»Ein kranker Geist«
von Rainer Rupp
erschienen am 03.12.1999 in der Jungen Welt
Linke britische Labour-Abgeordnete kritisiert EU-Programm »Öl für Demokratie«
»Für die Menschen von Nis und Pirot ist es schwer verständlich, daß ihre eigene Regierung in diesem Winter zwischen ihnen und einer geheizten Wohnung steht«, entrüstete sich EU-Kommissar Chris Patten über die Tatsache, daß die »großzügige Heizölhilfe der EU« an jugoslawischen Oppositionsstädte von der Regierung in Belgrad an der Grenze vom Zoll aufgehalten wird. Als wären nicht die NATO-Luftangriffe für die Zerstörung der jugoslawischen Raffinerien und Tankvorräte verantwortlich. Patten, der die NATO-Bombardements auch auf zivile Ziele begrüßte, übte sich in seiner gewohnten Scheinheiligkeit, die er bereits als letzter Statthalter seiner britischen Majestät in Hongkong zur Genüge unter Beweis gestellt hatte.
Die EU hat sich mit ihrem Programm »Öl für Demokratie« ein wahres Danaer-Geschenk für Jugoslawien ausgedacht – ein Geschenk, das den Empfängern Unglück bringt und Zwietracht sät. Mit ihren Öl-Lieferungen an die von der Opposition regierten Städte will die Europäische Union den »Menschen in Jugoslawien zeigen, daß es sich für sie materiell lohnt«, wenn sie ihr Land an die NATO-Bombenwerfer und ihre Helfershelfer verkaufen. An die Adresse der eigenen EU- Bürger gerichtet, erklärte der dänische Außenminister Niels Helweg Petersen das subversive EU-Programm als »die richtige Botschaft, daß es sich bezahlt macht, für Demokratie und Reform zu sein«. Jene in der jugoslawischen Opposition, für die alles, auch ihre Gesinnung, käuflich ist, haben die Botschaft verstanden. In jüngster Zeit geben sie sich in den Regierungsvierteln der EU-Hauptstädte und in Washington auf der Suche nach finanzieller Unterstützung, Ansehen und zukünftigen »verantwortungsvollen« und somit gut dotierten Positionen im künftigen Serbien die Türklinken in die Hand.
Auch der Bürgermeister der mit EU-Öl bedachten südserbischen Stadt Nis, Zoran Zivkovic, gehörte zu jenen, die Anfang November in Washington artig US- Außenministerin Madeleine Albright die Hand reichen durften. Sein anläßlich der Öllieferung geplantes großes Medienspektakel fiel jedoch ins Wasser. Die jugoslawische Grenzpolizei hatte ihm nicht erlaubt, am 24. November in Begleitung von 50 örtlichen Honoratioren und Medienvertretern den EU-Lkw-Konvoi an der Grenze zu empfangen. Gemeinsam mit seinem Amtskollegen Tomislav Panajotovic aus Pirot drohte er mit Hungerstreik und anderen Aktionen. Doch an dem groß angekündigten Protestmarsch beteiligten sich nur wenige tausend Menschen.
Die überwiegende Mehrheit in Jugoslawien dürfte sehr wohl verstanden haben, daß es sich bei dem »humanitären« EU-Hilfsprogramm um eine zynische politische Maßnahme zur Destabilisierung Jugoslawiens handelt. »So was (das Programm >Öl für Demokratie<) kann sich nur ein kranker Geist ausdenken«, sagte am Mittwoch die Vorsitzende des All-Parteien-Ausschusses über Balkanfragen im britischen Parlament, die linke Labour-Abgeordnete Alice Mahon. Sie fügte hinzu: »Was für eine erbärmliche, Serben-hassende Gruppe hat sich diese Politik ausgedacht, Heizöl nur an die Städte zu liefern, die von der Opposition regiert werden? Und in anderen Städten, nur weil dort die Mehrheit anders gewählt hat, sollen die Kinder, die Kranken und die alten Leute in eisigen Temperaturen hungern?«
Die jugoslawische Regierung sollte, so Alice Mahon, die EU-Tanklaster schleunigst durchlassen. Je ein Lkw sollte nach Nis und Pirot fahren, die anderen müßten zu Waisenhäusern, Hospitälern, Altenheimen und Schulen umgeleitet werden. Es wäre interessant zu sehen, was die EU dann für ein Geschrei gegen die Regierung in Belgrad anzettelt wegen des neuerlichen Verstoßes gegen die »Menschlichkeit«.