Friedenspolitik oder Regierungsfähigkeit? Zoff in der LINKEN
von Rainer Rupp
erschienen am 29.Januar 2021 via KenFM
Nicht nur in der Friedensbewegung haben die Initiativen in der Führungsspitze der Partei „Die LINKE“ für Empörung gesorgt. Auch parteipolitisch nicht organisierte Aktivisten und Anhänger anti-militaristischer Bewegungen sind alarmiert. Denn „Die Linke“ ist die einzige Partei im Bundestag, die gegen starken Druck und gegen alle Verlockungen von außen und von innen bis heute an ihrem friedenspolitischen Kurs festgehalten hat. Doch nun häufen sich die Warnsignale, dass mit Blick auf die nächsten Bundestagswahlen und mit Aussicht auf Regierungsbeteiligung das Spitzenpersonal der LINKEN der Partei den Marschbefehl „ohne Tritt, rechtsrum“ in die Kriegsfähigkeit geben will. Allerdings gibt es an der Parteibasis und bei einigen Bundestagsabgeordneten, die nicht bereit sind, ihre friedenspolitischen Überzeugungen für einen Minister- oder Staatssekretärsposten zu verkaufen, noch erheblichen Widerstand (1).
„Acht Monate vor der Bundestagswahl sorgt in der Linkspartei ein Positionspapier zur Friedens- und Sicherheitspolitik für Aufregung“, berichtete die parteieigene Zeitung „Neues Deutschland“ am 25. Januar 2021 (2). Der Autor des Papiers ist kein geringerer als Matthias Höhn, sicherheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion.
In dem von ihm zur Diskussion gestellten Papier skizziert Höhn ein ganz neues außen- und sicherheitspolitisches Programm, mit dem sich die Linke stromlinienförmig an die SPD mit ihren langjährigen imperialistischen Kriegserfahrungen in Regierungsverantwortung und an die kriegsgeilen Grünen anpassen kann. Als die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt jüngst auf dem Parteitag erklärte: „Die Grünen waren noch nie eine pazifistische Partei“ hat sie wenigsten einmal die Wahrheit gesagt (3).
Besonders alarmierend ist, dass eine starke Fraktion innerhalb der Grünen öffentlich über militärische Interventionen nachdenkt, mit oder ohne UNO-Mandat anderen Ländern mit Gewalt ihre grünen ökologischen Vorstellungen aufzuzwingen. Da befindet sich der Linke Mathias Höhn mit seinem neuen, außen- und sicherheitspolitischen Programm in bester Gesellschaft (4).
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Höhn in seinem Papier recht geschickt mit politischen Taschenspielertricks operiert, was einen an den bösen Witz erinnert: „Wie merkt man, wenn ein Politiker lügt?“ Antwort: „Wenn sich seine Lippen bewegen“.
In der Einführung zu seinem Diskussionspapier zwecks Kriegsbefähigung „linker Sicherheitspolitik“ singt Höhn ein hohes Lied auf die festen Säulen, auf denen der Friedenswillen der Partei ruht, nämlich: auf ihr „beharrliches Nein zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr, Nein zu immer größeren Verteidigungshaushalten, Nein zum weltweiten, scheinbar ungebremsten Geschäft mit Waffen und Rüstungsgütern.“
Und dann kommt sofort der Schlenker, mit dem genau diese Pfeiler, auf denen der Friedenswille der Partei ruht, untergraben werden. Dazu arbeitet Höhn mit den gängigen Argumenten aus der Trickkiste der neo-liberalen Groß-Deutschen, die darauf brennen, notfalls mit militärischen Mitteln rund um die Welt Verantwortung zu übernehmen; angeblich um Demokratie und Menschenrechte zu schützen, aber tatsächlich, um sich Rohstoffe und Marktzugänge zu sichern. Um die Linken in diese Richtung umzuprogrammieren argumentiert Höhn, dass seit Gründung der Linkspartei im Jahr 2011 „die Welt sich nicht zum Besseren entwickelt“ habe.
