Entstehung und Entwicklung von BRICS

Entstehung und Entwicklung von BRICS

von Rainer Rupp

erschienen am 23. August und 20. August 2024 auf apolut

Im Oktober findet der BRICS-Gipfel in Kasan, der Hauptstadt der autonomen russischen Republik Tatarstan statt. Über 90 Staaten haben sich als Mitglieder, Anwärter oder als Beobachter angesagt. Da dürften einige Fragen angebracht sein, z.B.: Woher kommt BRICS? Welche treibenden Kräfte standen dahinter. Warum hat BRICS eine solche Anziehungskraft nicht nur auf die Länder des Globalen Südens, sondern auch auf einige europäische Länder?

Die BRICS-Vereinigung, besteht aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Sie hat sich als bedeutende geopolitische Kraft etabliert und spiegelt die globalen Verschiebungen in der Korrelation der Kräfte in Wirtschaft, Militär und Politik wider.

Im Zentrum von BRICS steht Russland, dessen strategische Vision und diplomatischen Initiativen entscheidend zur Gründung und kontinuierlichen Entwicklung der Gruppe beigetragen haben. Seit ihrer Entstehung ist Russland der Motor von BRICS. Es spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Agenda und der Ziele der BRICS-Gruppe, die sich inzwischen zu einem mächtigen wirtschaftlichen und politischen Gegenpol zur US-diktierten „Internationalen Regelbasierten Ordnung“ und der westlich dominierten globalen Institutionen entwickelt hat.

Alle Quellen weisen darauf hin, dass die Ursprünge von BRICS auf eine Initiative der russischen Führung aus dem Jahr 2006 zurückgehen. In diesem Jahr fand am 20. September das erste BRICS-Ministertreffen auf Vorschlag des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Rande einer Sitzung der UN-Generalversammlung in New York statt. In Vorbereitung auf das Treffen hatte Putin vorgeschlagen, eine Koalition aufstrebender Volkswirtschaften zu schaffen, um die multilaterale Zusammenarbeit zu fördern und eine Plattform für Länder außerhalb der traditionellen westlichen Einflusssphäre zu bieten. An dem ersten informellen Gründungstreffen in New York nahmen die Außenminister Russlands, Brasiliens und Chinas sowie der indische Verteidigungsminister teil. Sie alle bekundeten ihr Interesse an einer Ausweitung der multilateralen Zusammenarbeit.

Russlands Engagement für die BRICS-Agenda wurde 2008 weiter gefestigt, als die russische Regierung ein entscheidendes Treffen der BRICS-Außenminister in Jekaterinburg ausrichtete. Diese Versammlung, die eine gemeinsame Erklärung hervorbrachte, in der gemeinsame Positionen zu globalen Fragen formuliert wurden, unterstrich Russlands Rolle als treibende Kraft hinter der diplomatischen Koordination der Gruppe. Später im Jahr traf sich der russische Präsident Dmitri Medwedew beim G8-Gipfel in Tokio mit den Führern Brasiliens, Indiens und Chinas und bekräftigte Russlands Führungsrolle bei der Zusammenführung dieser aufstrebenden Mächte.

Das erste offizielle Gipfeltreffen der BRIC (noch ohne Südafrika) fand 2009 ebenfalls in Jekaterinburg statt, was ein weiterer Beweis für die zentrale Rolle Russlands ist. Dieser Gipfel markierte einen bedeutenden Meilenstein in der Institutionalisierung von BRICS. Die Führer Brasiliens, Russlands, Indiens und Chinas veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, die die Bedeutung des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen Schwellenländern betonte. Dieses Dokument legte auch den kollektiven Ansatz der Gruppe zur Bewältigung der globalen Finanzkrise fest und zeigte Russlands Einfluss bei der Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Strategien der Gruppe.

