Die Diplomatie des Krieges
von Rainer Rupp
erschienen am 22.05.1999 in der Jungen Welt
Westen will strategische Ziele in Jugoslawien kaschieren. Differenzen zwischen NATO-Mitgliedsstaaten
»Fortschritte bei Kosovo-Verhandlungen« – diese hoffnungsvolle Nachricht wird zur Zeit auf allen Kanälen verbreitet. Sie soll deutlich machen, daß Bonn und die NATO nicht nur bomben, sondern auch alles in ihrer Macht Liegende unternehmen, um den Krieg mit einer diplomatischen Lösung zu beenden. Das ist die Fassade. Dahinter sieht es anders aus, wie aus berufenem Munde zu vernehmen ist. Der Zynismus der NATO-»Diplomatie« zur Verhinderung einer Beendigung des Krieges ohne eindeutigen NATO-Sieg ist grenzenlos! Die Bevölkerung soll beruhigt werden, während Zeit gewonnen wird, um den von Washington geforderten »militärisch eindeutigen Sieg« doch noch zu erzwingen, der so wichtig ist, um die »Glaubhaftigkeit« der NATO in der Zukunft bei ähnlichen Erpressungsversuchen zu untermauern.
Die Bemühungen der Medien konzentrieren sich z. Z. auf die Auslegungen der Informationsbrocken, die vom Tisch der Politischen Direktoren der Außenministerien der G-8-Länder fallen, die auf der Grundlage der recht vagen Petersberger Erklärung der G-8-Außenminister letzten Donnerstag und Freitag in Bonn berieten.
Es geht um die noch bestehenden Unterschiede zwischen den Positionen Rußlands und der NATO und wie weit man dem finanziell bankrotten Rußland entgegenkommen muß, damit es unter Führung des neuen Ministerpräsidenten in Moskau auf die NATO-Linie einschwenkt. Nicht umsonst spielen parallele Verhandlungen Moskaus mit dem Internationalen Währungsfonds derzeit eine besondere Rolle.
Noch bestehen aber eine Reihe von Differenzen zwischen Rußland und der NATO, die besonders die in der Petersberger G-8- Erklärung undeutlich formulierte internationale »zivile und Sicherheitspräsenz« im Kosovo betrifft. Aber die westlichen Politischen Direktoren scheinen zuversichtlich, diese Widerstände den Russen auch noch abkaufen zu könne. Obwohl die NATO in den letzten Tagen einige Nebelkerzen bei ihrem diplomatische Verwirrspiel gezündet hat, weicht sie von ihren alten Forderungen nicht ab.
Der sicherheitspolitische Korrespondent der »International Herald Tribune«, Joseph Fitschett, berichtete am 20. Mai, daß, obwohl die Vertreter der jugoslawischen Regierung in letzter Zeit verstärkt Flexibilität und eine grundsätzliche Bereitschaft für einen Rückzug aus dem Kosovo signalisiert haben, »Belgrad weiterhin darauf besteht, direkt mit der UNO zu verhandeln, während die NATO erklärt, daß ihr Friedensplan sofort nach der militärischen Niederlage (Jugoslawiens) durchgesetzt wird. Deshalb erwarten Beamte der NATO so schnell keinen Durchbruch und dämpfen die Hoffnung auf einen möglichen positiven Ausgang der Gespräche Tschernomyrdins in Belgrad, an denen der finnische Ministerpräsident nicht teilnahm.« Der NATO geht es also nicht um die Wiederherstellung des Friedens, sondern darum, wer dabei federführend in Erscheinung tritt und für die Öffentlicheit als »Sieger« posieren kann.
Ganz auf Zeit, um Jugoslawien weichzubomben, spielt auch die deutsche Regierung. Michael Steiner, der Berater von Kanzler Schröder, wird in der »New York Times« vom 20. Mai wie folgt zitiert: Er rechne damit, daß mindestens noch zwei Wochen notwendig sind, um die Differenzen zwischen den Russen und dem Westen zu überwinden und um der jugoslawischen Regierung »soviel Schmerzen (Foto: AP) zuzufügen, daß sie unsere Forderungen annimmt«.
Aber sowohl Kanzler Schröder und seine Partei als auch die CDU-Opposition sperren sich nach wie vor resolut gegen die deutsche Beteiligung an einem Bodenkrieg im Kosovo, was natürlich die Optionen der NATO beschneidet. Ein NATO- Bodenkrieg ohne deutsche Beteiligung würde wahrscheinlich noch andere Mitglieder der Bombenallianz dazu ermutigen, dem verbrecherischen Abenteuer fernzubleiben. Die Last des NATO- Krieges würde als Folge einer Bodeninvasion derart ungleich verteilt (tote und verwundete eigene Soldaten), daß mit großer Sicherheit die ohnehin schon bestehenden Zerwürfnisse innerhalb der NATO unerträglich verstärkt würden. Die noch zur Schau gestellte NATO-Einheitsfront ist viel brüchiger, als die NATO- Krieger in Nadelstreifen es uns in ihrer Propagandaschlacht weismachen wollen.
Präsident Clinton hat kürzlich einen leichten Positionswechsel vollzogen. War er bisher strikt gegen einen Bodenkrieg, so will er ihn seit Dienstag nicht mehr ausschließen. Er beugt sich somit dem Druck seiner höchsten Militärs. Die hatten ihn ursprünglich recht eindringlich vor der Aufnahme des Luftkriegs gewarnt, weil sie befürchteten, daß diesmal die Situation anders wäre als in Bosnien. Und mit Luftschlägen allein war dem jugoslawischen Widerstandswillen nicht beizukommen.
Aber nicht nur in Deutschland schwindet die öffentliche Zustimmung zu dem schändlichen Aggressionskrieg rapide – von 61 Prozent im letzten Monat auf nur noch 51 vor einer Woche. Selbst in Amerika setzt bereits ein Gegenwind ein. Mit einem Bodenkrieg ließe sich Clinton auch auf ein gefährliches innenpolitisches Abenteuer ein. Es ist nicht mehr lang bis zu den nächsten Wahlen.
Ohnehin erscheint der Luftkrieg vielen Amerikanern bereits als inkompetent gehandhabt. Noch ein paar Katastrophen und tote GIs beim Bodenkrieg, und die Demokratische Partei des Präsidenten würde sich in ernsten Schwierigkeiten befinden, zumal führende Kräfte der konservativen Republikanischen Partei lautstarke Kritiker des Krieges gegen Jugoslawien sind.
Der britische Premierminister Tony Blair hat sich dagegen als der weitaus schärfste Bluthund der NATO- Aggressionsgemeinschaft herausgestellt. Mit missionarischem Eifer tingelt der neue Karlspreisträger Blair durch die Hauptstädte, lobpreist den selbstlosen Bombeneinsatz seines amerikanischen Freundes Clinton und wirbt – nicht ohne den britischen Beitrag zum Menschenschlachten herauszustellen – zunehmend penetranter für den Bodenkrieg. Dabei kommt er allerdings seinem Freund Bill in die politische Quere. So sehr sogar, daß der Kommentator William Pfaff bereits am 6. Mai in der »Los Angeles Times« unwidersprochen schreiben konnte, daß Tony Blair mit seinen lautstark vorgetragenen Forderungen nach einem Bodenkrieg in Washington zu einer Peinlichkeit geworden ist.