Dann lässt Höhn eine Parade des Schreckens am Leser vorbeiziehen: 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, bitterer Armut, Klimaveränderungen, Hundert Tausende Tote in Kriegen und Stellvertreterkriegen, allen voran in Syrien oder im Jemen, aber auch in der Ukraine, in Afghanistan, in Mali oder Libyen, im Irak. Diese Schrecken haben bei Höhn keine Geschichte, keine Ursache und Wirkung. Vielmehr wird der Eindruck vermittelt, dass die Schrecken – ähnlich wie ein Gewitter oder Sturmflut – außerhalb des Willens und Wollens der Menschen stattfinden. Aber Kriege und die Morde und das Elend, mit dem sie einhergehen, sind keine Naturgewalten, sie werden gemacht, und zwar von Politikern, von Regierungen, und zwar im Auftrag der wahren Herrschenden; wozu das angeblich von Tucholsky stammende Zitat über Politiker passt: „Sie dachten, sie seien an der Macht, dabei stellten sie nur die Regierung.
Angesichts der angeführten Kriege und des Schreckens in der Welt, betont dann Höhn, dass er mit seinem „Papier einen Beitrag dazu leisten will“, damit „wieder stärker über linke Sicherheits- und Verteidigungspolitik diskutiert wird. Und dann geht er ohne Übergang zum so genannten „Münchner Konsens“ über, bei dem anlässlich der (Un-)Sicherheitskonferenz von 2014 „ein verbaler Handschlag vollzogen wurde zwischen dem Bundespräsidenten, dem Außenminister und der Verteidigungsministerin, mit dem Ziel, dass Deutschland militärisch ‚mehr Verantwortung‘ in der Welt übernimmt.“
Das sei, so Höhn, „vor allem vor dem Hintergrund des Krieges in der Ostukraine und der völkerrechtswidrigen Aufnahme der Krim in die Russische Föderation geschehen. Mit Verweis auf eine russische Bedrohung für ‚den Westen‘ nach Jahren sinkender Militärhaushalte innerhalb von NATO und EU “sei dann im Westen die Kehrtwende in Richtung beinah unaufhörlich steigender Rüstungsausgaben“ vollzogen worden, wofür Höhn unterschwellig Russland verantwortlich macht. Dies alles sei „leider nur Teil einer höchst besorgniserregenden Entwicklung“, so Höhn.
Die Tatsache, dass für diese besorgniserregende Entwicklung in der Ukraine der damalige Bundespräsident Gauck als alter Kriegstreiber, gemeinsam mit seiner Gesinnungsfreundin im Verteidigungsministerium, Frau von der Leyen, und dem SPD-Außenminister Steinmeier maßgeblich verantwortlich waren und sind, wird von dem linken „Sicherheitsexperten Höhn einfach unter den Tisch fallen gelassen. Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass Steinmeyer sich sogar öffentlich als Unterstützer an der Seite der Faschisten und Putschisten in der Ukraine gezeigt hatte. Diese Vorgehensweise, nämlich Dinge ohne historischen Kontext zu präsentieren, ist typisch für das ganzes Höhn-Papier.
Zwar werden die Ausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten für 2019 mit zusammen 1.040 Milliarden Dollar richtig angegeben. (Mit über 700 Milliarden Dollar tragen die USA davon den Löwenanteil.) Danach aber werden die Verteidigungsausgaben Russlands und Chinas von Höhn als „massiv nachgezogen“ kritisiert. Denn Russland habe z.B. seinen Etat von 2010 bis 2016 um über 50 Prozent auf 79 Milliarden Dollar vergrößert, wenn der auch aus wirtschaftlichen Gründen inzwischen wieder um über 10 Prozent reduziert worden sei. Auch bei China verweist Höhn eifrig darauf, dass das Wachstum der Verteidigungsausgaben viel höher liegt als in der NATO: „China hat seine Militärausgaben seit 2010 auf zuletzt 266 Milliarden Dollar nahezu verdoppelt“, heißt es im Höhn-Papier.
