Globale NATO – Nach Russland nun auch China als Feind

Globale NATO – Nach Russland nun auch China als Feind

von Rainer Rupp

erschienen am 06.Dezember 2020 via RT Deutsch

Anfang der Woche hatten die Außenminister der NATO ihr alljährliches Herbsttreffen abgehalten, diesmal coronakonform per Videokonferenz. Auch diesmal lautet der Auftrag des transatlantischen Bündnisses, neue Schandtaten gegen die Störer seines globalen Herrschaftsanspruchs auszuhecken. Im Visier der NATO-Politiker stehen stets die Länder, die sich noch nicht aus freien Stücken den Forderungen der westlichen Un-Wertegemeinschaft unterworfen und ihre nationale Souveränität im Interesse der transnationalen Finanzkonzerne aufgegeben haben.

So rückte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg direkt zu Beginn der NATO-Außenministerkonferenz den Leitgedanken der westlichen Kriegsallianz explizit in den Vordergrund, dass neben dem alten Feind Russland jetzt auch China „für die westliche Allianz eine steigende Bedrohung darstellt“. Aber was will der NATO-Apparatschik Stoltenberg mit diesen Worten eigentlich sagen?

Die Tatsache, dass die NATO-Staaten den Russen und Chinesen im globalen Maßstab nach wie vor militärisch und ökonomisch weit überlegen sind, wird von niemandem bestritten, auch von NATO-Strategen nicht. Allerdings hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Korrelation der Kräfte zugunsten Russlands und Chinas verbessert. Denn Moskau und Peking haben unter intelligenter Nutzung ihrer – im Vergleich zu den NATO-Ländern – geringeren ökonomischen Ressourcen und unter Einsatz ihrer herausragenden militärisch-technologischen Durchbrüche neue Waffensysteme und entsprechend angepasste Militärstrategien entwickelt, die sie auf absehbare Zukunft effizient gegen militärische Erpressungsversuche und Aggressionen der NATO-Länder schützen.

Die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte und der Land-See-Raketen z.B. ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass unter aktuellen Bedingungen bei einem konventionellen Seekrieg im Südchinesischen Meer oder in der „Straße von Taiwan“ der Sieg der angeblich unbesiegbaren US-Flotte selbst von US-Strategen ernsthaft in Frage gestellt wird. Ähnlich sieht es bei einem konventionellen US-NATO-Landkrieg gegen das russische Mutterland aus, denn bei den entsprechenden Kriegssimulationen der militärischen US-Denkfabriken wie RAND ist es stets Russland, das gewinnt, begleitet von einer vernichtenden Niederlage der US/NATO-Aggressoren. In Bezug auf die globale Projektion militärischer Macht hat sich jedoch an der Vormachtstellung der USA nichts geändert.

Die laut Stoltenberg von Russland und China ausgehende angebliche „Bedrohung“ besteht also nicht darin, dass von den beiden Ländern die Gefahr eines Angriffs auf die NATO-Länder ausgeht, sondern vielmehr darin, dass USA und NATO nicht mehr nach Belieben schalten und walten und provozieren können. Die neue Qualität der Beziehungen besteht darin, dass sich Russland und China in ihrem eigenen regionalen Umfeld gegen jeglichen konventionellen Angriff effizient und siegreich verteidigen können. Das macht die bei den USA bisher so beliebten militärischen Provokationen Chinas und Russlands zu einem zunehmend gefährlichen Unterfangen, denn Washington weiß, wenn die so bedrängten Nationen sich gegen die Provokationen wehren, werden sie regional den Kürzeren ziehen.

So konnte z.B. letzte Woche ein US-Zerstörer, der in Fernost an der Pazifikküste in russische Hoheitsgewässer eingedrungen war, nur durch die Drohung eines russischen Kriegsschiffes, die Amerikaner in Grund und Boden zu rammen, davon überzeugt werden, dass es besser war, abzudrehen. Auch die Chinesen lassen sich inzwischen längst nicht mehr alles gefallen, und der chinesische Staatschef Xi hat jüngst die Elitetruppen des Landes öffentlich dazu aufgerufen, „sich auf einen Krieg vorzubereiten“ und bereit zu sein, für die Verteidigung ihres Heimatlandes zu sterben.