Im Laufe der nachfolgenden Jahre war Russland weiterhin ein Schlüsselakteur bei der Weiterentwicklung von BRIC, die im Jahre 2010 mit der Aufnahme der Republik Südafrika zu BRICS wurde. Es war ein wichtiger, hauptsächlich von Russland geförderter, strategischer Schritt, das die globale Wirkung der Erweiterung der Gruppe auf Afrika früh erkannt hatte. Russland war auch maßgeblich an der Schaffung von BRICS-Institutionen wie der Neuen Entwicklungsbank und der BRICS-Reservewährungsfazilität beteiligt, die beide gegründet wurden, um die Dominanz westlicher Finanzinstitutionen zu brechen und für die eigene Koalition aber auch für den Globalen Süden faire Alternativen zum westlichen Raubtier-Finanzsystem zu schaffen.

Innerhalb von BRICS hat sich Russland auch konsequent für die Reform globaler Institutionen und Strukturen, einschließlich der Vereinten Nationen und des Internationalen Währungsfonds, eingesetzt, um die Interessen der Schwellenländer besser zu vertreten. Dies hat BRICS als eine formidable Gegenkraft zur G7 und anderen westlich geführten Allianzen positioniert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Russlands Rolle bei der Gründung und Entwicklung von BRICS entscheidend war. Von der Initiierung der ersten Treffen bis hin zur Gestaltung der strategischen Ausrichtung der Gruppe stand Russland an der Spitze der Bemühungen, BRICS als wichtigen Akteur auf der globalen Bühne zu etablieren. Während BRICS weiterhin an Einfluss gewinnt, wird Russlands Führung entscheidend bleiben, um die Gruppe auf ihre langfristigen Ziele einer ausgewogeneren und multipolaren Weltordnung hinzusteuern. Aber ohne die aktive Mithilfe der globalen Wirtschaftsmacht der Volksrepublik China, deren Interessen an der Struktur, Ziel und Weiterentwicklung mit denen Russland weitgehend identisch waren und weiterhin sind, wäre die BRICS-Koalition in ihrer aktuellen Form wohl kaum zustande gekommen.

Chinas Rolle bei der Entwicklung der BRICS in Zusammenarbeit mit Russland

Auch China hat eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der BRICS gespielt, insbesondere durch seine enge Zusammenarbeit mit Russland. BRICS, das ursprünglich gegründet wurde, um die Dominanz westlicher Volkswirtschaften und Institutionen herauszufordern, hat sich dank Chinas strategischer Vision (Die Belt and Road Initiative (BRI) Neue Seidenstraße) und der Kooperation mit Russland zu einer mächtigen Koalition aufstrebender Volkswirtschaften entwickelt.

Chinas Wirtschaftskraft, als größte Volkswirtschaft der Welt, war eine treibende Kraft hinter der Ausweitung des globalen Einflusses der BRICS. Die Belt and Road Initiative (BRI) hat die Konnektivität und wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb der BRICS-Staaten gefördert und Handels- und Investitionsmöglichkeiten erweitert. China hat auch die New Development Bank (NDB) gefördert, eine BRICS-Initiative zur Finanzierung von Infrastruktur- und Nachhaltigkeitsprojekten, die die finanzielle Unabhängigkeit der Gruppe von westlichen Institutionen wie der Weltbank und dem IWF weiter gefestigt hat.

Russland wiederum war und ist für China ein entscheidender Partner in der geopolitischen Sphäre, und umgekehrt. Die beiden Länder haben ihre Außenpolitik aufeinander abgestimmt, um das Gewicht der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten mit ihren neo-kolonialen und kriegstreiberischen Strategien auszubremsen. Ihre Zusammenarbeit innerhalb der BRICS hat sich auf die Schaffung einer multipolaren Weltordnung, die Reduzierung der Abhängigkeit vom US-Dollar und die Förderung alternativer Zahlungssysteme konzentriert.

Die Synergie zwischen China und Russland war maßgeblich daran beteiligt, die BRICS zu einer ernstzunehmenden Kraft zu formen, die die bisher westlich dominierte globale UN-Ordnung in Ihre Schranken weist. Ihre Partnerschaft treibt weiterhin die Expansion und den Einfluss der BRICS voran und stellt sicher, dass die Gruppe ein bedeutender Akteur in der globalen Politik und Wirtschaft bleibt.

