Die Kriegsallianz erodiert – Washington sitzt in der Golf-Falle
von Rainer Rupp
erschienen am 16.02.1998 in der Jungen Welt
USA drehten an der Gewaltspirale und können nur noch verlieren
In drei Wochen ist D-Day, der Tag, an dem die amerikanische Regierung die Entscheidung zur Bombardierung Iraks treffen wird; das schrieb der gewöhnlich gut informierte Journalist Rosenthal am 31. Januar in der seriösen »New York Times«. Die Uhr läuft. Und die Medien berichten auch hierzulande bereits erwartungsvoll über die neuen high-tech-Waffen, die die USA diesmal im Irak ausprobieren wollen. Das eigentliche Ziel der Operation ist aber die Eliminierung Saddam Husseins. »Früher oder später muß er getötet werden«, schrieb denn auch Rosenthal in dem bereits erwähnten Artikel. Saddam, das fleischgewordene Böse auf Erden – zumindest aus amerikanischer Sicht.
Einer Entmachtung Saddams hätte jedoch schon am Ende des Golf-Krieges 1991 nichts im Wege gestanden. Die irakische Armee war geschlagen, die Straßen nach Bagdad frei, der Einmarsch amerikanischer Truppen nur eine Frage von wenigen Tagen, um dort eine US-freundliche Regierung zu etablieren. Trotzdem stoppten die Amerikaner ihren Vormarsch abrupt. Die Hintergründe für diesen ungewöhnlichen Großmut gegenüber dem Erzbösewicht Saddam wurden bis heute der Öffentlichkeit nicht richtig erklärt.
Vom Einmarsch in Bagdad abgehalten wurden die USA seinerzeit von ihren arabischen Bundesgenossen und den Nachbarn des Irak. Die Türkei, Saudi-Arabien und selbst Kuwait setzten sich für den Erhalt von Saddams zentralistischem Regime ein, das mit eiserner Faust alle separatistischen Tendenzen im Land ausmerzt. Die Türkei befürchtete, daß mit dem Verschwinden Saddams im Nord- Irak ein unabhängiger Kurdenstaat entstehen könnte; ein Alptraum für die Regierung in Ankara.
Das Königreich Saudi-Arabien und die feudalistischen Golf-Scheichtümer, allen voran Kuwait, befürchteten – nicht ohne Grund -, daß sich bei einer Zerschlagung der Zentralgewalt in Bagdad die schiitischen Bewohner des irakischen Südostens ihren schiitischen Glaubensbrüdern jenseits der Grenze im Iran zuwenden würden. Die sunnitischen Feudalherren am Golf sahen in einem militärisch geschwächten Irak eine viel geringere Gefahr für die Zukunft als in dem revolutionär-fundamentalistischen, missionarisch-expansiven Iran. Für sie war Saddam Hussein als Gegengewicht zum Iran weiterhin wichtig. Sein Verschwinden dagegen hätte bedeutet, daß durch die wahrscheinliche Einverleibung der schiitischen Provinzen Iraks der Iran plötzlich eine gemeinsame Grenze mit Kuwait gehabt hätte, das Saddam Hussein im Irak-Iran-Krieg finanziell tatkräftig unterstützt hatte.
Diesen Bedenken ihrer Bundesgenossen konnte sich die amerikanische Regierung nicht verschließen, tat sie doch selbst alles, um den Einfluß des »Schurkenstaates« Iran einzudämmen. Nach intensiven diplomatischen Beratungen stoppten die USA ihren Marsch auf Bagdad, was der Weltöffentlichkeit als humanitärer Akt zur Vermeidung weiterer Opfer verkauft wurde. Was dann folgte, ist allgemein bekannt, inklusive des Programms zur Kontrolle und Vernichtung aller irakischen Massenvernichtungswaffen, gekoppelt an ein striktes Wirtschaftsembargo, dessen Aufhebung an die Erfüllung dieses Programms geknüpft war.
Dabei hofften die USA, daß die Iraker unter dem Druck des Embargos Saddam Hussein selbst beseitigen würden und stellten als Belohnung für den Tyrannenmord ganz offen die Erleichterung des Embargos in Aussicht. An eine demokratische Umwälzung war freilich nicht gedacht, eher an die Installierung eines anderen, pro-westlichen Diktators.
