustig hopsend durchgestanden. Sie hat nämlich verstanden, dass die eigentliche Macht, die Politiker Karrieren schafft und Geldbeutel füllt, nicht vom Volk oder Wähler ausgeht, sondern bei den Konzernen liegt. Aber auch das Volk hat das mittlerweile verstanden. Nicht umsonst kursiert der Spruch: „Wer glaubt, dass Volksvertreter das Volk vertreten, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten!“
Und die Jungen lernen von den Alten. Als jung, dynamisch und käuflich hat nun auch der 27 Jahre alte CDU-Hoffnungsträger Philipp Amthor in den letzten Tagen von sich reden gemacht. Das vielversprechende Bundestagsmitglied hat nämlich neben seiner anstrengenden Arbeit als Volksvertreter für ein obskures US-Unternehmen gearbeitet und für das wiederholt Lobbyarbeit im Bundesministerium für Wirtschaft gemacht. Dafür hatte er einen Direktorenposten und ein Paket Aktienoptionen von dem Unternehmen erhalten.
Das allein ist schlimm genug, aber das wahre Ausmaß der politischen Dekadenz zeigt sich in den Reaktionen von Amthors älteren Kollegen in der CDU-Fraktion, die den Emporkömmling und Hoffnungsträger der Partei nicht gerne fallen lassen möchten und alle möglichen Entschuldigungen für ihn finden; nach dem Motto: Er ist eben noch jung und unerfahren und er habe ja jetzt dazu gelernt. Mit anderen Worten, keine Angst, er wird sich nicht wieder erwischen lassen.
Nicht zu vergessen in diesem Reigen ist die ehem. Verteidigungsministerin Uschi von der Leyen. Als der so genannte Berater-Skandal, in dem es um viele Hunderte von Millionen Euro geht, ihr um die Ohren zu fliegen drohte, wurde die Frau mit der Drei-Wetter-Taft Frisur nach Brüssel weggelobt. In einem einzigartigen Macht-Geschacher ohne demokratisches Mandat wurde sie an die Spitze der ebenso demokratisch nicht legitimierten EU-Kommission in Brüssel gehievt, die regelmäßig und ganz undemokratisch tief in viele Lebensbereiche der Bürger in den EU-Mitgliedsländern eingreift. Vor wenigen Tagen hat nun EU-Kommissionschefin Von der Leyen von der CDU/CSU/SPD-Regierung einen Persilschein bekommen. Demnach lag die Schuld für die verschwendeten Hunderte von Millionen Euro unserer Steuergelder nicht bei der verantwortlichen Ministerin, sondern bei untergeordneten Chargen. Unverfrorener und dümmer geht es nicht.
In ihrer Spitzenposition bei der EU ist die von der Leyen in guter Gesellschaft, denn dort sind zwei Top-Positionen sogar mit rechtskräftig verurteilten Kriminellen besetzt.
Der eine ist der spanische Sozialist José Borrell, der während seiner Amtszeit als spanischer Außenminister wegen „insider Trading“ an der Börse rechtskräftig verurteilt wurde, sich aber anschließend mit Erfolg weigerte, von seinem Amt zurückzutreten. Herr Borrell ist nun der Chef der EU-Außenpolitik. – Wir sehen, die politische Dekadenz ist nicht auf Deutschland beschränkt.
Die andere Kriminelle an der EU-Spitze ist die mit vielen Lorbeeren zur Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) gekürte Christine Lagarde. Wegen ihrer Rolle im Zusammenhang mit einer illegalen, staatlichen Zuwendung von 400 Millionen Euro an einen Geschäftsmann und Freund des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy war Lagarde 2016 von einem Pariser Gericht rechtskräftig verurteilt worden. Ein normaler Mensch hätte dafür mindestens ein Jahr Gefängnis bekommen. Lagarde wurde zwar schuldig gesprochen, aber es wurde keine Strafe verhängt. – Politiker sind eben gleicher als normale Leute. – So konnte Lagarde ihre damalige, für Frankreichs Prestige bedeutende Position als Chefin des Internationalen Währungsfonds in Washington behalten. Und jetzt ist sie an der Spitze der EZB in Frankfurt. Und alle freuen sich.
Nur böse Verschwörungstheoretiker und anti-EU-Esoteriker behaupten nun, gerade die kriminellen Erfahrungen und das Wissen, wie man einer Bestrafung entgeht, seien die auschlaggebenden Qualifikationen gewesen, die Borrell und Lagarde für die EU-Top-Positionen in der neoliberalen EU prädestiniert hätten.
