Echelon – ein riesiger Staubsauger im Äther

Echelon – ein riesiger Staubsauger im Äther

von Rainer Rupp

erschienen am 04.03.2000 in der Jungen Welt

»Jeder, der politisch aktiv ist, wird früher oder später vom Radarschirm der NSA erfaßt«.

Das amerikanische weltweit operierende elektronische Spionagesystem mit dem harmlosen Namen Echelon kommt zum Leidwesen der National Security Agency (NSA) der USA nicht aus den Schlagzeilen. Der letzte Woche dem Europäischen Parlament vorgelegte Bericht über die Zweckentfremdung von Echelon für Wirtschaftsspionage gegen die europäischen Alliierten hat in Brüssel, Paris, Berlin und anderen europäischen Hauptstädten unter Politikern und Wirtschaftsbossen einen Sturm der Empörung hervorgerufen.

Europäische Parlamentarier bezifferten den jährlichen Schaden auf 20 Milliarden Euro, der durch diese Art der Wirtschaftsspionage den europäischen Unternehmen entsteht. Eine Gruppe von französischen Abgeordneten will deshalb gegen die USA und Großbritannien vor einem französischen Gericht auf Schadensersatz klagen. (The Times, »French to sue US and Britain over network of spies«; 10. Februar 2000)

Briten als Trojanisches Pferd der Amerikaner?

Die europäische Empörung über Echelon richtet sich besonders gegen die Briten. Im britischen Menwith Hill befindet sich nämlich eine der wichtigsten Abhörstationen des globalen Echelon-Systems. Die Amerikaner beteiligen die Briten deshalb zumindest teilweise an den Ergebnissen ihrer weltweiten elektronischen Spionage, weshalb die Briten von den restlichen Europäern zunehmend als »Trojanisches Pferd« der Amerikaner in Europa gesehen werden. (Joseph Fitchett; No Monopolies on Government Eavesdropping«, The International Herald Tribune, 28. Februar 2000)

Letzten Sonntag durften sich jedoch auch die Briten über Echelon erregen, als die seriöse Sunday Times (27. Februar 2000) meldete, daß ihre geliebte Prinzessin Diana zu Lebzeiten das Objekt von Echelon-Lauschangriffen gewesen sei. Nach Aussagen ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter sei das vor dem Hintergrund der Echelon-Überwachungsaktionen von Amnesty International, Christian Aid und Greenpeace geschehen. Wegen ihres Einsatzes für Hilfsorganisationen seien auf diese Weise auch die Telefongespräche von Prinzessin Diana erfaßt und gespeichert worden.

Wenn selbst harmlose, prinzipiell systemtreue Hilfsorganisationen automatisch ins Fadenkreuz von Echelon geraten, dann bedarf es keiner besonderen Phantasie, um sich das Ausmaß der Überwachungsintensität von »Big Brother« Echelon auszumalen. Nach Aussage von Wayne Madsen, der zwanzig Jahre für die NSA und andere amerikanische Geheimdienste gearbeitet hat, wird »jeder, der politisch aktiv ist, früher oder später vom Radarschirm der NSA erfaßt werden«. (Sunday Times, ebenda)

1948 für den Kalten Krieg installiert

Außer Großbritannien sind auch noch Australien und Neuseeland dem amerikanischen Echelon angegliedert. Das System wurde zu Beginn des Kalten Kriegs 1948 im Rahmen des UKUSA-Abkommens aus der Taufe gehoben, um die Funkaufklärung gegen die Warschauer Vertragsstaaten und die Volksrepublik China effektiver zu gestalten. Deshalb wurde nach und nach ein weltweites Netz von Abhörstationen aufgebaut. Heute sollen rund um den Globus mindestens zehn solcher hochmodernen Stationen in Betrieb sein. Sie funktionieren wie ein riesiger elektronischer Staubsauger, der alle elektronisch verschickten Nachrichten aufsaugt, komprimiert und in einem Art Filtersystem durch die riesigen und superschnellen Computer der NSA schickt, welche die Nachrichten mit Hilfe von moderner Texterkennungssoftware auf vorher programmierte Schlüsselwörter, wie z. B. Bomben oder Anschlag, in den verschiedensten Sprachen durchsuchen.

