Im falschen Film: „NATO 2030“
von Rainer Rupp
erschienen am 26. Juni 2020 via KenFM
Nachdem die europäischen Staaten im organisatorischen Rahmen der Nordatlantischen Vertragsorganisation NATO in den letzten 30 Jahren den USA dabei geholfen haben, mit völkerrechtswidrigen Angriffskriegen den Balkan, Afghanistan, den Nahen Osten und Nordafrika in die Luft zu sprengen und in Kriegs- und Spannungszonen aufzuteilen,
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und nachdem die NATO mit ihren Angriffswaffen immer weiter in Richtung Osten bis direkt an die Grenze Russlands vorgestoßen ist,
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und nachdem die USA unterstützt von der NATO in der Ukraine den rechtmäßig gewählten Präsidenten gewaltsam weggeputscht hat und das Land mit Hilfe einer Armada von Neonazi-Kampfgruppen auf den Kopf gestellt hat,
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nachdem die USA den INF-Rüstungskontrollvertrag über atomare Mittelstreckenraketen zwischen Russland und den USA jüngst mit Unterstützung der NATO-Länder gekündigt hat,
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und nachdem die USA mit Unterstützung der NATO Russland mit einem ballistischen Raketenschild umzingelt hat,
nach all diesen gefährlichen und verbrecherischen Taten haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer der NATO, – dieses monströsen Relikts aus dem Kalten Krieg – entschieden, dass angesichts der überall rapide wachsenden politischen Instabilität es am besten für die Völker der Erde ist, die Welt mit noch mehr NATO zu beglücken, und zwar mit dem Projekt „NATO 2030“. Man kommt sich vor wie in einem falschen Film.
Nein Danke.
Ein kurzer Rückblick wird jeden Leser bei vernünftigem Menschenverstand überzeugen, dass wir nicht mehr, sondern weniger NATO brauchen, und wir Deutsche am besten ganz ohne NATO und die amerikanischen quasi-Besatzer auskommen. Denn von denen geht die permanente Gefahr aus, dass sie uns jederzeit – mit oder ohne Zutun unserer eigenen, deutschen Kriegstreiber – in einen neuen, großen Krieg mit Russland hineinziehen können.
Laut dem englischen Lord Ismay, der von 1952 bis 1957 der erste Generalsekretär der NATO war, bestanden Sinn und Zweck der Nordatlantischen Vertragsorganisation darin, „die Russen aus Westeuropa raus, die Amerikaner drin und die Deutschen unten zu halten“. Diese Aufgabe hat die NATO im Dienst des erz-kapitalistischen Washingtoner Ausbeuter- und Oligarchenregimes mit Erfolg absolviert. Dabei hat die totalitäre Propaganda von den Baby-fressenden Kommunisten die braven Bürger im Westen dermaßen erschreckt, dass sie den Amis dankbar waren, als sie sich quasi auf Ewigkeit bei uns militärisch eingenistet hatten und den Europäern diktieren konnten, wo es wirtschaftlich und politisch lang zu gehen hatte, nämlich auf der Linie Washingtons.
Damit diese Ordnung der US-Führungsnation auch in allen europäischen NATO-Ländern ohne effektiven Widerstand funktionierte, dafür sorgte auch die NATO. Zugleich aber wurden in Politik, Wirtschaft, Militär und Medien die vielversprechenden jungen Europäer erfasst und im Rahmen großzügiger US-Förderprogramme in kaderschul-artigen Organisationen und Instituten zu transatlantischen Eliten herangezogen. Dabei haben sie dann das Dogma verinnerlicht, dass es den Europäern nur dann gut gehen kann, wenn es den USA noch besser geht und die Herrscher in Washington zufrieden sind. Daher galt und gilt für diese transatlantischen Eliten bis heute an erster Stelle bedingungslose Loyalität gegenüber Washington und zweitens, dass es zur engen Anbindung der europäischen NATO-Staaten an die USA keine Alternative gibt. Das ging und geht heute noch mehr auf Kosten des eigenen Volkes, aber das hat im Kalkül der neoliberalen Eliten der westlichen Unwertegesellschaft noch nie eine Rolle gespielt.
Für ihre uneingeschränkte Loyalität wurden die europäischen Vasallen mit steilen Karrieren, Ansehen und Reichtum belohnt, denn wer in Washington gern gesehener Gast war, für den war die Karriereleiter zu Hause ein automatischer Aufzug. Erst im letzten Jahrzehnt, infolge des starken Einbruchs der Finanzmärkte und der Wirtschaftskrise, haben Teile der Eliten der europäischen NATO-Staaten zunehmend entdeckt, dass ihre eigenen, national-ökonomischen und daraus folgenden politischen Interessen im Widerspruch zu denen der Amerikaner stehen. Und manche haben entsprechend reagiert. Zwar hatte es auch schon früher immer wieder Mal Krach in der NATO gegeben, aber stets hatte das gemeinsame Interesse an einer Lösung ohne Aufsehen in der Öffentlichkeit überwogen. Das ist in den letzten Jahren immer weniger der Fall, wie jeder aufmerksame Bürger den täglichen Nachrichten entnehmen kann.
Nun zurück zum eingangs erwähnten Projekt „NATO-2030“.