So verkommen wie in Deutschland sieht es in fast allen anderen Ländern des Wertewestens aus. Hinzu kommen die sich überlappenden und verschärfenden Krisen. Die politische Kaste steht dabei unter zunehmendem Druck. Der Druck kommt jedoch nicht nur von den Wählern, sondern viel stärker noch von der herrschenden Klasse der Kapitaleigner, von deren Wohlwollen die Politiker weitaus stärker abhängig sind als von ihren Wählern. Die herrschende Klasse befürchtet, dass ohne eine neue zündende Idee, die von der Masse der Bevölkerung mitgetragen wird, die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen aus den Fugen geraten und es für sie zu unkontrollierbaren und katastrophalen Veränderungen kommen könnte, wie z.B. zu einer Umverteilung von Oben nach Unten durch eine Vermögenssteuer.
Aber die politischen Parteien und ihr Personal, auf die die Kapitaleigner setzen, sind verbraucht, korrupt und verkommen. Seit der Krise, die 2008 begann, war die politische Kaste in Deutschland und im gesamten Wertewesten unfähig neuen Ideen oder Konzepte zu entwickeln, um die immer tiefer werdende Kluft zwischen dem Kapital und den arbeitenden Massen zu überbrücken, was natürlich die Gesellschaft als Ganzes destabilisiert hat. Der Grund für dieses Versagen liegt darin, dass in der politischen Kaste bis heute niemand gewagt hat, am neoliberalen Konsens zu rütteln, der eine Einkommensumverteilung zum Tabu gemacht hat. Scharm
Aber eine Politik des „Weiter so“ führt erst recht gegen die Wand. In dieser verzwickten Situation greifen die Politiker zunehmen auf den Ratschlag des Luxemburger Politikers Jean-Claude Juncker zurück. Im Jahr 2011, als sich die Vertreter der EU und ihrer Mitgliedstaaten darin einig waren, dass man es mit der Wahrheit beim Umgang mit der Euro-Krise nicht ganz genau nehmen dürfe, hatte Juncker als Chef der EU-Kommission freimütig erklärt: „Wenn es ernst wird, dann muss man lügen“.
Seither ist unzweifelhaft, dass die Lage für das politische Kastenwesen sowohl in Deutschland als auch im ganzen Wertewesten noch sehr viel „ernster“ geworden ist. Und deshalb kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass auch entsprechend sehr viel mehr gelogen wird. Allerdings hat sich dadurch inzwischen eine Situation ergeben, in der die offiziellen Lügen in immer krasserem Widerspruch zu der von den Menschen zu beobachtenden Realität stehen.
Aber für eingefleischte Neoliberale wie Kanzlerin Merkel gibt es keine Alternative zum herrschenden System. Folglich können auch keine anderen Meinungen zugelassen werden, denn diese würde nur die Köpfe verwirren, ohne irgendwas Positives zu bewirken. In unserer post-demokratischen Gesellschaft, die inzwischen auch als Demokratur bezeichnet wird, ist daher die traditionelle, investigative Presse, die einst die Regierungspolitik kritisch hinterfragt hat, längst verstummt. Aus angeblicher gesellschaftlicher Verantwortung für die Stabilität des Staates – so lautet das Narrativ – sind die Mainstreammedien daher zu Sprachrohren der Regierungspolitik geworden, die nur noch die offiziell zugelassenen „Wahrheiten“ verbreiten.
Denn sonst besteht die ernste Gefahr, dass andere Meinungen – und das befürchten Politiker und Medien gemeinsam – den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden und Chaos fördern. Mit anderen Worten, es geht ihnen darum, die Bevölkerung zu schützen, zu schützen vor der ungeschönten Wahrheit über Ausbeuter und Ausgebeutete, bzw. vor dem Aufzeigen von Alternativen zum herrschenden, neoliberalen Narrativ. Das Wort Lügenpresse kommt also nicht von ungefähr.
Diese Entwicklung hat ihren Preis. Wie bereits Eingangs gesagt: Die herrschende Klasse der Kapitaleigner und ihre Vertreter in der Regierung, in den Parteien, den Medien und in der Wissenschaft haben ihr kostbarstes Gut, mit dem sie ihre Herrschaft bisher legitimieren und festigen konnten, nämlich das Vertrauen der Bevölkerung, weitgehend verloren.
In einer Umfrage zur Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit von Medien in Deutschland aus dem Jahr 2019 gaben mehr als ein Viertel (26 Prozent) der Befragten einer IFAK-Umfrage an, dass es „voll und ganz zutrifft, dass die Medien in Deutschland lediglich Sprachrohr der Mächtigen sind“. Für weitere 25 Prozent traf dies nur „teilweise“ zu. Folglich glauben mehr als die Hälfte (51 Prozent) den öffentlichen – und den Konzernmedien entweder gar nicht mehr oder nur noch teilweise. Dem Satz:
„Die Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren“ stimmten 45 Prozent der Befragten entweder „voll und ganz“ oder „teilweise“ zu.