Derweil haben die Strategen im Leuchtturm der Freiheit und der Menschenrechte in Washington gemerkt, dass die USA den ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Aufstieg Chinas nicht im Alleingang stoppen können. Seit Anfang 2020 nahm daher der Druck Washingtons auf seine NATO-Vasallen zu, neben Russland auch China offiziell zum neuen Gegner zu deklarieren. In einer einjährigen antichinesischen Propagandakampagne in den sogenannten „Qualitätsmedien“ der Länder NATO-Europas wurde die Bevölkerung auf ihren neuen Feind vorbereitet. So wurde z.B. im Unterschied zu den Jahren zuvor, nicht mehr von der „chinesischen Regierung“, sondern in Anlehnung an alte antikommunistische Beißreflexe nur noch von den „kommunistischen“ Diktatur in Peking gesprochen.

Und was Russland betrifft, so liegt es in der Logik der NATO-Expansionisten, stärkere Aufrüstung zu fordern. Denn wenn man den Russen mit schweren NATO-Waffen immer näher auf den Pelz rückt und auch deutsche Panzer an der estnisch-russischen Grenze nur noch 160 Kilometer von St. Petersburg entfernt den Angriff – nein, Entschuldigung: die Verteidigung der Freien Welt – üben, dann könnte das russische Militär nervös werden, die friedlichen Bemühungen der westlichen Demokratien für ungezügelte, freie Märkte missverstehen und militärisch überreagieren. Darauf muss die NATO vorbereitet sein.

Daher lautet das Gebot der Stunde: „Aufrüstung statt gegenseitiger Sicherheit durch Verhandlungen“. Das ist auch voll und ganz die Meinung der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Denn auch diese Dame ist von der Vorstellung durchdrungen, dass die unkultivierten russischen Horden aus den Tiefen Sibiriens nur eine Sprache verstehen, nämlich die der Knute. Deshalb meint die Ministerin aus tiefster Überzeugung, dass wir Deutsche „in bester deutscher Tradition“ nur aus „einer Position der Stärke“ mit den Russen „verhandeln“ dürften.

In bester deutscher Tradition nur aus einer Position der Stärke verhandeln? Wem bei diesen Worten aus dem Munde der deutschen Verteidigungsministerin nicht ein Schauer über den Rücken läuft, der kennt die schlimmsten Tragödien der deutschen Geschichte nicht. Mit diesem Argument, nämlich nur aus einer Position der Stärke den Frieden zu sichern, wurde in Deutschland die Bevölkerung wiederholt hinters Licht geführt, um sie auf den Ersten und den Zweiten Weltkrieg vorzubereiten. Wenn dieses gefährliche Spiel mit dem Untergang im Einklang mit „bester deutscher Tradition“ steht, wie das Frau Kramp-Karrenbauer behauptet, dann fällt mir angesichts dieses menschenverachtenden Zynismus der saarländischen CDU-Dame nur noch der Spruch des Malers Max Liebermann ein, der am 30. Januar 1933 aus gegebenem Anlass gesagt hat: „Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“

Um sicherzustellen, dass niemand glaubt, das unsägliche Zitat der Ministerin sei ein Fake oder aus dem Zusammenhang gerissen, soll hiernach aus dem Protokoll der 194. Sitzung des Deutschen Bundestags, 19. Wahlperiode, in Berlin am Mittwoch, dem 25. November 2020 von den Seiten 24467 und 24468 zitiert werden. 

In dieser Sitzung forderte die FDP-Abgeordneten Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann die Verteidigungsministerin auf, zu erklären, was sie damit gemeint habe, als sie in ihrer Grundsatzrede eine Woche zuvor an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg davon gesprochen hatte, „dass man der Bevölkerung in Deutschland auch unbequeme Wahrheiten darüber, was passiert, zumuten“ müsse, „gerade in Fragen der Sicherheitspolitik“. Sie forderte Kramp-Karrenbauer auf, jetzt diese Wahrheiten zu benennen, die „die Bevölkerung bis dato Ihrer Meinung nach nicht weiß und dringend erfahren sollte“.

