Gefahr reaktionärer Coups
von Rainer Rupp
erschienen am 28.01.1999 in der Jungen Welt
Wirtschaftskrise, Massenarmut und soziale Proteste: In Asien erwägt man Etablierung neuer Diktaturen
In Asiens politischen und intellektuellen Kreisen erscheint vielen die liberale Demokratie nicht als die Lösung für ihre drängenden finanziellen und wirtschaftlichen Probleme«, stellte Ding Xue Liang, Forscher am China-Center der australischen Universität Canberra, kürzlich fest. In der Tat scheint ein politisches Umdenken in der Region an Boden zu gewinnen.
Die meisten Länder der Region stecken in einer tiefen Rezession und mehr Probleme werden für 1999 erwartet. Massenarbeitslosigkeit und soziale Misere werden sich in den nächsten Monaten noch verschärfen, weil sich die Finanzkrise von Mitte 1998 erst mit zeitlicher Verzögerung in der realen Wirtschaft voll auswirken wird. Vor diesem Hintergrund wächst der Widerstand gegen den alles vereinnahmenden Neoliberalismus. Und die Regierungen einiger Länder der Region, darunter die der bevölkerungsreichsten, China und Indonesien, warnen bereits, daß die Öffnung nach außen beschnitten werden muß, um die Krise zu meistern. Dabei stoßen sie jedoch auf starken Widerstand der USA, der anderen westlichen Länder und der von diesen kontrollierten internationalen Finanzorganisationen IWF und Weltbank, die nur in einer Radikalisierung der Marktwirtschaft nach amerikanischem Vorbild die Lösung für die fundamentalen Probleme der Asienkrise sehen. So ist es nicht verwunderlich, daß sich Geschäftsleute und Regierungsbeamte westlicher Länder in jüngster Zeit vermehrt beklagen, daß insbesondere China, Vietnam, Myanmar (Burma), Laos, Kambodscha und Malaysia dazu neigen, die begonnenen marktwirtschaftlichen Reformen aufzugeben und statt dessen mit Hilfe von neuen Zöllen und Kapitalkontrollen die heimische Wirtschaft und Industrie gegen den Vormarsch der neoliberalen Globalisierung abzuschotten. Der philippinische Präsident Ramos, dessen Land ebenfalls am Finanztropf des Westens hängt, der sich aber bisher systemkonform verhalten hat, äußerte kürzlich die Befürchtung, daß die Krise dazu führt, daß die asiatischen Länder wieder einem virulenten politischen und wirtschaftlichen Nationalismus verfallen. Er beschwor die Zeit der 50er und 60er Jahre, die von Protektionismus, Handelskontrollen und strengen Vorschriften für den Kapitalverkehr gekennzeichnet waren.
Aber nicht nur westliche Konzerne bangen um ihre neuen Märkte und Möglichkeiten der Maximierung der Kapitalverwertung, auch die neopolitischen Herrscherclans der regionalen Staaten, teils einheimische Profiteure des Neoliberalismus, teils eng verbandelt mit dem unter internationalem Druck stehenden nationalen Kapital, sehen ihre Pfründe und ihre Macht durch die innenpolitischen Entwicklungen in ihren Ländern bedroht.
Internationale Hilfsorganisationen schätzen, daß von den 200 Millionen Einwohnern Indonesiens mittlerweile 80 Millionen in absoluter Armut leben. Mehr als ein Dollar am Tag steht ihnen nicht zur Verfügung, was oft nicht einmal die lebenswichtige Reisration sichertt. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) befürchtet, daß die Zahl der neuen Armen allein in Indonesien bis zum Ende dieses Jahres sogar auf 130 Millionen ansteigen wird, wenn die Krise weiter andauert.
Nach offiziellen indonesischen Angaben sind zur Zeit 20 Millionen arbeitslos gemeldet, aus einer Gesamtarbeitschaft von 90 Millionen. Viele der Beschäftigten finden jedoch nur wenige Stunden Arbeit pro Woche. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel. Aus Armut und Verzweiflung haben viele ihren Respekt vor der Polizei und dem Militär verloren, die das Regime stützen. Schwere Unruhen erzwangen aber bereits im vergangenen Jahr den Rücktritt von Präsident Habibie. Zugleich überschwemmt eine wachsende Welle von Verbrechen und Gewalt das Land, die sich insbesondere gegen die chinesische Minderheit im Land richtet, die traditionell den Handel kontrolliert. Dies verschärft zusätzlich die Schwierigkeiten, die Versorgung aufrecht zu erhalten. Auch hält sich das internationale Kapital weiterhin zurück, obwohl zur Zeit viele eigentlich gute Unternehmen zu Spottpreisen zu haben sind, was die Krise und die sozialen Unruhen nur noch vertieft.
Befürchtungen, daß diese Entwicklung von reaktionären, nationalistischen Kreisen – nicht nur in Indonesien – als Vorwand für einen Coup dienen könnten, der die bisherige pseudo-demokratische Fassade in diesen Ländern gänzlich abschafft und eine unverhohlene Diktatur errichtet, werden durch Äußerungen führender Regierungsvertreter in der Region zusätzlich genährt.
Indonesiens Präsident Habibie warnte kürzlich, daß zuviel politische Freiheit die nationale Einheit und Stabilität gefährdeten. »Das Pendel hat zu weit zugunsten politischer Öffnung geschlagen«, legte sein Bildungsminister nach. »Dieses Verlangen nach politischer Demokratie und Offenheit, dem eine Periode tiefster wirtschaftlicher Entbehrung gegenübersteht, ist die wohl gefährlichste Kombination für den Erhalt der politischen Stabilität.« Unter diesen Umständen kann sich unter den europäischen Linken keine ungeteilte Freude über das Scheitern des Neoliberalismus in Asien einstellen. Die einheimischen Gewerkschaften und die Linke in dieser Region sind nach jahrelanger Unterdrückung desorganisiert und schwach. Einer gewaltsamen Machtergreifung reaktionärer Kreise und Clans hätten sie wenig entgegenzusetzen. Und unter deren Herrschaft dürfte sich die wirtschaftliche Ausbeutung und das soziale und politische Los der arbeitenden Menschen nur noch verschlimmern. Gegenüber dem Neoliberalismus, der als Voraussetzung für seine erfolgreiche Ausbreitung wenigstens die formalen bürgerlichen Rechte und Freiheiten benötigt und einfordert, wäre eine solche Entwicklung ein Rückschritt.