»Es war eine Massenschlächterei«

»Es war eine Massenschlächterei«

von Rainer Rupp

erschienen am 09.10.1999 in der Jungen Welt

US-Massaker an koreanischen Zivilisten fast 50 Jahre lang vertuscht. 300 Flüchtlinge erschossen

Nach umfangreichen Nachforschungen bestätigte letzte Woche die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP), daß vor fast 50 Jahren amerikanische Soldaten in den ersten Wochen des Korea-Krieges in einem einzigen Massaker Hunderte zivile Flüchtlinge ermordet haben. Etwa 300 Männer, Frauen und Kinder, die bei No Gun Ri, einem kleinen Dorf etwa 160 Kilometer südöstlich von Seoul, unter einer Eisenbahnbrücke unweit der amerikanischen Linien vor den Angriffen amerikanischer Bomber Zuflucht gesucht hatten, waren dort von amerikanischem Maschinengewehrfeuer vorsätzlich niedergemäht worden.

»Es war eine Massenschlächterei«, zitiert AP den ehemaligen GI Herman Patterson in einem Interview. »Wir haben sie einfach ausgelöscht«, erinnert sich Norman Tinkler, der ebenfalls auf amerikanischer Seite bei diesem Kriegsverbrechen beteiligt war.

Obwohl die 25 Überlebenden des Massakers und Angehörige der Ermordeten im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte in ihrer Suche nach Gerechtigkeit sich immer wieder an die südkoreanischen und amerikanischen Behörden gewandt hatten, waren sie stets schroff zurückgewiesen worden. Nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, schenkte ihnen niemand Glauben. Nicht einmal eine Untersuchung der Beschuldigungen wurde von den amerikanischen Stellen angeordnet. Erst jetzt, nachdem AP über viele Monate hinweg die noch lebenden Kriegsveteranen aufgespürt hat, die damals an Ort und Stelle dabei waren, horcht Amerika auf. Als dann auch noch etwa ein Dutzend der ehemaligen Soldaten die Greueltat bestätigten, befahl US-Kriegsminister Cohen, die Pentagon-Archive nach weiteren Beweisen für die Untat zu durchforsten.

Den amerikanischen Medien zufolge scheinen die Erinnerungen der amerikanischen Kriegsveteranen die Erzählungen der Überlebenden und Angehörigen der Ermordeten über jene schrecklichen Ereignisse vom Ende Juli 1950 bei No Gun Ri zu bestätigen. Demnach wurden etwa 300 Flüchtlinge unter der Brücke von amerikanischen Soldaten erschossen, nachdem bereits vorher 100 von ihnen in einem Bombenangriff amerikanischer Flugzeuge umgekommen waren. AP zitierte einen amerikanischen Veteran, Eugene Heselman von Fort Mitchel, Kentucky, der sich daran erinnert, wie sein Hauptmann gesagt hatte: »Zur Hölle mit all den Leuten. Macht sie fertig.« Und Norman Glasco, ein Maschinengewehrschütze aus Kansas, bestätigte: »Wir haben sie alle vernichtet«. Sechs Veteranen der 1. Kavalleriedivision gestanden, daß sie selbst auf die Gruppe der Flüchtlinge bei No Gun Ri gefeuert haben. Sechs weitere erklärten, daß sie Augenzeugen der Erschießungen waren. Andere wiederum berichteten, sie hätten davon gewußt oder gehört.

Viele amerikanische Korea-Veteranen erinnern sich nun, daß ihre Offiziere zu Beginn des Krieges angenommen hatten, daß sich nordkoreanische Soldaten als Bauern verkleidet unter die Flüchtlingsgruppen mischen würden, um so hinter die sich zurückziehenden amerikanischen Linien zu gelangen und schließlich im Rücken der Amerikaner anzugreifen. Deshalb hätten amerikanische Offiziere ihren Einheiten in jenen Wochen des Rückzuges befohlen, auch auf zivile Flüchtlinge zu schießen, die sich ihren Linien näherten, um sich so gegen vermeintlich feindliche Soldaten zu schützen.

In monatelangen Recherchen in US-Militärarchiven hat Associated Press Dokumente gefunden, die diese unmenschlichen Befehle bestätigen. Daher liegt der Verdacht nahe, daß es sich bei No Gun Ri womöglich nicht um das einzige amerikanische Massaker dieser Art an koreanischen Zivilisten handelt.

Kenneth Bacon, der Pressesprecher des Pentagon, hatte dagegen noch kürzlich erklärt, daß die jüngsten Enthüllungen seiner Behörde keinen Grund gäben, ihre Stellungnahme vom März dieses Jahres zu revidieren. Damals hieß es, daß Historiker der US-Streitkräfte nach eingehender Durchsuchung der Militärarchive »keinerlei Hinweise gefunden haben, daß Soldaten der US-Armee an einem Massaker an südkoreanischen Zivilisten beteiligt waren.« Die »New York Times« rügte jedoch in einem Leitartikel vom 3. Oktober, daß die Nachforschungen der Army-Historiker schlampig waren: »Verteidigungsminister Cohen gesteht ein, daß das Pentagon die Behauptungen (der Opfer) nie ernsthaft untersucht hat. Und zu keiner Zeit sind Anstrengungen unternommen worden, die Veteranen, die damals in der Nähe des Vorfalls waren und Auskunft hätten geben können, aufzuspüren und zu befragen. Die Nachforschungen der Army beschränkten sich auf die Archive, und selbst da haben die Verantwortlichen geschlampt. Obwohl in den Militärarchiven kein offizieller Vermerk über das Massaker gefunden worden war, hatte AP immerhin Dokumente gefunden, die den schon erwähnten Befehl enthalten, auf Flüchtlinge zu schießen.«

Sollte tatsächlich nach so langer Zeit die Bluttat von No Gun Ri offiziell bestätigt werden, dann würde es sich um das zweite große und vorsätzliche Massaker an Zivilisten der US-Army handeln. 1968 in Vietnam hatte ein Platoon junger amerikanischer GI’s unter Führung des Leutnant Kelley die 500 Einwohner des Dorfes My Lai (Son My) ermordet. Die ganze Sache kam nur deshalb ans Licht der Öffentlichkeit, weil ein junger Soldat, der sich geweigert hatte, sich an dem Massaker zu beteiligen, das Massaker schließlich bekannt machte.