Generäle zu vermieten

Generäle zu vermieten

von Rainer Rupp

erschienen am 24.08.1999 in der Jungen Welt

Im Kosovo hat die NATO eine Herrschaft des Terrors errichtet (Teil II)

Von Michel Chossudovsky

Die Massaker an Zivilisten im Kosovo sind keine unzusammenhängenden Racheakte, die von albanischen Zivilisten oder sogenannten »unkontrollierbaren Elementen« innerhalb des UCK begangen wurden, wie von der NATO und den Vereinten Nationen behauptet wird. Vielmehr sind sie Teil eines gleichbleibenden und zusammenhängenden Musters. Das Ziel der von der UCK geförderten Greueltaten war die »ethnische Säuberung« von Serben, Roma und anderer Minoritäten im Kosovo.

Als UCK-Kommandant Agim Ceku auf die Ermordung von 14 serbischen Dorfbewohnern am 24. Juli bei Gracko zu sprechen kam, behauptete er: »Wir [die UCK] wissen nicht, wer das getan hat. Aber ich glaube aufrichtig, daß diese Leute nichts mit der UCK zu tun haben.« Seinerseits hat der KFOR-Kommandant, Generalleutnant Sir Michael Jackson, seinen Gegenpart von der UCK, Kommandant Agim Ceku, für seine »Bemühungen« gelobt, die UCK zu entwaffnen. Tatsache ist aber, daß nur sehr wenige UCK-Waffen abgegeben worden sind. Deshalb verlängerte die NATO kurzerhand für die UCK die Abgabefrist für ihre Waffen.

»Ich sehe dies (die Verzögerungen durch die UCK – Anm. d. Ü) nicht als Nichtbefolgung an«, sagte dazu KFOR-Kommandant Jackson in einer Pressekonferenz, »sondern eher als Zeichen für die Ernsthaftigkeit, mit der General Ceku diese wichtige Ausgabe angeht.«

Von der Krajina zum Kosovo

Was Sir Michael Jackson nicht erwähnte, ist die Tatsache, daß der UCK-Stabschef, Kommandant Agim Ceku, nach Angaben von »Jane Defence Weekly« vom 10. Juni 1999 einer der hauptverantwortlichen Planer der erfolgreichen »Operation Sturm« der kroatischen Armee war, die sich 1995 gegen die Serben richtete, die seit Jahrhunderten in der kroatischen Krajina lebten. (Allerdings wurde Agim Ceku für seine Rolle in dieser Operation bisher noch nicht als Kriegverbrecher angeklagt.)

AP-Foto: Vertreibung und Völkermord – in Den Haag blieben die Konsequenzen aus

Dem General Jackson, der im ehemaligen Jugoslawien in der Schutztruppe der Vereinten Nationen (UNPROFOR) gedient hatte, müssen die damaligen Aktivitäten von Agim Ceku und dem kroatischen Oberkommando bekannt sein. Im Februar 1999, kaum ein Monat vor Beginn der NATO-Bombardierungen, verließ Ceku seine Position als Brigadegeneral der kroatischen Armee, um oberster militärischer Leiter der UCK im Kosovo zu werden.

Nach Ansicht des Kroatischen Helsinki-Ausschusses für Menschenrechte kam es während der drei Tage dauernden »Operation Sturm« (1995) zu etlichen Massakern, denen mindestens 410 Zivilisten zum Opfer fielen (die tatsächliche Zahl liegt jedoch weit darüber). Ein interner Bericht des Kriegverbrechertribunals von Den Haag, der der »New York Times« zugespielt worden war, bestätigt, daß die Armee Kroatiens für eine Reihe von Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wird: »Massenexekutionen, unterschiedslose Beschießung der Zivilbevölkerungen mit Granaten und >ethnische Säuberung< der Krajina von Serben (New York Times, 21. März 1999)

In einem Kapitel des Berichts mit dem Titel: »Die Anklage. Operation Sturm. Ein eindeutiger Fall« bestätigt das Tribunal: »Während der militärischen Offensive begingen die kroatische Armee und die Sonderpolizei zahlreiche Verletzungen der internationalen Gesetze zum Schutz der Menschenrechte, unter anderem die Bombardierung von Knin und anderen Städten mit Granaten. Während der militärischen Offensive und den 100 Tagen, die folgten, wurden mindestens 150 serbische Zivilisten summarisch exekutiert und viele Hunderte verschwanden … In einer umfassenden und systematischen Weise begingen kroatische Truppen Morde und andere unmenschliche Taten an den kroatischen Serben.« (New York Times)

Der interne, 150 Seiten lange Bericht des Tribunals stellte weiter fest, daß es »ausreichendes Material hat, um gegen drei (kroatische) Generäle, die das Militär während der Operation Sturm befehligten« ein Verfahren wegen Kriegsverbrechen einzuleiten (New York Times). Die benannten Personen waren direkt für die militärische Operation vor Ort verantwortlich. Jene, die für die Planung der »Operation Sturm« verantwortlich zeichneten, werden nicht erwähnt.