Trotz aller Härten und Opfer des Embargos – die Zahl der toten Kinder, die aus Mangel an Nahrungs- und Arzneimittel gestorben sind, geht in die Zehntausende – ist es jedoch Saddam Hussein gelungen, nicht nur dem Druck zu widerstehen, alle Verschwörungen und Anschläge zu überleben, sondern auch seine Autorität zu festigen.
Seit dem Golfkrieg haben sich die Dinge aber in eine Richtung entwickelt, die den Erhalt der Zentralmacht in Bagdad für die Nachbarn Iraks nicht mehr so unabdinglich macht. Die Türkei steht mit starken militärischen Kräften im kurdischen Norden Iraks, wo sie weitgehend die direkte oder indirekte Kontrolle ausübt. Zugleich hat die noch auf kurdischem Gebiet gelegene ölreiche Region um Mosul im energiehungrigen Ankara neue Begehrlichkeiten geweckt, zumal es ohnehin alte türkische Ansprüche auf dieses Gebiet gibt. Und im Süden gibt sich der Iran gegenüber den Feudalherren am Golf weit weniger aggressiv als noch vor einigen Jahren. In jüngster Zeit bemüht sich Teheran sogar um die Normalisierung der Beziehungen zum sunnitischen Erzfeind Saudi-Arabien. Alles schlechte Nachrichten für Saddam Hussein und seine Gefolgsleute.
Vor diesem Hintergrund ist sicherlich auch die großangelegte verdeckte Operation der CIA zur Ermordung Saddams und zum Umsturz im Irak zu sehen, die allerdings vor einem Jahr kläglich scheiterte. Die amerikanischen Agenten mußten Hals über Kopf alles stehen- und liegenlassen und konnten nur noch ihr nacktes Leben retten, wobei sie die meisten ihrer irakischen Helfer ihrem Schicksal überließen.
Immer deutlicher begann die Einheitsfront zur Aufrechterhaltung des Embargos zu erodieren. Irak muß wieder aufgebaut werden. Große Aufträge winken. Und Irak hat Öl, um zu bezahlen. Nur, so lange Saddam am Ruder ist, dürfte die amerikanische – und auch die britische – Industrie von den lukrativen Geschäften ausgeschlossen bleiben. Das bedeutet wiederum weniger Konkurrenz für die alten Freunde Iraks: Franzosen, Russen und Chinesen, die sich mittlerweile ganz offen für Lockerungen und die baldige Abschaffung des Embargos einsetzen. So vertraten kürzlich Russen und Chinesen in der UNO die Meinung, daß Untersuchungen der Internationalen Atom-Energie-Agentur ergeben hätten, daß nunmehr Irak über keinerlei nukleare Kapazitäten verfügt und auch nicht imstande ist, diese in absehbarer Zeit wieder aufzubauen.
Durch geschickte Schachzüge ist es Saddam Hussein gelungen, die Interessensgegensätze innerhalb der alten Golfkriegskoalition zuzuspitzen. Egal, wie die USA nun reagieren, Saddam kann nur gewinnen, es sei denn, er würde zufällig von einer Bombe getroffen. Je mehr Washington sein Heil im Bombenkrieg sucht, und das gegen den erklärten Willen Rußlands und Chinas – mit Einschränkungen auch Frankreichs – im UNO-Sicherheitsrat, wird das nicht nur die Kluft in der Koalition vertiefen, die Völkerrechtsmäßigkeit des Bombardements in Frage stellen und das irakische Volk fester hinter Saddam vereinen, sondern es würde auch in der gesamten arabischen Welt den Antiamerikanismus stimulieren und somit Rußland und China größeren Einfluß in diesen Ländern ermöglichen, was wiederum die USA auf jeden Fall verhindern wollen. Fallen dagegen keine amerikanischen Bomben, so verlieren die USA ihr Gesicht, denn dann würde sich die von Rußland, China und Frankreich vorgezeichnete Linie einer schrittweisen Aufhebung des Embargos wohl oder übel durchsetzen, wobei die US-Industrie der Verlierer wäre