Zwischenbilanz

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es ist die enge strategische Partnerschaft zwischen Russland und China und deren weitgehende außenpolitische Interessengleichheit, die im Kern der BRICS zusammenwirken und sich multiplizieren. Da ist es, was diese BRICS für den Großteil der Länder des so genannten Globalen Südens so außerordentlich anziehend macht. Denn im Kern der BRICS stehen zwei mächtige und stabiler Pfeiler, wobei der eine aus dem weltgrößten Energie- und Lebensmittelexporteur besteht, der zugleich eine militärische Supermacht mit weltführender Militärtechnologie ist und er eng verbunden ist mit dem anderen Pfeiler, nämlich der mit Abstand weltgrößten, gigantischen Industriemacht mit führenden Technologien, die zugleich die größte militärische Regionalmacht in Ostasien ist.

Der Übergang zu BRICS+

In westlichen Medien wird BRICS immer öfters als eine „geo-politische Allianz“ dargestellt, was BRICS nicht ist, denn es ist kein Bündnis in Form eines gegenseitigen Beistandspakts. In BRICS wird kein Land zu irgendetwas gegen irgendjemand anders gezwungen, wie das in der NATO durch den Hegemon USA , oder in der EU durch das „Direktorium“ in Kommission gang und gäbe ist. Zur Erinnerung BRICS ist das Resultat der Entscheidung der wichtigsten, aufstrebenden Volkswirtschaften des Globus, ihre Zusammenarbeit zu verstärken, mit dem Ziel, sich dem Diktat des dominanten, neo-kolonialen, militaristischen Westens und seiner neoliberalen Institutionen wie IWF und NATO zu entziehen und ein eigenständiges, multilaterales Gegengewicht auszubauen, das eher den Interessen des Großteils der Weltgemeinschaft entspricht.

Im Laufe der Zeit hat sich die BRICS-Gruppe aus 5 Ländern weiterentwickelt und Anfang dieses Jahres erweitert, was zur Schaffung von BRICS+ geführt hat. Damit umfasst BRICS+ neun Vollmitglieder: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika, Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Die zusätzlichen 4 Länder identifizieren sich mit den Zielen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und geo-politischen Positionierung der 5 Gründerstaaten. Zusammen repräsentieren die Nationen der BRICS+ einen bedeutenden Teil der Weltbevölkerung, der Landfläche und der Wirtschaftskraft, was BRICS+ zu einem mächtigen Akteur auf der globalen Bühne macht. Darüber hinaus haben Dutzende weiterer Länder Interesse bekundet, BRICS+ beizutreten. Derzeit stehen etwa 40 Länder auf der Warteliste. Zudem haben sich über 90 Länder als Beobachter beim kommenden BRICS+-Gipfel im Oktober im russischen Kasan angekündigt, was auf ein wachsendes Interesse an diesem Block als Gegenwicht zu westlich dominierten internationalen Organisationen hinweist.

Verschiebung des wirtschaftlichen Gewichts – BRICS gegenüber  G7

Dieses Thema wurde vor wenigen Wochen von Professor Wang Wen in einem Artikel behandelt aus dem nachfolgender Text basiert Prof. Wang Wen ist nicht irgendwer, sondern der geschäftsführende Dekan des Chongyang Institute for Financial Studies an der Renmin University of China.

Laut Prof Wen ist der Aufbau einer neuen Weltordnung zweifellos ein langwieriger Prozess. Derzeit entstehen jedoch mehrere neue Säulen, die darauf abzielen, die Etablierung dieser neuen Ordnung zu unterstützen. Im Bereich der Sicherheit sehen wir den Aufstieg der Shanghai Cooperation Organization; politisch gibt es den BRICS-Kooperationsmechanismus; wirtschaftlich nehmen Institutionen wie die Asian Infrastructure Investment Bank Gestalt an.

Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass diese Säulen noch nicht ausreichen, um die bestehende Weltordnung und das internationale System vollständig umzukrempeln. Im Wesentlichen wirken diese Säulen eher als Ergänzungen und Reformen der gegenwärtigen Ordnung, denn als revolutionäre Veränderungen.

Derzeit werden Initiativen wie die Belt and Road Initiative (BRI-Neue Seidenstraße), die Eurasische Wirtschaftsunion (und die Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) zu grundlegenden Kräften, die den Aufstieg einer neuen multipolaren Welt fördern. Diese Integrationsverbände benötigten jedoch noch erhebliche Zeit, um sich vollständig zu entwickeln, so Wen.

