Falscher Film
von Rainer Rupp
erschienen am 23.06.1998 in der Jungen Welt
Kommentar zur Berichterstattung in Sachen Kosovo
Daß das Fernsehvolk als eine Masse tumber Trottel angesehen wird, ist nichts Neues. Neu ist allerdings, daß die Kosovo-Berichterstattung in den TV-Nachrichten nun auch dieser Linie folgt. Kein Tag vergeht ohne neue haarsträubende Nachrichten aus dem Krisengebiet. Da berichtet ein Korrespondent mit ernster Miene von den jüngsten Verbrechen der bösen Serben: Beim Versuch, Waffen und Munition über die Grenze von Albanien in den Kosovo zu schmuggeln, seien Kämpfer der separatistischen Untergrundarmee von serbischen Sicherheitskräften gestellt worden. Dabei sei es zu einer Schießerei gekommen, in deren Verlauf einige der Waffenschmuggler getötet worden seien. Diese Menschenrechtsverletzungen könnten natürlich von der internationalen Völkergemeinschaft nicht länger hingenommen werden.
Zugleich besteht die NATO darauf, daß sich die Sicherheitskräfte aus der ureigenen und international anerkannten Provinz der Republik Serbien zurückziehen und das Gebiet kampflos den UCK-Kämpfern überlassen. Wenn nicht, dann drohen NATO-Bomben. Eine Unabhängigkeit des Kosovo wolle man allerdings auch nicht. Mit weniger geben sich jedoch die separatistischen Nationalisten nicht zufrieden. Wen will man hier verarschen?!
Gefragt nach den politischen Zielen und Lösungen für den Konflikt, bleiben unsere Menschenrechtsmilitaristen eine Antwort schuldig. Trotzdem sind sie bereit, auch ohne UN- Mandat die Rechtsprinzipien zwischenstaatlichen Zusammenlebens auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Wofür? Um die schreckliche Verfolgung der Kosovo- Albaner durch die Serben zu beenden, erklären uns die TV- Kommentatoren mit schwerer Stimme, in der die ganze Tragik der Lage mitschwingt. Einige Minuten später dann die Meldung, daß Bundesinnenminister Manfred Kanther auch weiterhin in den Kosovo abschiebt, denn dort bestünden für die Kosovo-Albaner – außer im Kampfgebiet an der Grenze zu Albanien – keine Gefahren für Leib und Leben. Man glaubt, man sitzt im falschen Film, und einem miesen obendrein.
Aber der Film wird weiter abgespult. Bilder von einer Bergspitze in Albanien. Der Blick reicht bis weit in den Kosovo. Entlang der Grenze würden die Serben systematisch Dörfer ausradieren und die Bevölkerung vertreiben. Und der Beweis wird gleich mitgeliefert. Aus einem Dorf steigt eine Rauchfahne auf. Ein Haus brennt. Der Rest des Dorfes jedoch nicht. Satellitenbilder würden besser die der serbischen Polizei unterstellte Zerstörungswut belegen. Warum werden solche Bilder nicht gezeigt? Statt dessen ein angebliches Amateurvideo von einem brennenden Dorf. Nur kann sich der kritische Beobachter des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich bei den Bildern stets um ein und dasselbe Haus handelt; geschickte Schnitte, verschiedene Blickwinkel, stets Nahaufnahmen vom Feuer, aber kein Kameraschwenk und Weitwinkel, was die Nachbarhäuser oder den Rest des Dorfes zeigen würde.
Der Korrespondent auf der Bergspitze klagt nun gar in die Kamera, daß die Serben die Grenze dichtgemacht hätten und keine Flüchtlinge mehr nach Albanien kämen. Daß dies vielleicht im Widerspruch zu seiner anfänglichen Beschuldigung steht, Serbien würde eine systematische ethnische Vertreibung der Kosovo-Albaner praktizieren, scheint ihm gar nicht aufzufallen. Den meisten Zuschauern wahrscheinlich auch nicht. Der falsche Film wird deshalb weiter abgespult.