Allerdings hat ausgerechnet die Bundesregierung Dank der Corona-Krise und trotz ihrer massiven Fehler viel an verlorenem Vertrauen in der Bevölkerung wiedergutgemacht. Im Vergleich zu der Zeit vor der Corona-Krise, wo nur noch 45 Prozent der Befragten der Bundesregierung vertraut hatten, lag der Wert im Mai 2020 um sagenhafte 19 Prozentpunkte höher, bei knapp unter zwei Drittel, so hoch wie seit 2012 nicht mehr.
Nach einer EU-weiten Umfrage vom November 2019 vertrauen nur noch 57 Prozent der Bevölkerung der 28 Mitgliedstaaten den Nachrichten im Radio, 49 Prozent denen im Fernsehen und 46 Prozent den Printmedien. Und eine aktuelle Umfrage aus Großbritannien hat ergeben, dass dort nur noch 28 Prozent der Menschen den Nachrichten in den öffentlichen und privaten Konzernmedien vertrauen. Das ist einer der niedrigsten Werte weltweit. Selbst die altehrwürdige BBC, die hierzulande von so genannten „Qualitätsmedien“ gerne als Hort der Wahrheit zitiert wird, ist von dem tiefen Misstrauen der britischen Öffentlichkeit wegen Meinungsmanipulationen in den Medien betroffen.
Aber was sollen die Herrschenden tun, wenn die von Regierung und Medien als unanfechtbare Wahrheiten verbreiteten Geschichten als Lügen entlarvt werden? Oder wenn zur herrschenden offiziellen Meinung alternative Erklärungsmuster oder Problemlösungen angeboten werden? In den Zeiten, in denen die Bundesrepublik Deutschland noch eine funktionierende, bürgerliche Demokratie hatte, wurden in solchen Situationen die Alternativen zu Regierungsmaßnahmen aus möglichst vielen Blickpunkten stets breit in den Medien ausdiskutiert. Diese Debattenkultur ist verschwunden. Mit dem wachsenden „Ernst“ der Probleme waren zu deren Bewältigung immer mehr und immer größere Lügen notwendig, und dementsprechend wurde die einstige Debattenkultur immer schneller entsorgt.
Zugleich ist das regierungsoffizielle Lügengespinst, das sich Informationspolitik nennt, immer dichter geworden. Und wer heute wagt, dagegen aufzumucken, wer sich seine eigene Meinung bildet und dann noch so unverschämt ist, diese zu verbreiten, dem droht wie im Mittelalter die Exkommunikation. Damals wurden Ketzer aus der Gemeinschaft der Rechtgläubigen ausgestoßen, als vogelfrei erklärt und verbrannt, wenn man ihrer habhaft werden konnte.
Heute ist die Methode, mit der die offiziellen Lügen als einzige Wahrheit durchgesetzt werden sollen, weniger grausam. Aber sie sind immer noch recht effizient, um Leute zum Schweigen zu bringen. Mit der Abstempelung der Andersdenkenden als esoterische Spinner, als Verschwörungstheoretiker, als Rechte oder gar als Nazis werden Kritiker in einem aufwendigen Propagandafeldzug öffentlich diffamiert und gesellschaftlich geächtet. Damit wird das Ziel verfolgt, dass sie möglichst ihren Job verlieren, oder niemand mehr wagt, sie zu interviewen und sie so aus dem öffentlichen Leben verschwinden, nicht mehr gehört und gesehen werden. Diese Hexenjagd macht aktuell nicht einmal mehr vor international hochgeachteten Wissenschaftlern im Fachbereich Virologie halt. Wenn sie der offiziellen, allein richtigen Wahrheit widersprechen, werden sie geächtet, verleumdet und diffamiert, wie jüngste Ereignisse zeigen.
Aktuell sind es die Corona-Ketzer, in den letzten Jahren waren es die CO-Ketzer, die wegen ihren alternativen Meinungen und deren Verbreitung mit dem Bannfluch belegt wurden. Dabei ist die freie Meinungsäußerung und deren Verbreitung ausdrücklich durch das Grundgesetz geschützt.
Aber das Grundgesetz ist schon längst Makulatur, siehe z.B. das Verbot von der Vorbereitung und Beteiligung an Angriffskriegen und der Tatsache der deutschen Beteiligung am völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999.
Quellen:
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https://katapult-magazin.de/de/trockne-zahlen/trockne-zahlen/fulltext/vertrauen-in-medien-in-europa/