Die unipolare Welt, die vom Westen geführt wird, besteht seit über zweihundert Jahren. Gegenwärtig bestehe eine Hauptaufgabe darin, eine Reihe integrierten Mechanismen, die unter der Dominanz der USA (IWF, Weltbank, etc.) geschaffen und zum exklusiven Vorteil des Kollektiven Westens missbraucht wurden, zum Wohl des Globalen Südens weiterzuentwickeln.

Das wirtschaftliche Gleichgewicht zwischen den G7- und BRICS-Ländern hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Vor dreißig Jahren betrug die Wirtschaftsleistung der BRICS-Staaten nur ein Drittel der G7. Heute, aus der Perspektive der Kaufkraftparität, haben die BRICS die G7 weit überholt.

Diese Verschiebung zeigt signifikante Veränderungen in der globalen Entwicklung. Dennoch verfügen die G7 nach wie vor über eine starke Basis, und ihre Politik zur Eindämmung aufstrebender Volkswirtschaften wird wahrscheinlich fortgesetzt.

Die BRICS-Länder müssen geduldig und vorsichtig bleiben und sich auf nachhaltige, langfristige Entwicklung konzentrieren. Zugleich müssen sie kontinuierlich daran arbeiten, die G7 an wirtschaftlicher Stärke zu übertreffen, was entscheidend für ihre politische Rolle auf der globalen Bühne ist.“ So der Professor Wen

Derzeit zeigen die wirtschaftlichen Aussichten der Schwellenländer großes Potenzial, doch sie stehen auch vor erheblichen Herausforderungen. Das inländische Wirtschaftswachstum ist unzureichend, und es besteht das Risiko wirtschaftlicher Kontamination durch die um sich greifenden Krisen in den entwickelten westlichen Industriestaaten.

Kurzfristig bestünde daher die dringende Aufgabe der Schwellenländer darin, angebotsseitige Reformen voranzutreiben, eine rasche wirtschaftliche Erholung zu erreichen und die wirtschaftliche Globalisierung durch internationale multilaterale Zusammenarbeit zu fördern. Letztendlich werde dies ihnen ermöglichen, ein mittleres bis hohes Wachstumstempo zu erreichen.

Abschließend lässt sich sagen, dass sich die Säulen für eine neue Weltordnung zwar formen, aber noch ein langer Weg vor uns liegt. Die Entwicklung integrierter Mechanismen und das nachhaltige Wachstum der Schwellenländer sind entscheidend für die Verwirklichung einer wirklich multipolaren Welt,“

meinte Wen abschließend.

In diesem zweiten Teil kommen Auszüge aus der Rede des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats über „Die multilaterale Zusammenarbeit zugunsten der Bildung einer gerechteren, demokratischeren und nachhaltigeren Weltordnung“, New York, am 16. Juli 2024. In dieser Rede thematisiert Lawrow die Position der BRICS im Spannungsfeld zwischen der US-diktierten, regelbasierten internationalen Ordnung, mit der sich der Kollektive Westen bewusst außerhalb der Charter der Vereinten Nationen und der Vorschriften des Völkerrechts stellt.

Die NATO begnügt sich derweil nicht mehr mit dem von ihr entfesselten Krieg gegen Russland, der mit den Händen der illegalen Regierung in Kiew geführt wird, auch nicht mehr mit der Dominanz des gesamte OSZE-Raum. Nach der fast vollständigen Zerstörung der grundlegenden Vereinbarungen im Bereich der Rüstungskontrolle setzen die USA weiterhin auf Konfrontation. Vor kurzem haben die Anführer der Nato-Staaten auf dem Gipfeltreffen in Washington ihre Ansprüche auf eine führende Rolle nicht nur im Euro-Atlantischen Raum, sondern auch in der Asien-Pazifik-Region zum Ausdruck gebracht. Es wird erklärt, dass die NATO sich nach wie vor nach der Aufgabe richtet, das Territorium ihrer Mitglieder zu schützen, aber um das heutzutage zu tun müsse die Allianz ihre Dominanz auf den gesamten eurasischen Kontinent und die angrenzenden Meeresgebiete ausdehnen. Die militärische Infrastruktur der NATO dringt in die Region des Pazifischen Ozeans vor, mit dem offensichtlichen Ziel, die ASEAN-zentrierte Architektur zu untergraben, die seit Jahrzehnten auf den Prinzipien der Gleichberechtigung, der gegenseitigen Berücksichtigung von Interessen und auf Konsens basierte.