Haager Tribunal vertuscht

Die Identität des »amerikanischen Generals« (verantwortlich für die Planung), von dem der Mitarbeiter des Tribunals Fenrick gesprochen hat, ist nicht bekannt. Das Tribunal hat Fenrick nicht erlaubt, sich dazu in einem Interview zu äußern. Aber Frau Arbour, die Chefanklägerin des Tribunals, deutete in einem Telefoninterview letzte Woche an, daß Fenricks Kommentar nur ein Scherz gewesen sei. Frau Arbour war nicht während der Sitzung anwesend gewesen, bei der Fenrick seine Bemerkung hat fallenlassen. Und jene, die dabei gewesen sind, haben es nicht als Scherz verstanden. Vielmehr nahmen sie an, daß Fenricks Bemerkung sich auf einen ehemaligen US-General bezog, der für die amerikanische Söldnerfirma »Military Professional Resources Inc. (MPRI)« in Kroatien arbeitete. In bezug auf die amerikanische Verwicklung in die Operation Sturm bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet. Dokumente des Tribunals belegen, daß im Verlauf der dreijährigen Untersuchung der Operation die Vereinigten Staaten es versäumt haben, die vom Tribunal verlangten kritischen Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Bei den Beamten des Tribunals hat das nur das Mißtrauen geweckt, daß Washington die Untersuchung dieser Sache sehr unangenehm ist. Nach Auskunft von Mitarbeitern der Tribunals und auf Grundlage entsprechender Dokumente hat das Pentagon über amerikanische Anwälte, die am Tribunal vertreten sind, wissen lassen, daß es der Auffassung ist, daß der Granatbeschuß (der Zivilbevölkerung in den serbischen Städte in der Krajina – Anm. d. Ü.) eine legitime militärische Aktivität war. (NYT, 21. März 1999)

Das Tribunal versucht nur zu verstecken, was bereits in mehreren Presseberichten unmittelbar nach der »Operation Sturm« aufgedeckt worden war. Nach Aussagen eines Sprechers des US- Außenministeriums hat die Söldnerfirma MPRI den Kroaten geholfen, »unnötige Greueltaten bei militärischen Operationen zu verhindern«, wie die New Yorker Zeitung The Nation am 27. 7. 1999 berichtete. Fünfzehn hochrangige US-Militär-Berater, angeführt vom pensionierten Zwei-Sterne-General Richard Griffitts, waren kaum sieben Monate vor der »Operation Sturm« nach Kroatien geschickt worden (Time Magazine, 15. Januar 1996). Es existiert ein Bericht, wonach der Geschäftsführer der MPRI, General Carl E. Vuono, ein »Geheimtreffen mit dem kroatischen General Varimar Cervenko, dem Architekten der Krajina- Offensive, auf der Insel Brioni vor der kroatischen Küste gehabt hat. In den fünf Tagen, die dem Angriff vorausgingen, fanden mindestens zehn Sitzungen zwischen MPRI-General Vuono und Offizieren statt, die in den Angriff mit einbezogen waren«, berichtet Ken Silverstein in dem bereits zitierten Bericht in »The Nation«.

Von Ed Soyster, einem hochrangigen Mitarbeiter der MPRI und seines Zeichens ehemaliger Chef des US-amerikanischen militärischen Geheimdienstes (DIA), liegt nachfolgende Aussage vor: »Die Rolle der MPRI in Kroatien beschränkt sich auf >Klassenzimmerausbildung< auf dem Gebiet von militärisch-zivilen Beziehungen und beinhaltet kein Training an Waffen oder taktische Schulung. Andere amerikanische Militärs sagen, was auch immer MPRI für die Kroaten getan hat, es war jeden Pfennig wert.«