Nach einem einleitenden, nichtssagenden Gerede von fast knapp hundert Worten wurde Ministerin Kramp-Karrenbauer etwas konkreter und sagte, dass „mit Blick auf die Sicherheitsarchitektur (wir) auf der einen Seite sehen, dass Bedrohungen auch in unserer Nachbarschaft gewachsen sind, und dass wir auf der anderen Seite sehen, dass wir nach wie vor eine hohe Abhängigkeit etwa von den Fähigkeiten der amerikanischen Seite haben. Wer diesen Bedrohungen etwas entgegensetzen will, um aus einer Position der Stärke heraus in alter deutscher Tradition eben auch gute Verhandlungen führen zu können, und das nicht nur mit der amerikanischen Seite tun will, der muss mehr (militärisch) investieren und europäisch mehr tun.“

Daraufhin stelle Dr. Alexander S. Neu (Die Linke) der Ministerin eine Frage:

Frau Ministerin, Sie haben ja gerade die Frage von Geld aufgeworfen. Die europäischen NATO-Mitgliedstaaten geben laut SIPRI etwa 279 Milliarden Dollar für ihre Armeen aus, viermal so viel wie die Russische Föderation und 20 Milliarden Dollar mehr als die Russische Föderation und die Volksrepublik China zusammen. Wievielmal mehr sollen dann eigentlich die europäischen Mitgliedstaaten ausgeben, auch Deutschland, um ein Überlegenheitsgefühl generieren zu können?“

Auf diese Frage antwortete Kramp-Karrenbauer:

„Unabhängig von der Summe, die Sie genannt haben, ist es Fakt, dass die russische Seite massiv in die Modernisierung ihrer Streitkräfte investiert hat, dass sie über neue Waffen verfügt, dass die Bedrohung sehr viel evidenter geworden ist. Ich empfehle dazu Gespräche auch mit den Kollegen aus den baltischen Staaten, aus Schweden, aus Mittel- und aus Osteuropa. Wenn wir aus einer Position der Stärke heraus hier in Verhandlungen – auch in Abrüstungsverhandlungen – kommen wollen, dann müssen wir unsere Position stärken. Auch das war immer eine gute Tradition deutscher Außenpolitik, und das sollte sie für die Zukunft auch bleiben.“

Danach folgt im Protokoll die Anmerkung: „Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD]“.

Zwei Tage nach dieser unsäglichen AKK-Aussage im Bundestag meldete sich das russische Verteidigungsministerium am 27. November mit einem Kommentar ihres Sprechers Generalmajor Igor Konaschenkow zu Wort. Hier folgt der lesenswerte Text:

„Wir wollten uns nicht mit einer Antwort beeilen, weil wir damit rechneten, dass vernünftig denkende Politiker in Deutschland eingedenk der Ergebnisse, zu denen die Befolgung solcher Aufrufe geführt hatten, die Ministerin selbst berichtigen würden. Leider war dem nicht so.

Deswegen müssen wir nicht zum ersten Mal feststellen, dass die Erklärungen einzelner Politiker der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf den Dialogaufbau mit Russland an die Versuche eines Grundschülers erinnern, sein Unwissen im Thema durch die Lautstärke des artikulierten Unsinns auszugleichen.

Frau Annegret Kramp-Karrenbauer bekleidet das Amt der Verteidigungsministerin Deutschlands erst seit kürzerer Zeit. Wie auch ihre Vorgängerin demonstriert sie jedoch Unfähigkeit, irgendetwas Bedeutendes für die wirkliche Festigung der Sicherheit in Europa vorzuschlagen.