Als Ersatz für die um die ASEAN aufgebauten inklusiven Mechanismen bilden die USA und die ihnen untergeordnete Verbündeten geschlossene, konfrontative Blöcke wie AUKUS und andere „Vierer-“ und „Dreierblöcke“. Vor kurzem erklärte die stellvertretende Pentagon-Chefin Kathleen Hicks, dass die USA und ihre Verbündeten

sich auf langwierige Kriege vorbereiten müssten, und zwar nicht nur in Europa“.

Um Russland, China und andere Länder, deren unabhängige Politik als Herausforderung für die Hegemonie betrachtet wird, „abzuschrecken“, zerstört der Westen mit seinen aggressiven Handlungen das ursprünglich nach seinen eigenen Vorstellungen geschaffene neo-liberale Globalisierungssystem.

Washington hat alles getan, um die Grundlagen der gegenseitig vorteilhaften Energiekooperation zwischen Russland und Deutschland und Europa insgesamt zur Explosion zu bringen (unter anderem buchstäblich durch die Organisation von Terroranschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines). Berlin schwieg damals. Heute sehen wir eine weitere Demütigung Deutschlands, dessen Regierung sich bedingungslos der Entscheidung der USA unterwarf, US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sagte es einfach so:

Die USA haben beschlossen, Präzisionswaffen in Deutschland zu stationieren, und das sei eine gute Entscheidung“.

Die USA haben dies beschlossen.

Zugleich erklärt John Kirby, Koordinator für strategische Kommunikation in Washington, im Namen des US-Präsidenten: „Wir streben nicht den dritten Weltkrieg an. Das hätte schreckliche Folgen für den europäischen Kontinent“. Das war ein Freudscher Versprecher: In Washington geht man anscheinend davon aus, dass von einem neuen globalen Krieg die USA verschont werden, während Europa zerstört wird. Wenn die Strategie der Biden Administration auf einer solchen Analyse basiert, dann ist das ein äußerst gefährlicher Irrtum. Und die Europäer sollten natürlich erkennen, welche Rolle als Selbstmörder hier für sie vorbereitet wird.

Die Amerikaner, die den gesamten kollektiven Westen „unter die Waffen“ gerufen haben, haben den Sanktions- und Wirtschaftskrieg gegen unerwünschte Staaten ausgeweitet und eine beispiellose Kampagne einseitiger Zwangsmaßnahmen gestartet, die vor allem Europa wie ein Bumerang treffen und zu einer weiteren Fragmentierung der Weltwirtschaft führen. Unter den neo-kolonialen Praktiken der westlichen Länder leiden vor allem die Länder des Globalen Südens in Asien, Afrika und Lateinamerika.

Illegitime Sanktionen, zahlreiche protektionistische Maßnahmen, Beschränkungen beim Zugang zu Technologien widersprechen direkt der wahren Multilateralität und schaffen erhebliche Hindernisse für das Erreichen der Ziele der Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen (für den globalen Süden).

Wo sind all die Attribute des freien Marktes, die die USA und ihre Verbündeten der Welt in all den vielen Jahren aufgezwungen haben? Marktwirtschaft, fairer Wettbewerb, Unantastbarkeit des Eigentums, Unschuldsvermutung, Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren, Kapital und Dienstleistungen – all das ist heute abgeschafft. Die Geopolitik hat die einst für den Westen heiligen marktwirtschaftlichen Gesetze begraben. Vor kurzem hörten wir öffentliche Forderungen offizieller Vertreter der USA und der EU gegenüber China, die „übermäßige Produktion“ in den High-Tech-Bereichen zu reduzieren, weil der Westen auch in diesen Bereichen seine jahrelangen Vorteile zu verlieren beginnt. Statt marktwirtschaftlicher Prinzipien gilt jetzt die „Regel basierte Ordnung“.