Wird ein Computer in den Abhör- und Kontrollstellen der NSA fündig, dann werden die Nachricht, die das Schlüsselwort enthält, sowie die elektronischen Adressen von Sender und Absender gespeichert und registriert. Anschließend wird die Überprüfung der Nachricht durch speziell ausgebildete Mitarbeitern der NSA durchgeführt. Danach wird entschieden, ob es sich um eine harmlose Nachricht handelt, die gelöscht werden kann oder nicht. Da die Speicher- und Prozessorenkapazität der NSA-Computer für die Vorstellungswelt eines Laien am besten mit dem Begriff »unendlich« beschrieben ist, wird im Zweifelsfall nicht gelöscht, sondern gespeichert, wie Mike Frost, ein ehemaliger Angestellter der kanadischen Tochtergesellschaft von Echelon, des Communications Security Establishment, im amerikanischen Fernsehen kürzlich bestätigte. (CBS – 60 Minutes, 24. Februar 2000) Folgerichtig werden immer mehr Bürger im elektronischen Geheimdienstraster erfaßt, besonders wenn sie politisch aktiv sind, und im Zusammenhang mit bestimmten Schlüsselworten registriert. Die von dem Überwachungssystem benutzten Wörterbücher mit den gesuchten Schlüsselwörtern heißen übrigens auf englisch Echelon.

Sowohl die verschiedenen Echelon-Analysen, die der investigative britische Journalist Duncan Campbell für das Europäische Parlament gefertigt hat, als auch der jüngste detaillierte Bericht von Professor Patrick Poole vom Bannock Burn College in Franklin, Tennessee, der auf der Webseite der amerikanischen Civil Liberty Union einzusehen ist (WWW.echelonwatch.org), gehen davon aus, daß Echelon mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit eine ungeheure Datenmenge verarbeitet. Nach einem Bericht in der International Herald Tribune vom 28. Februar 2000 kann Echelon bis zu zwei Milliarden Nachrichten am Tag überprüfen und speichern. Dafür ist nicht nur ein ungeheurer technischer und finanzieller, sondern auch ein riesiger personeller Aufwand der NSA nötig. Und so beschäftigt denn auch die NSA um die 30 000 Mitarbeiter, davon alleine 1 400 Amerikaner bei Menwith Hill, der NSA-Abhörstation auf britischem Boden, wo auch 350 Mitarbeiter des Londoner Verteidigungsministeriums zugelassen sind. Im NSA- Hauptquartier in Ford Meade zwischen Washington und Baltimore findet man eine auf dem Globus einzigartige Konzentration von Fachleuten, von Top-Mathematikern, Codebrechern, Computerexperten und Sprachgenies, die auch noch die feinsten Nuancen in über hundert Sprachen beherrschen.

»Stimmabdruck« fürs elektronische Archiv

Aber sowohl Poole als auch Campbell weisen darauf hin, daß trotz 30jähriger Bemühungen es der NSA bisher nicht gelungen ist, die Stimmerkennungssoftware hinreichend weit zu entwickeln. Während die Schlüsselwortsuche in digital verschickten Texten mit Hilfe von hochmoderner Texterkennungssoftware für die Echelon-Computer keine Schwierigkeit darstellt, wird es bei der maschinellen inhaltlichen Überprüfung von aufgenommenen Telefongesprächen schon problematischer. Allerdings hat die NSA bereits sogenannte »Voiceprints« entwickelt. Wie jeder Fingerabdruck eines Menschen einmalig ist, so ist das auch der Fall für den elektronischen »Stimmabdruck«. Ist erst einmal ein solcher Stimmabdruck für eine bestimmte Person bei Echelon registriert, dann läßt er sich mit der entsprechenden Computerkapazität relativ schnell aus dem milliardenfachen Gewirr der anderen Telefongespräche herausfiltern und speichern. So kann die betroffene Person stets abgehört werden, egal, wo sie telefoniert oder welches Telefon sie benutzt.