Aber die einfache Tatsache, dass allein die USA doppelt so viel für ihr Militär ausgeben wie China und Russland zusammen, bleibt bei Höhn unerwähnt. Er konzentriert sich da lieber auf die höheren Wachstumsraten Russlands und Chinas, anstatt die Relationen hervorzuheben. Das ist ein billiger Statistik-Taschenspielertrick. Mit denen kann man Dummköpfe manipulieren. Offensichtlich hält der Autor nicht viel von seinen Wählern. Auch der Rest des Papiers kommt einem vor, als würde Höhn davon ausgehen, dass die Parteibasis in Bezug auf Außen- und Sicherheitspolitik nur aus Idioten bestehe.
Die Gründe für die erhöhten Militäranstrengungen Chinas und Russlands, nämlich die aggressive US-NATO-Diplomatie und Militärpolitik, fallen beim Sicherheitspolitiker Höhn ebenfalls unter den Tisch. Denn es ist nicht Russland, das seine Grenzen an die NATO-Militärbasen ausgedehnt hat, sondern es sind die US-NATO, die mit ihrem Militär entgegen hochheiliger Versprechen nach dem Ende des Kalten Kriegs an die Grenzen Russlands vorgerückt sind. Aber auch dieser Aspekt findet in der Höhnschen Analyse der Sicherheitslage keine Erwähnung.
Im gleichen Stil geht es im restlichen Teil des sieben Seiten langen Papiers weiter. So sind laut Höhn Völkerrecht und Multilateralismus zunehmend unter Druck geraten. Wichtige Pfeiler internationaler Rüstungskontrolle seien ins Wanken gekommen oder bereits eingerissen worden. Egal ob es um die US-Aufkündigung des INF-Vertrages geht oder um das von Washington herbeigeführte Ende der „Open Sky“ – Rüstungskontrollflüge, für Höhn sind hier beide Seiten gleichermaßen schuld.
Letztlich geht es Höhn darum, „jenseits ausgedienter Freund-Feind-Bilder“ die Partei zu einem Umdenken bei ihren friedenspolitischen Grundprinzipien zu drängen. Daher plädiert er – allerdings nicht offen, sondern implizit – für ein Ende der generellen Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch die Linke. Gegen Ende seines Papiers im Kapitel 5 mit dem Titel: 5. „Gewaltmonopol der Vereinten Nationen durchsetzen“ gibt Höhn ein rhetorisch gelungenes Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen ab, nur um anschließend unter Berufung auf eben dieses, in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot die LINKE anzuspornen, UNO-genehmigten Bundeswehreinsätzen in Zukunft zuzustimmen.
Höhn argumentiert demagogisch geschickt, nach dem Motto: Wir sind alle gegen Gewalt, aber um Gewalt zu verhindern, müssen wir zuerst Gewalt anwenden. Ähnlich hatte der Grüne Außenminister Joschka Fischer argumentiert, als er die deutsche Beteiligung am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien damit rechtfertigte, dass „im Kosovo ein neues Auschwitz verhindert“ werden müsste.
Hier nun Höhn im O-Ton: „Aber die Mütter und Väter der Charta wussten auch, dass es allein bei einer solchen Verpflichtung (keine Gewalt) nicht bleiben konnte. Es brauchte klare Regeln für den Fall von drohenden oder ausgebrochenen militärischen, bzw. bewaffneten Konflikten. Es sollte allein den Vereinten Nationen obliegen, die notwendigen Schritte einzuleiten. Das ist ein Punkt der Charta, den DIE LINKE bisher ausblendet bzw. ablehnt. Doch das wird aus meiner Sicht weder internationalen Erfordernissen noch denen einer in sich schlüssigen Position gerecht. Denn dieser Teil der Charta ist der völkerrechtskonforme Gegenentwurf zu dem Wild-West-Denken der Cowboys dieser Welt – egal, ob sie Bush, Trump, Putin oder Erdoğan heißen.“
Tja, in der idealen Welt im sicherheitspolitischen Wolkenkuckucksheim könnte das mit der UNO so funktionieren, wie Höhn das darstellt. Aber wenn die LINKE erst einmal ihre Prinzipien über Bord geworfen hat und Bundeswehrauslandseinsätze nicht mehr ablehnt, wie wird sie sich dann als Junior-Partei in einer SPD-Grün-Linken Regierung in einem konkreten Fall wie damals 1999 in Jugoslawien verhalten?