Dagegen sagte Charles Boyd, ein vor kurzem pensionierter Vier- Sterne-General der US-Luftwaffe, der bis Juli 1995 die Nr. 2 des Pentagons in Europa war: »Carl Vuono und Butch [Crosbie] Saint (ein anderer führender Mitarbeiter von MPRI – Anm. d. Ü.) sind Söldner, die für die Kroaten eine sehr gute Arbeit geleistet haben und die ohne Zweifel auch in Bosnien eine gute Arbeit tun werden.« (Time Magazine)

Die Tatsache, daß die internen Berichte des Tribunals über die Massaker in der Krajina ausgerechnet wenige Tage vor den NATO-Luftangriffen auf Jugoslawien der Presse zugespielt worden waren, brachte die Chefanklägerin der Tribunals, Louise Arbour, arg in Verlegenheit. Daraufhin versuchte das Tribunal, die Sache so gut wie möglich zu vertuschen und die Entdeckungen des Berichtes – einschließlich der Hinweise auf die Rolle der amerikanischen Offiziere im Dienste Kroatiens – herunterzuspielen. Einige Beamte des Tribunals, einschließlich des amerikanischen Rechtsanwalts Clint Williamson, versuchten, die Zeugenaussage des kanadischen Blauhelm-Offiziers zu diskreditieren, der 1995 Zeuge der Massaker in der Krajina war.

Williamson, der die Bombardierung Knins mit Granaten als »nebensächliches Ereignis« beschrieb, sagte aus, daß das Pentagon ihm erklärt hätte, daß Knin ein legitimes militärisches Ziel gewesen sei. Daraufhin stimmte das Tribunal dafür, die Beschießung von Knin nicht in die Liste von Anklagepunkten aufzunehmen; eine Entscheidung, die viele am Tribunal verärgerte und/oder mit ungläubigem Staunen aufgenommen wurde (NYT, 21. März 1999). Die Erkenntnisse des Tribunals, die aus dem der Presse zugespielten internen Bericht hervorgingen, wurden in der Folge systematisch heruntergespielt: Ihre Bedeutung wurde beiläufig als »Meinungsäußerungen, Argumente und Hypothesen« verschiedener Mitarbeiter abgetan. Nach Ansicht der Sprecherin der Tribunals »stellen die Dokumente in keinster Weise die Schlußfolgerungen der Anklage dar«.

Der interne 150-Seiten-Bericht ist bisher nicht freigegeben worden. Der Mitarbeiter, der für die Zuspielung an die Presse verantwortlich gemacht wurde, arbeitet nach einem Bericht des kroatischen Fernsehens nicht mehr für das Tribunal.

Chemische Waffen?

Die Massaker, die im Rahmen der »Operation Sturm« stattfanden, bereiteten den Boden für die ethnische Säuberung von mindestens 180 000 Krajina-Serben (entsprechend der Schätzungen des Kroatischen Helsinki-Komitees und von Amnesty International). Andere Quellen vermuten eine weitaus höhere Zahl von Opfern der ethnischen Säuberung in der Krajina.

Außerdem gibt es Hinweise, daß chemische Waffen im jugoslawischen Bürgerkrieg von 1991-1995 benutzt wurden (NYT, 31. Oktober 1992). Obwohl es keine handfesten Beweis für deren Gebrauch gegen kroatische Serben gibt, deutet eine (seit Juli 1999) laufende Untersuchung des kanadischen Verteidigungsministeriums darauf hin, daß kanadische Friedenstruppen während ihres Dienstes in Kroatien von 1993 bis 1995 mit toxischen Substanzen vergiftet worden sind.

»Als die Medien erst einmal begriffen hatten, daß im Verteidigungsministerium womöglich ein größerer Skandal hochgehen würde, war die Spannung während den letzten Wochen groß. … Es ging um die Krankenakten jener kanadischen Soldaten, die 1993 in Kroatien eingesetzt waren. Es gab Behauptungen über vernichtete Akten, Gerüchte über Vertuschung und sehr defensive höhere Beamte im Ministerium«, berichtet die kanadische Zeitung »National Post«.

Der amtliche freigegebene Bericht des kanadischen Ministeriums der Nationalen Verteidigung (DND) spricht von der Möglichkeit der toxischen »Bodenverschmutzung« in der Medak- Tasche im Jahre 1993. Handelte es sich nur um »Bodenverschmutzung« oder war es etwas weitaus schlimmeres? Die Kriminaluntersuchung durch die Königliche Kanadische Aufgesessene Polizei (RCMP – vergleichbar mit dem amerikanischen FBI) spricht von der Vernichtung von Krankenakten ehemaliger kanadischer Blauhelmsoldaten durch das DND. Mit anderen Worten, was hatte das DND zu verstecken? Die Kernfrage ist: Welche Art von Granaten und Munition hatte die kroatische Armee eingesetzt; gebrauchte sie chemische Waffen gegen serbische Zivilisten?