Wir müssen Frau Kramp-Karrenbauer daran erinnern, dass ausgerechnet die neulich von ihr im Bundestag vorgeschlagene ‚gute Position der deutschen Außenpolitik‘, den Dialog ‚aus einer Position der Stärke heraus‘ zu führen, im 20. Jahrhundert mehrmals zu tragischen Folgen für die ganze Welt, für Deutschland und das deutsche Volk geführt hat.“

Nochmals zwei Tage später, am 29. November, hat auch die Sprecherin der russischen Außenministeriums Maria Sacharowa zur der Aussage von AKK über den notwendigen Umgang mit Russland „aus einer Position der Stärke heraus“ Stellung genommen. Dabei ging Frau Sacharowa zunächst auf die von AKK betonte „Abhängigkeit“ der Bundesrepublik von den USA ein. Hier folgen Auszüge aus dem Text des russischen Außenministeriums:

„Deutschland befindet sich bis jetzt in einer (…) Position – der ‚eines abhängigen Landes im Sicherheitsbereich‘. Ich zitiere dabei Annegret selbst, die zugegeben hat, dass die BRD ohne die USA im Militärbereich ganz und gar haltlos ist.

Von welcher ‚Position der Stärke‘ kann dann die Rede sein? Gemeint ist offenbar nicht die eigene Stärke. (…) Urteilt man danach, wie die US-Botschafter mit ihren deutschen Kollegen sprechen, so stimmt gerade das Gegenteil.

Wollen wir die Tatsachen betrachten.

Auf dem Territorium Deutschlands ist das (nach Japan) größte US-Auslandskontingent stationiert. Das zeugt von dem Charakter der US-Präsenz in der BRD. Denn in anderen Ländern des europäischen Kontinents gibt es um das Zigfache weniger US-Stützpunkte.

Welche Rede kann von einer ‚Stärke der deutschen Außenpolitik‘ sein, da Washington die Bundeskanzlerin abgehört hat, während Berlin lediglich ’stark‘ zurückgelächelt hat?

Erst vor Kurzem hat Deutschland seine Unzufriedenheit mit den Plänen der USA bekundet, die US-Truppen teilweise in andere Länder zu verlagern. Das ist stark, da kann man nichts sagen.

Oder nehmen wir als Beispiel die US-Atomwaffen, die in der BRD lagern. Das mag zwar eine Stärke sein, aber keine eigene. Natürlich lässt man Berlin zu den ‚gemeinsamen Atommissionen‘ der NATO-Mitgliedsstaaten (Nuclear Sharing) zu, aber nur unter Kontrolle, obwohl diese Veranstaltung eigentlich dem Geist und dem Buchstaben des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen widerspricht.“

Da bleibt nur noch anzufügen: Wo die Russen recht haben, haben sie recht!

Einen weiteren Beweis ihrer Unzulänglichkeit hatte Ministerin Kramp-Karrenbauer bereits vor einem Jahr in ihrer ersten Grundsatzrede an der Münchner Bundeswehruniversität zum Besten gegeben. Was sie dabei zu Russland sagte, schlug dem Fass den Boden aus. Vollkommen unbekümmert von den tatsächlichen Entwicklungen nach dem Ende des Kalten Kriegs stellt sie in geübtem Orwellschen Neusprech die Tatsachen auf den Kopf. Denn laut AKK ist nicht die NATO an die russischen Grenzen vorgerückt, sondern die Russen an die NATO-Grenzen. Hier folgt im O-Ton, was AKK den Russen vorwirft:

„Russland setzt gleichzeitig unbeirrt seine stetige Aus-, ja Aufrüstung mit konventionell und nuklear bestückten Raketensystemen fort – in direkter Nachbarschaft der Europäischen Union, unmittelbar an der Ostgrenze der NATO. Das strategische Gleichgewicht und potenziell auch die nukleare Balance in Europa werden dadurch empfindlich gestört.“

Unglaublich! Diese verdrehte, von AKK vorgetragene Logik ihrer Redenschreiber im Verteidigungsministerium erinnert an die Cartoon-Zeichnung, die eine Landkarte von Russland zeigt, auf der die real existierenden US- und NATO-Militärbasen rund um Russland geographisch exakt eingezeichnet sind. Der Text dazu lautet: „Diese Karte zeigt wie aggressiv die Russen sind, denn ihre Grenzen liegen ganz dicht an unseren NATO-Militärbasen.“