Die Handlungen der USA und ihrer Verbündeten behindern die internationale Zusammenarbeit und den Aufbau einer gerechteren Welt. Ganze Länder und Regionen werden als Geiseln genommen, und den Völkern wird es nicht ermöglicht, die in der UN-Charta festgeschriebenen souveränen Rechte umzusetzen. Diese Handlungen lenken von der so notwendigen gemeinsamen Arbeit zur Regelung von Konflikten im Nahen Osten, in Afrika und anderen Regionen, zum Abbau globaler Ungleichheit, zur Bekämpfung von Hunger und Krankheiten, von Terrorismus und Drogenkriminalität ab.

Ich bin überzeugt, dass sich diese Situation – natürlich bei gutem Willen – ändern lässt. Daher möchten wir eine Reihe von Schritten zur Diskussion vorstellen, die darauf abzielen, das Vertrauen wiederherzustellen und die internationale Lage zu stabilisieren.

1. Es ist notwendig, die Ursachen der in Europa ausgebrochenen Krise ein für alle Mal zu beseitigen. Die Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden in der Ukraine wurden vom Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, dargelegt, ich werde sie hier nicht wiederholen.

Eine politisch-diplomatische Regelung muss mit konkreten Schritten zur Beseitigung der Bedrohungen für die Russische Föderation, die von der westlichen, euroatlantischen Richtung ausgehen, ergänzt werden. Bei der Vereinbarung gegenseitiger Garantien und Vereinbarungen müssen die neuen geostrategischen Realitäten auf dem eurasischen Kontinent berücksichtigt werden, wo sich eine gesamtkontinentale Architektur einer wirklich gleichen und unteilbaren Sicherheit bildet. Europa riskiert, hinter diesem objektiven historischen Prozess zurückzubleiben. Wir sind bereit, nach einem Interessengleichgewicht zu suchen.

2. Die Wiederherstellung des regionalen und globalen Kräftegleichgewichts muss von aktiven Bemühungen zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten in der Weltwirtschaft begleitet werden. In einer multipolaren Welt darf es keine Monopolisten in der Währungs- und Finanzregulierung, im Handel oder Technologien geben. Diese Ansicht wird von der überwiegenden Mehrheit der Weltgemeinschaft geteilt. Von besonderer Bedeutung ist die schnellstmögliche Reform der Bretton-Woods-Institutionen und der WTO, deren Tätigkeit das tatsächliche Gewicht der nichtwestlichen Wachstums- und Entwicklungszentren widerspiegeln sollte.

3. Ernsthafte, qualitative Veränderungen müssen auch in anderen Institutionen der globalen Verwaltung stattfinden, wenn wir wollen, dass sie zum Wohle aller funktionieren. Dies betrifft vor allem unsere Organisation, nämlich BRICS, die die Verkörperung der Multilateralität darstellt und über eine einzigartige, universelle Legitimität und allgemein anerkannte breite Kompetenz verfügt.

Ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung der Effizienz der UNO wäre die erneute Bestätigung durch alle ihre Mitglieder, dass sie alle Grundsätze der UN-Charta in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenhang respektieren, statt sie selektiv auszulegen. Über die Form, die eine solche Bestätigung annehmen könnte, kann gemeinsam nachgedacht werden.

Eine große Arbeit leistet die auf Initiative Venezuelas gegründete Freundesgruppe zur Verteidigung der UN-Charta. Wir laden alle Länder, die sich für die Vorherrschaft des Völkerrechts einsetzen, sich dieser Initiative anzuschließen.

Ein Schlüsselelement der Reform der Vereinten Nationen sollte die Änderung der Zusammensetzung des Sicherheitsrats sein, obwohl dies allein nicht ausreichen wird, um eine produktive Arbeit zu gewährleisten, wenn es keine grundlegende Einigung über die Arbeitsmethoden zwischen den ständigen Mitgliedern geben wird. Diese Überlegung hebt jedoch nicht die Notwendigkeit auf, geografische und geopolitische Verzerrungen im Sicherheitsrat zu beseitigen, wo heute die Länder des kollektiven Westens überrepräsentiert sind. Ein längst ausgereifter Schritt ist die Erzielung einer möglichst breiten Einigung über konkrete Parameter der Reform, die darauf abzielt, die Repräsentanz Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu stärken.