Der Bericht des Regiments

Vor dem massiven Angriff hatte das kroatische Radio eine Meldung von Präsident Franjo Tudjman verkündet, der alle »kroatische Bürger serbischer Abstammung« dazu aufrief, »in ihren Häusern zu bleiben und sich nicht vor den kroatischen Behörden zu fürchten, die die Minoritätenrechte achten würden«. Kanadische Blauhelmsoldaten des Zweiten Bataillons des Königlichen 22. Regiments waren Zeugen der Greueltaten der kroatischen Truppen bei ihrer Krajina-Offensive 1995: »Alle Serben, die ihre Häuser nicht verlassen hatten, wurden von umherziehenden kroatischen Todeskommandos systematisch >ethnisch gesäubert<. Jedes verlassene Tier wurde erschossen und jede mögliche serbische Wohnung wurde geplündert und angezündet.« (zitiert nach The Sunday Sun, Toronto, 2. November 1998).

Die Teilnahme deutscher Söldner an der Operation Sturm wurde ebenfalls von den kanadischen Blauhelmtruppen bestätigt. The Sunday Sun weiter: »Unmittelbar hinter der aus kroatischen Kampftruppen und deutschen Söldnern bestehenden Front folgten eine große Zahl von nationalistischen Extremisten. Viele der Greueltaten wurden innerhalb des kanadischen Sektors begangen. Aber die Blauhelme wurden schon bald von der kroatischen Regierung informiert, daß die UNO in der Region nichts mehr zu sagen hätte.«

Bisher ist nicht offiziell bekanntgeworden, wie die deutschen Söldner angeworben worden sind. Eine Untersuchung der UNO- Kommission für Menschenrechte bestätigte nur, daß fremde Söldner in Kroatien in einigen Fällen »außerhalb Kroatiens angeworben und bezahlt worden waren«.

Das Massaker von Medak

Die Zeitschrift »Jane Defence Weekly« vom 10. Juni 1999 meldete, daß Brigadegeneral Agim Ceku, nun militärischer Chef der UCK, auch das »Gehirn der erfolgreichen Offensive der Kroatischen Armee bei Medak« im September 1993 war. Die unter dem Codenamen »Verbrannte Erde« geführte Operation in Medak hatte die totale Zerstörung der serbischen Dörfer von Divoselo, Pocitelj und Citluk und das Massaker an über 100 Zivilisten zur Folge (AP-Foto: Kroatiens Truppen lassen sich in Zagreb dafür feiern). Diese Massaker wurden auch von kanadischen Blauhelmsoldaten unter UNO-Mandat bezeugt: »Als die Sonne über den Horizont stieg, war das Tal Medak gefüllt von Rauche und Feuer. Während die frustrierten (kanadischen) Soldaten auf den Befehl zum Einsatz in der Medak-Tasche warteten, wurde die ethnische Säuberung fortgesetzt und immer wieder konnte man Schüsse und Schreie hören. Ungefähr 20 Mitglieder der internationalen Presse waren mitgekommen, um auf keinen Fall das Schlachtfeld von Medak zu verpassen. Calvin [ein kanadischer Offizier] berief an der Spitze der Kolonne eine ad-hoc- Pressekonferenz ein und beschuldigte die Kroaten des Versuchs, Kriegsverbrechen an serbischen Einwohnern zu verheimlichen.«

Die Kroaten begannen, sich wieder auf ihre alte Linie zurückzuziehen. Dabei nahmen sie alles mit, was sie nicht zerstört hatten. Alle Tiere waren getötet und alle Häuser angezündet worden. Französische Spähtrupps und ein kanadisches Kommando rückten dann in das Tal vor, und schon bald fanden sie die ersten Leichen von serbischen Zivilisten, einige schon vor einigen Tagen getötet, andere gerade erst erschossen. … Schließlich, an dem regnerischen Morgen des 17. September, kamen Gruppen von der UNO-Zivilpolizei, um die rauchenden Ruinen zu begutachten und nach Mordopfern zu suchen. Die verwesenden Leichen, die im Freien lagen, wurden katalogisiert und dann an die Blauhelme zur Bestattung übergeben.«

Übersetzung: Rainer Rupp