Damals drängten vor allem die Amerikaner in der NATO auf Krieg. Weil aber keine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat vorlag, andererseits Russland und China zwar Sanktionen unterstützten, aber bei einer Abstimmung über Krieg mit einem Veto drohten, argumentierten die Kriegstreiber in der NATO mit einem angeblich drohenden Völkermord und setzte sich aus vorgespielten humanitären Gründen über das Gewaltmonopol der UNO hinweg. Der angebliche Kriegsgrund war damals schon eine unverschämte Lüge, die Tausenden Menschen den Tod brachte, aber die Propaganda von der Notwendigkeit der Verhinderung eine „neuen Auschwitz“ mobilisierte auch die friedfertigsten Grünen gegen den „Neuen Hitler“ Milosevic.
Genau diesen Weg bereitet Höhn für die Partei die LINKE vor, um sie für eine SPD-Grün-Linken Koalition regierungsfähig zu machen. Überhaupt würde sich Höhn mit seinen grünen und sozialdemokratischen Kollegen gut verstehen.
Denn laut Höhn ist die Eigentumsfrage der Produktionsmittel nicht entscheidend. Also die Frage ob private Gewinnmaximierung oder soziale Verantwortung des gesellschaftlichen Eigentums ist irrelevant. „Entscheidend ist“, laut Höhn (5), „die demokratische Legitimation und Kontrolle. Wem was gehört, wird zweitrangig, wenn man in einem demokratischen Prozess geklärt hat, welche sozialen und ökologischen Regeln für alle gelten und wer deren Einhaltung überwacht.“
Wie das möglich sein soll bei den tatsächlichen Machtverhältnissen in diesem real-existierenden Kapitalismus in seiner radikal neoliberalen Ausprägung ist für Herrn Höhn offensichtlich auch nicht entscheidend.
Entscheidend ist aber, dass die unaufhaltsame, weltweite ökonomische Expansion der transnationalen Konzerne unter militärischem Begleitschutz im Auftrag derjenigen geschieht, die die eigentliche Macht im Staat haben und für die die Politiker nur die Regierung stellen. Auch das hat Herr Höhn entweder nicht verstanden oder es ist ihm egal.
Entscheidend ist auch, dass die Außenpolitik in Deutschland mehr und mehr von den imperialistischen Interessen der wirklich Mächtigen im Staat gesteuert wird. Mit seiner Initiative, der Partei die LINKE militärische Auslandseinsätze schmackhaft zu machen, bedient Herr Höhn objektiv diese imperialistischen Interessen. Andererseits geht diese Entwicklung auf Kosten der großen Mehrheit des deutschen Volkes, vor allem der hart arbeitenden Massen der Lohnempfänger, deren Wohl nach dem Selbstverständnis der LINKEN der Partei besonders am Herzen liegen sollte. Aber für Herrn Höhn scheint auch das nicht relevant.
Denn Herr Höhn, ist Mitglied im „Forum Demokratischer Sozialismus“. Das ist eine parteiinterne Strömung der Linken, in der sich maßgebliche Vertreter des Reformerlagers versammelt haben. Zu dieser Strömung gehört offensichtlich auch, eine ambivalente Haltung gegenüber dem Kapitalismus. Hier nochmals Höhn im O-Ton:
„Der Kapitalismus gehört völlig zu Recht kritisiert, aber Kapitalismus bedeutet auch Innovation und Wachstum. Wenn linke Politik attraktiv sein will, darf sie die Welt nicht in rosaroten Farben malen, dafür haben wir eine zu enorme soziale Spaltung. Aber wir müssen auch die Potenziale sehen, denn an diesen soll ja unser gesellschaftlicher Reformprozess anknüpfen.“ Die neo-liberalen „linken“ Reformen der SPD lassen grüßen.
Vor einigen Jahren hatte ich eine 12 Jahre alte Schülerin gefragt, was sie unter dem Begriff Reformen versteht. Die Antwort des klugen Kindes lautete wahrheitsgetreu: „Wenn man den Leuten was wegnimmt!“
Quellen: