Gipfel-Festsuppe versalzen
von Rainer Rupp
erschienen am 24.04.1999 in der Jungen Welt
Altbundeskanzler Helmut Schmidt kritisiert die neue NATO
An diesem Wochenende feiert die NATO in Washington Gipfeltreffen und Jubiläum. 50 Jahre die erfolgreichste Friedensallianz der Weltgeschichte. Ein Schalk, wer bei dem Friedenskrieg gegen Jugoslawien etwas Böses denkt. Aber so ganz wohl scheinen sich selbst die sonst so selbstgerechten Amerikaner angesichts ihrer zivilen Bombenopfer auf dem Balkan nicht zu fühlen. Der große Pomp bei den Feierlichkeiten ist abgesagt worden. Auf die sonst übliche »Hollywood«-Inszenierung wird diesmal verzichtet. Barbra Streisand wird nicht singen. Dafür strömt aber alles, was Rang und Namen hat, nach Washington.
Nicht nur Staats- und Regierungschefs der 19-NATO- Kriegsstaaten, sondern auch die höchsten Repräsentanten all jener Staaten des ehemaligen Warschauer Vertrages und der ehemaligen Sowjetunion – mit Ausnahme Rußlands – sind angesagt. Dazu kommen die Generalsekretäre der internationalen Organisationen, vorweg Kofi Annan von den Vereinten Nationen.
Ganz der Mann der Amerikaner, die sich ja für seine Wahl besonders stark gemacht hatten, lobt Kofi Annan denn auch in seiner Grußadresse die NATO, die nichts Eiligeres zu tun hatte, als sie in der Jubelausgabe ihrer hauseigenen Publikation NATO-Brief zu veröffentlichen. Wenn man sie liest, glaubt man, im falschen Film zu sitzen. Kofi Annan lobt die NATO als regionale Organisation, »die unter der Autorität des UNO-Sicherheitsrates hilft, internationalen Frieden und Sicherheit zu wahren«. Dann hebt Annan hervor, daß in Artikel 1 des Nordatlantikvertrages sich die Mitgliedsstaten der NATO verpflichten, »jeglichen internationalen Streit, in den sie verwickelt werden, mit friedlichen Mitteln zu lösen, und zwar in einer Weise, daß der internationale Frieden, die Sicherheit und Gerechtigkeit nicht gefährdet werden«. Außerdem haben sie sich verpflichtet, »auf keinen Fall mit Gewalt zu drohen oder sie anzuwenden, wenn das nicht mit den Zielen der Vereinten Nationen übereinstimmt«. … »Indem die NATO getreu diesen Prinzipien gefolgt ist, hat sie einen wesentlichen Beitrag zur regionalen Stabilität in Europa geleistet.« Soweit Kofi Annan, der auf die Hilferufe der mit einem Angriffskrieg überzogenen souveränen Bundesrepublik Jugoslawien überhaupt nicht reagiert hat.
Die NATO-Jubelschrift (»Gedenkausgabe des NATO-Briefs«) enthält zwei Hauptbeiträge – einen historischen und einen bemerkenswerten zweiten Beitrag von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der den offiziellen Kriegstreibern in Bonn die Suppe ganz schön versalzen dürfte.
So befaßt sich Schmidt (hier noch inmitten späterer Krieger) mit der gegenwärtigen Situation und den Aussichten für die Weiterentwicklung der NATO, wobei er nachdenklich Fragen stellt und kritische Kommentare abgibt, die den Bonner NATO-Gratulanten sicherlich nicht ins Konzept passen. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb die Jubelausgabe immer noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegt. Nachfolgend einige Auszüge aus dem Beitrag von Helmut Schmidt im NATO-Brief:
Zu Jugoslawien: »Die Legalität der Gewaltanwendung ohne UNO-Mandat gegen einen souveränen Staat ist nun zum Gegenstand heißer Debatten geworden. Zugleich ist es Fakt, daß kein Mitgliedsstaat der NATO vertraglich dazu verpflichtet ist, daran teilzunehmen. Wie auch immer, jeder, der die Geschichte des Balkans über die Jahrhunderte vor Augen hat, wird der Möglichkeit skeptisch gegenüberstehen, dort auch nur mit irgendeiner Form der militärischen Intervention einen stabilen Frieden zu schaffen.«
Zu »Out of area«: »Die amerikanische Regierung scheint diese Ereignisse (gemeint sind die Ereignisse in Jugoslawien – R.R.) als Präzedenzfall anzusehen, für zukünftige Interventionen in anderen Regionen, ohne dafür notwendigerweise die Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates einzuholen. Aber nicht alle Alliierten stimmen zu, daß der Nordatlantikvertrag Aktionen außerhalb des Territoriums der NATO-Mitgliedsländer ohne UNO-Unterstützung vorsieht. Wenn die USA oder andere Unterzeichner des Vertrages die Pflichten der Allianz erweitern wollen, um die gemeinsame bewaffnete Verteidigung ihrer Interessen in »out-of area«- Territorien mit einzuschließen, dann bedarf das eines (Zusatz)Protokolls zum Nordatlantikvertrag, der von allen Mitgliedern ratifiziert werden muß.« (R.R.: In der Praxis, siehe Jugoslawien, benimmt sich die NATO aber schon so, als ob das alles schon unter Dach und Fach wäre! Die ungezügelte Machtpolitik löst international nicht nur das Völkerrecht auf, sondern auch die staatsrechtlichen Rahmen innerhalb der NATO- Staaten.)
Weiter mit Schmidt: »Bisher hat es kaum eine öffentliche Diskussion über zukünftige »out of area«-Pflichten gegeben … Die mangelnde Klarheit der Allianz zu diesem Punkt macht es für die Medien, die Parlamente und die öffentliche Meinung in den alliierten Nationen schwierig, eine informierte Diskussion zu diesem Thema zu führen«. … Dies aber sei unbedingt nötig, »bevor die Ziele der Allianz grundsätzlich (fundamental) erweitert oder umdefiniert werden.«
»Jegliche Erweiterung der inhaltlichen oder geographischen Zuständigkeit der NATO muß sicherstellen, daß diese Veränderungen genau definiert werden.« … Auf jeden Fall müsse die Allianz »den Vorrang der Charta der Vereinten Nationen anerkennen«, besonders Artikel 51, der dem Sicherheitsrat die endgültige Entscheidung vorbehält, selbst in solchen Fällen, wo die Alliierten von ihrem Recht der Selbstverteidigung Gebrauch machen möchten.«
Zur US-amerikanischen Politik: »Die Haltung der amerikanischen Politiker gegenüber der UNO ist in jüngster Zeit zweideutig geworden. Der breite Konsens in der Außenpolitik, an den wir früher gewöhnt waren, ist schwächer geworden. Einige einflußreiche Politiker und ihre Berater sehen in der NATO ein nützliches Instrument, um langfristig Amerikas globale Interessen zu sichern. Andere dagegen nehmen eine vorsichtigere Haltung ein. Während Amerika als Ganzes immer noch seine gewohnte Vitalität an den Tag legt, scheint es in Fragen der Außenpolitik und Strategie doch nicht mehr so konsistent wie in früheren Jahrzehnten.«
Aber wenn es um Krieg geht, dann wollen die Herren der rosa- grünen Bundesregierung nicht einmal mehr auf ihren sonst so hochverehrten Altbundeskanzler Helmut Schmidt hören. Und wenn gar ein PDS-Abgeordneter im Bundestag genau auf diese von Helmut Schmidt angesprochenen Punkte verweist, erregt er die Empörung der Friedensbomber, die mit solchem kommunistischen Schweinekram nichts zu tun haben wollen.