Der bereits erwähnte Prof. Patrick Poole hatte schon in seinem 1998 für die amerikanische »Stiftung freier Kongreß« (Free Congress Foundation) erstellten Bericht über Echelon keinen Zweifel daran gelassen, daß die technologischen Fähigkeiten des Echelon-Systems auch für »politische und ökonomische Zwecke mißbraucht« werden könnten. (NYT, »European Study Paints a Chilling Portrait of Technology’s Uses« 24. Februar 1998) Dies wurde von dem ehemaligen Echelon-Mitarbeiter Mike Frost bestätigt. Seit dem Ende des Kalten Krieges würde sich die Abhörarbeit der kanadischen Echelon-Tochter CSE »auf Wirtschaftsspionage konzentrieren«. Außerdem ließ Mr. Frost wissen, der britische Geheimdienst habe mit Hilfe von Echelon die eigene Regierung ausgespäht (NYT, 24. Februar 1998), was nach britischem Recht strikt verboten ist.

In dem bereits erwähnten CBS-TV-Programm kam auch zur Sprache, daß der kanadische Geheimdienst der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher sogar den Gefallen getan haben soll, zwei ihr politisch nicht zuverlässig erscheinende Minister ihres Kabinetts elektronisch zu überwachen und abzuhören. Auf diese Weise würden die an Echelon beteiligten Regierungen die nationalen Gesetze gegen unberechtigtes Abhören in ihren jeweiligen Ländern unterlaufen. Die britischen Regierungen hätten stets guten Gewissens behaupten können, daß ihre Geheimdienste nichts Ungesetzliches tun und sich an die Vorschriften halten. »Sie haben tatsächlich nichts getan«, sagte Mike Frost, »wir haben es für sie getan.« Und die kanadischen Gesetze verbieten nicht das Abhören fremder Bürger in anderen Ländern. Der Rest ist dann nur noch ein Austausch von »nachrichtendienstlichen Erkenntnissen« im Rahmen von Echelon.

Lauschangriffe auf US-Kongreßabgeordnete

Auch in den USA kommt Echelon zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik, weil es seit längerem unter Verdacht steht, amerikanische Bürger auszuspionieren. (NYT, 27. Mai 1999) Margaret Newsham, eine amerikanische Softwarespezialistin, die während der 80er Jahre für die britische Echelon-Anlage Menwith Hill in Yorkshire arbeitete, hatte bereits vor Jahren US-Kongreßabgeordnete informiert, daß sie Zeugin eines Lauschangriffs auf einen amerikanischen Abgeordneten gewesen war. »Ganz offensichtlich wurde dabei amerikanisches Verfassungsrecht gebrochen«. (Sunday Times, 27. Februar 2000). Bereits vor neun Monaten verlangte der Geheimdienstausschuß des amerikanischen Abgeordnetenhauses, das House Committee on Intelligence, von der NSA und der CIA, dem Kongreß einen detaillierten Bericht abzuliefern, in dem geklärt wird, welche rechtlichen Vorschriften für die Echelon-Überwachung von Gesprächen, Übermittlungen und anderer Aktivitäten amerikanischer Bürger gelten.

Federführend bei dieser Initiative des Kongresses ist ausgerechnet der republikanische Abgeordnete Bob Carr aus Georgia, der früher einmal bei der CIA gearbeitet hat. Da er deren Methoden kennt, macht er sich besondere Sorgen, ob die US-Regierung Echelon auch für unautorisiertes Abhören amerikanischer Bürger sowohl in fremden Ländern als auch zu Hause mißbraucht. Trotz des NSA-Versprechens einer zügigen Bearbeitung der Kongreß-Anfrage wartet Congressman Carr immer noch auf eine befriedigende Antwort auf seine Fragen, wie er kürzlich gegenüber der New York Times bekannte. Ein Hearing ist jedoch schon für den kommenden Frühling angesetzt.