Die SPD entdeckt Clausewitz

Die SPD entdeckt Clausewitz

von Rainer Rupp

erschienen am 19.02.1998 in der Jungen Welt

»Volkspartei« schwenkt auf Clinton-Kurs gegen Irak ein. Kommentar

Bei der sogenannten »Wehrkundetagung« in München Anfang Februar bekamen die Deutschen vom US- Verteidigungsminister Cohen und hochrangigen US- Senatoren die Leviten gelesen. Mehr Unterstützung für die US-Kriegspolitik gegen den Irak wurde eingefordert, sonst liefen die Deutschen und Europäer Gefahr, demnächst von den Amerikanern im bosnischen Sumpf allein gelassen zu werden. Die Warnung war unmißverständlich. Und Kanzler Kohl beeilte sich, noch am gleichen Tag zu erklären, daß deutsche Flugplätze und sonstige logistische Einrichtungen für den US-Schlag gegen den Irak zur Verfügung stehen. Da die Amerikaner selbstherrlich verkünden, gegen den Irak den Willen der Nationen der Welt durchsetzen zu wollen, diese Welt sich bisher aber eher gegen die aggressive Kriegspolitik der USA ausgesprochen hat und nur Großbritannien eindeutig hinter Washington steht, machten die Amerikaner deutlich, daß die Erklärung des Bundeskanzlers als deutscher Treuebeweis etwas dürftig ausgefallen ist. Prompt wurden sie dann auch in der Bundestagsdebatte am 12. Februar von den beiden großen Volksparteien besser bedient.

CDU und SPD wetteiferten geradezu mit ihren Loyalitätsbekundungen zum großen Vorherrscher jenseits des Atlantiks, der voller Selbstlosigkeit die Welt von Schurken á la Saddam Hussein befreit. Wer Schurke ist, bestimmt allerdings Washington, und zu deren Bekämpfung – der gute Zweck heiligt schließlich die Mittel – wurden auch schon mal völkerrechtswidrig die Häfen von Nikaragua vermint, Städte in Libyen bombardiert, unschuldige Menschen getötet.

Nun ist Saddam Hussein alles andere als ein liebenswerter Zeitgenosse, der nicht nur im Krieg gegen den Iran, sondern auch gegen die eigene kurdische Minderheit im Irak Giftgas eingesetzt hat. Weswegen Rudolf Seiters von der CDU mit gespielter Empörung das unbelehrbare Fähnlein von PDS und Grünen angriff, die sich nach wie vor gegen eine Bombardierung des Iraks aussprachen. Bei ihrem Widerstand denken die jedoch weniger an die angebliche Bestrafung Saddams, der ohnehin durch die Bombardierung kaum zum Rücktritt gezwungen werden kann, sondern an die Frauen und Kinder, die auch diesmal wieder von amerikanischen Bomben zerfetzt werden würden. Für die amerikanischen Machtpolitiker, die sonst so gerne das Recht des Individuums auf die Vorzüge des freien Marktes und des Kapitals einfordern, spielt das Recht auf Leben der kaufkraftarmen Menschen – egal ob im Irak oder in Nikaragua oder früher in Vietnam – keine Rolle. Die deutschen Befürworter der amerikanischen Bombenpolitik haben sich mit ihren Reden im Bundestag diese Doppelmoral nun öffentlich zu eigen gemacht.

Eine geradezu lächerliche Figur machte Rudolf Scharping, als er sich während der Debatte ebenfalls als Machtpolitiker profilieren und die Deutschen belehren wollte, daß ein Schwert, vom dem der Gegner weiß, daß es nicht eingesetzt wird, ein stumpfes Schwert ist. Folglich müßten die gegen den Irak aufgefahrenen militärischen Mittel auch eingesetzt werden, wenn die diplomatischen Bemühungen erfolglos bleiben. Mag die Art der Scharping-Darbietung auch amüsiert haben, ihr Inhalt mußte auf jeden alarmierend wirken. Denn was der SPD-Fraktionschef formulierte, war nichts anderes als die Forderung, den Krieg wieder als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln zu akzeptieren.

Deutschland müsse sich von seiner Vergangenheit lösen und wieder ein ganz normaler Staat werden; eine seit der Wiedererstehung des geeinten, größeren Deutschlands oft gehörte Forderung aus Bonn, bisher allerdings nur aus national-konservativen Kreisen. Die »Normalität« scheint wiederhergestellt. Clausewitz läßt grüßen. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, wie lange das Schwert Bundeswehr stumpf bleibt.