Es sind auch Veränderungen in der Personalpolitik des Sekretariats erforderlich, um die Dominanz von Bürgern und Staatsangehörigen westlicher Länder in den Verwaltungsstrukturen der Organisation zu beseitigen. Der Generalsekretär und seine Mitarbeiter sind verpflichtet, die Grundsätze der Unparteilichkeit und Neutralität strikt und ohne Ausnahmen einzuhalten, wie es Artikel 100 der UN-Charta vorschreibt, woran wir immer wieder erinnern müssen.

4. Zur Stärkung der multipolaren Grundlagen des internationalen Lebens sollen neben der UNO auch andere multilaterale Vereinigungen beitragen. Dazu gehört die G20, in der sowohl die Länder der Weltmehrheit, als auch westliche Staaten vertreten sind. Das Mandat der G20 ist streng auf Wirtschafts- und Entwicklungsfragen beschränkt, daher ist es wichtig, dass der substantielle Dialog auf dieser Plattform frei von Versuchen ist, jeweils aktuelle, geo-politische Themen einzubringen. Andernfalls wird diese nützliche Plattform zunichtegemacht.

Eine immer größere Rolle beim Aufbau einer gerechten multilateralen Ordnung auf Grundlage der Grundsätze der UN-Charta spielen die BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Dort sind Länder aus verschiedenen Regionen und Zivilisationen vereint, die auf Grundlage von Gleichheit, gegenseitigem Respekt, Konsens und gegenseitig akzeptablen Kompromissen zusammenarbeiten – das ist der „Goldstandard“ multilateraler Zusammenarbeit unter Beteiligung von Großmächten.

Von praktischer Bedeutung für die Etablierung der Multipolarität sind regionale Vereinigungen wie die GUS, die OVKS, die EAWU, die ASEAN, der Golfkooperationsrat, die Arabische Liga, die Afrikanische Union und die CELAC. Wir halten es für eine wichtige Aufgabe, vielfältige Verbindungen zwischen ihnen aufzubauen, auch unter Einbeziehung des Potenzials der Vereinten Nationen. Der russische Vorsitz im Rat wird eine der nächsten Sitzungen der Zusammenarbeit der UNO mit eurasischen regionalen Organisationen widmen.

Russlands Präsident Wladimir Putin sagte auf dem BRICS-Parlamentsforum am 9. Juli in Sankt Petersburg:

Der Aufbau einer Weltordnung, die das tatsächliche Kräfteverhältnis widerspiegelt, ist ein schwieriger und in vielerlei Hinsicht sogar schmerzhafter Prozess.“

Wir sind der Ansicht, dass Diskussionen zu diesem Thema, ohne in fruchtlose Polemik abzugleiten, auf Grundlage einer nüchternen Analyse aller Fakten geführt werden sollten. Es ist vor allem notwendig, die professionelle Diplomatie, die Dialogkultur, die Fähigkeit zuzuhören und die Kanäle für Krisenkommunikation wiederherzustellen.

Davon, ob Politiker und Diplomaten in der Lage sind, eine Art gemeinsame Zukunftsvision zu formulieren, hängen Millionen Menschenleben ab. Ob unsere Welt vielfältig und gerecht sein wird, das hängt nur von den Mitgliedsstaaten ab. Der Pfeiler dafür, das möchte ich nochmals betonen, ist vorhanden – das ist die Charta unserer Organisation, BRICS.

Auf dieser Basis würden die Vereinten Nationen in der Lage sein, die aktuellen Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und bei den meisten Fragen einen Konsens zu erzielen. „Das Ende der Geschichte“ ist nicht gekommen. Wollen wir gemeinsam im Interesse des Beginns der Geschichte der wahren Multilateralität arbeiten, die den Reichtum der kulturellen und zivilisatorischen Vielfalt der Völker der Welt widerspiegelt. Wir laden zur Diskussion ein, die selbstverständlich nur offen und ehrlich geführt werden sollte.