»Es geht um Macht und Geld«
von Rainer Rupp
erschienen am 20.12.1999 in der Jungen Welt
Kroatischer Geheimdiensteinsatz im bosnischen Mostar aufgedeckt
Die Plakette an der Hauswand im kroatischen Teil Mostars besagte, daß das kompakte, zweistöckige Gebäude das landwirtschaftliche Institut der Universität und eine Importkontrollfirma beherbergt. Aber die NATO, deren Spezialtruppen vor kurzem dieses und noch drei andere Gebäude in der ethnisch zweigeteilten Stadt in der Herzegowina stürmten, behauptet, daß die Angestellten dort in Wirklichkeit Geheimagenten eines Nachrichtendienstes des benachbarten Kroatiens waren. Dies geht aus einem Bericht der »Washington Post« in der vergangenen Woche hervor.
NATO-Beamte berufen sich dabei auf angeblich eindeutige Beweise. Demnach habe die kroatische Regierung des verstorbenen Franjo Tudjman insgeheim Millionen Dollar im Monat für die Finanzierung des geheimen Netzwerkes gezahlt. Ziel Tudjmans sei es gewesen, die kroatischen Nationalisten im Nachbarland zu unterstützen, um so die Rückkehr der bosnischen Muslime in die kroatisch beherrschten Teile Bosnien- Herzegowinas zu verhindern. Damit wollte Tudjman die Möglichkeit am Leben erhalten, bei passender Gelegenheit die von Kroatien beanspruchten Gebiete Bosniens zu annektieren und in Kroatien einzugliedern. Eine Rückkehr der muslimischen Minderheit in diese Gebiete würde einen solchen Schritt allerdings enorm erschweren.
Die Tatsache, daß die NATO-geführte SFOR die Hintergründe der Kommandoaktion gegen das kroatische Agentennetz in Mostar von Mitte Oktober erst jetzt an die Öffentlichkeit durchsickern läßt, mag etwas mit dem Tod Tudjmans und dem Wunsch zu tun haben, die bevorstehenden Neuwahlen in Kroatien zu beeinflussen.
Bei den Durchsuchungen in Mostar flogen waffenstarrende US-Hubschrauber über den Objekten, 1 500 SFOR-Soldaten – US-Amerikaner, Italiener, Spanier, Briten und Franzosen – riegelten den kroatischen Westteil Mostars ab. Nach dem Sturm auf die vier Gebäude wurden 42 Computer, 10 000 Dokumente und Wagenladungen voll mit Spionageausrüstung beschlagnahmt.
Ohne Zweifel war das die bisher resoluteste Maßnahme gegen die kroatischen Nationalisten, die in der Vergangenheit einen Freibrief der NATO/SFOR zu haben schienen. Die Verantwortlichen sind mit dem Erfolg der Aktion zufrieden. Ausführliche Lohn- und Gehaltsliste seien gefunden worden, die bewiesen, daß das Spionagenetz von Kroatien finanziert worden sei. Auch habe man Kopien von Briefen Tudjmans und dem Leiter der kroatischen Geheimdienste in Zagreb gefunden, aus denen hervorginge, daß das Ziel der Unternehmung die Untergrabung des »Friedens von Dayton« war.
Aus den beschlagnahmten Dokumenten ginge auch hervor, daß die Regierung in Kroatien gemeinsam mit den bosnischen Kroaten überlegt hatte, wie die Aktivitäten der UNO, der NATO, des Roten Kreuzes und des UNO-Kriegverbrechentribunals in Bosnien besser überwacht und Angestellte dort angeworben werden könnten. So sei bei einer Geheimdienstoperation am 29. September in die Räumlichkeiten des UNO- Kriegsverbrechertribunals in der bosnischen Stadt Livno eingebrochen worden. Dabei wurden Dokumente entwendet und Überwachungausrüstung plaziert, um kontrollieren zu können, wer von den Beamten des Tribunals verhört und was dabei gesagt wird.
Einige der beschlagnahmten Materialien scheinen jedoch mehr mit krimineller Bereicherung als mit politischer Untergrundarbeit zu tun zu haben. Unter Berufung auf NATO-Quellen berichtete die Washington Post, daß die kroatischen Agenten auch mit organisierten kriminellen Gruppen zusammengearbeitet und fleißig in die eigene Tasche gewirtschaftet hätten. So sei ein Teil des Tudjman-Geldes in den Ausbau ihrer kriminellen Aktivitäten geflossen, wobei die Fälschung von Kreditkarten und Telefonscheckkarten eine ihre Spezialitäten gewesen seien.
Nur zehn Prozent der beschlagnahmten Dokumente sind nach NATO-Auskunft bisher übersetzt worden, aber sie zeigten ganz deutlich, daß »höhere (kroatische) Beamte sich mit Hilfe dieser illegalen Operationen enorm bereichert haben. Sie bestätigen das Bestehen korrupter Verbindungen im kroatischen Machtgefüge«, so ein NATO-Offizier. Das schließe die Umlenkung von Steuereinnahmen auf die Konten der regierenden kroatischen Partei HDZ mit ein. Die Dokumente zeigten darüber hinaus, daß die Geldströme groß genug waren, um in Zagreb Streitereien über ihre Verteilung hervorzurufen. Nach Aussagen des UNO- Hochkommissars für Bosnien-Herzegowina, Wolfgang Petritsch, flossen – und fließen sicher immer noch, wenn nun auch über andere Kanäle – bis zu zwei Millionen Dollar am Tag in die Unterstützung der kroatischen Extremisten in Bosnien. Ein UNO-Beamter bemerkte dazu: »Das zeigt deutlicher als alles andere, daß es dabei nicht um Nationalismus geht, sondern um Macht und Geld und wer es bekommt«.