Es steht viel auf dem Spiel
von Rainer Rupp
erschienen am 03.09.1999 in der Jungen Welt
UN-Beauftragter Bildt: Ohne »reformiertes« Serbien geht auf dem Balkan nichts
Präsident Milosevic muß weg. Darüber sind sich die NATO-Führer schon lange einig. Zu diesem Zweck scheuen sie auch nicht vor weiterer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des souveränen Staates Jugoslawien zurück. Zur Rechtfertigung führen sie ihre Sorge um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte an.
Ganz ohne diese üblichen Schnörkel und heuchlerischen Beschwörungen machte der UN-Sonderbeauftragte für das Kosovo, Carl Bildt, in einem Interview mit der »New York Times« deutlich, weshalb die NATO unbedingt eine neue Regierung in Belgrad braucht. Fazit: Ohne eine gründliche neoliberale Reform in Serbien wird es keine dem westlichen Kapital und der NATO-Politik genehme Lösung auf dem Balkan geben.
Nach Carl Bildt bestehen die alten sozialistischen Methoden des Wirtschaftens und des Denkens in weiten Teilen des Balkans fort. Diese alte Methoden seien für alle Probleme verantwortlich, von der Korruption bis hin zum ökonomischen Rückschritt. Das alte ökonomische und politische System bedürfe daher dringender Reformen. Nach Meinung des Schweden trägt das am weitesten industrialisierte Serbien die Hauptschuld für das ausbleibende Wirtschaftswachstum in der ganzen Region. Deshalb bestehe besonders dort die dringende Notwendigkeit für langfristige Reformen.
»Der Erfolg im Kosovo hängt sehr davon ab, was in Serbien passiert«, so Bildt. »Serbien ist ein so großes Stück Land, mitten auf dem Balkan. Wenn es sich nicht reformiert, wird es sehr schwer sein, im restlichen Teil (des Balkans) irgend etwas Bedeutendes zu erreichen.« Viel steht also für den Westen auf dem Spiel. Deshalb wird mit aller Macht der Sturz von Präsident Slobodan Milosevic betrieben. Er und seine Regierung sind das Haupthindernis für die Durchsetzung der »Neuen Weltordnung« auf dem Balkan.
Aber die serbische Opposition ist schwach, in sich gespalten und meist nicht gerade NATO-freundlich. Konstantin Obradovic, Menschenrechtsaktivist und Mitglied der oppositionellen Bürgerlichen Allianz, kritisierte zum Beispiel kürzlich die NATO dafür, daß sie im Kosovo mit zweierlei Maß mißt, wenn sie gegen Verbrechen gegen Serben und andere Minderheiten nur zögerlich vorgeht. »Sie glaubt, es gibt zwei Arten von Barbaren – Serben und Albaner, und sie scheint letztere zu bevorzugen«, so Obradovic. Nach den Genfer Konventionen müßten auch die, die ein Land besetzten, für die Sicherheit der örtlichen Bevölkerung sorgen. »Die KFOR-Soldaten leisten das nicht«, schlußfolgerte der Oppositionelle. Durch die US-gesponserte weitgehende Übernahme öffentlicher Aufgaben durch die UCK werde dies im Kosovo in Zukunft noch weniger der Fall sei.
Der größte Teil der serbischen Oppositionellen mag zwar Milosevic nicht ausstehen können, die NATO im Kosovo mögen sie aber noch weniger. Die Serbische Erneuerungsbewegung von Vuk Draskovic warf KFOR am Wochenende völliges Versagen bei der Eindämmung der Gewalt im Kosovo vor. KFOR und UN- Mission arbeiteten im wesentlichen eng mit der »Kosovo- Befreiungsarmee« UCK zusammen und würden helfen, »die monströsesten Pläne albanischer Terroristen und Separatisten zu verwirklichen«.
Bleibt als einziger Hoffnungsträger der NATO der 47jährige Chef der Demokratischen Partei, Zoran Djindjic. Steven Erlanger von der New York Times schrieb über Djindjic aus Belgrad, daß der »großstädtisch und telegene« Führer der Demokratischen Partei bereit sei, »bis zum Ende zu gehen.« Allerdings hätte das Weiße Haus dem in Deutschland studierten Djindjic lange nicht getraut, weil er »zu europäisch« gewesen sei, so Erlanger. Das kann nur als eine Vertuschung der Tatsache gewertet werden, daß der wendehalsige Politiker Djindjic vor nicht all zu langer Zeit bestens mit den serbischen Nationalistenführen in Bosnien befreundet war, weshalb er für die USA lange als unberührbar galt. Doch Djindjic hatte die Zeichen der Zeit erkannt und sich entsprechend militant »demokratisch« gegen Präsident Milosevic gewendet. Dafür bekommt er nun massive deutsch-amerikanische Unterstützung, auch finanzieller Art.
Dennoch scheint Djindjic kaum Chancen zu haben: »Es gibt kaum jemand, der Risse in der Regierung erkennen könnte. Beobachter sehen in Djindjics Radikalismus nichts anderes als ein Manöver, mit dem er von seiner Flucht aus Serbien während des Krieges abzulenken will«, schrieb die New York Times. »Die Serben mögen zwar (über Milosevic) verärgert sein, aber sie haben die Führer der Opposition auch nicht gerade ins Herz geschlossen.«
Auf eine in dem Belgrader Magazin NIN veröffentlichte Umfrage antworteten auf die Frage »Welcher Oppositionsführer wird uns aus der Krise führen?« 68 Prozent der Befragten mit »niemand«, 20 Prozent waren unentschieden, vier Prozent nannten Draskovic, 2,5 Prozent wählten »Superopa« Avramovic, zwei Prozent waren für Perisic und nur 1,5 Prozent entschieden sich für Djindjic. Um den NATO-Favoriten steht es also bei weitem nicht so gut, wie man nach den allabendlichen Berichten über Proteste in Jugoslawien meinen könnte.