Jens Stoltenberg, der aktuelle Generalsekretär der NATO und ehemalige norwegische Ministerpräsident, kündigte am 8. Juni dieses Jahres in Brüssel den Start des Planungsprojekts „NATO 2030“ an. Laut Stoltenberg soll dieses Projekt die Nordatlantische Terrororganisation, wofür die Abkürzung NATO tatsächlich steht, erstmals global verankern. Getreu den neuen, Peking-feindlichen Vorgaben aus Washington, versucht auch Stoltenberg gemeinsam mit den transatlantischen Kriegstreibern in den europäischen NATO-Mitgliedstaaten die Volksrepublik China zur größten Gefahr für uns Europäer und für die Art, wie wir leben, aufzubauschen.
Für Stoltenberg bedeutet dies, die NATO-Mitgliedschaft in den Pazifik auszuweiten, wobei Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea in die längst dysfunktionale Familie der NATO aufgenommen werden sollen. Es bedeutet auch, die Zuständigkeit der NATO über ein Militärbündnis hinaus auf eine breitere politische und ökologische Dimension auszudehnen. Letzteres scheint eher auf einen Akt der Verzweiflung der NATO-Führung hinzudeuten, die in ihrer Hoffnungslosigkeit irgendwie die Existenz der Organisation weiterhin zu rechtfertigen sucht und dafür sogar den „der Krieg gegen den Klimawandel“ heranzieht. Der wird vom NATO-Generalsekretär offenbar genauso ernst genommen, wie der unsägliche und schlecht einzugrenzende „Krieg gegen den Terrorismus“, der bequemerweise dem NATO-Aggressionsbündnis schon für viele Militärinterventionen als „Türöffner“ und als Ausrede für Völkerrechtsbrüche gedient hat. Und damit wären wir bei China angekommen, dass sich die NATO neben Russland als neuen Hauptfeind auserkoren hat.
Wer es noch nicht gemerkt hat, der sollte darauf achten, wie aggressiv neuerdings Washingtons Wortwahl im Umgang mit China ist, womit vor allem alte Urängste aus dem Kalten Krieg wiedererweckt werden sollen. Vor sechs Monaten sprachen Verlautbarungen des Weißen Hauses oder der US-Ministerien noch ganz korrekt von der „Führung in Peking“, oder der „chinesischen Regierung“. Jetzt wird jedes Mal mit rot-blinkenden Warnlampen das Attribut „kommunistisch“ verwendet: „die kommunistische Führung in Peking“ oder „die kommunistische Diktatur in Peking“, usw. Einige Schreiberlinge in deutschen Medien, die ihre besondere transatlantische Treue unter Beweis stellen wollen, haben inzwischen diese neue Sprachregelung aus Washington auch in deutschen Medien übernommen.
China ist jetzt auch für Europa die neue, unmittelbar drohende Gefahr, zumindest wenn es nach NATO-Chef Stoltenberg geht. Denn die Chinesen investieren laut Stoltenberg „massiv in moderne militärische Fähigkeiten, einschließlich Raketen, die alle verbündeten NATO-Länder erreichen können! Sie kommen uns im Cyberspace näher. Wir sehen sie in der Arktis, in Afrika… und sie arbeiten mehr und mehr mit Russland zusammen“. Und damit nicht genug, auch in Europa sind sie schon, vor allen in Osteuropa, aber auch in Griechenland, in Italien und sogar im deutschen Duisburg, wo es jeweils Endpunkte der neuen, so genannten Seidenstraße gibt. Für Stoltenberg ist das ein echtes Horrorszenario.
Wahrscheinlich denkt der NATO-Chef dabei an den ehemaligen SPD-Kriegsminister Struck, der –unterwürfigst die US-Stiefel leckend – damals die Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan gegenüber dem deutschen Volk damit begründete, dass „die Freiheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt“ werden müsste. Dieser, ihrer eigenen Logik folgend, denken heute die NATO-Kriegstreiber im Umkehrschluss wahrscheinlich, dass China schon bald mit Militärintervention seine wirtschaftlichen Freiheiten am Rhein bei Duisburg militärisch verteidigen könnte, oder im Hafen von Piräus oder in Italien seine Interessen militärische verteidigen könnte. Wie blöde muss man sein, um überhaupt sowas zu denken?
Aber die Kriegstreiber sind nicht blöde. Aber sie glauben, sie könnten das Volk für blöde verkaufen und ihnen Schauermärchen von den Kommunisten in Peking und der Diktatur in Moskau verkaufen, die die von Waffenstarrende US-NATO überrollen und uns alle versklaven wollen.
Deshalb warnte Stoltenberg die Völker Europas auch eindringlich vor der strategischen Partnerschaft, die Russland und China geschlossen haben. Die soll angeblich das „globale Machtgleichgewicht verändert“ haben. Plumper und durchsichtiger kann man Propaganda kaum noch machen. Wie Europaweite Umfragen von Jahr zu Jahr immer wieder aufs Neue zeigen, hat es sich selbst bis in die entlegensten Dörfer herumgesprochen, wer der Aggressor auf der Weltbühne ist. Ein Hinweis: Russland und China sind es nicht. Sie liegen weit abgeschlagen hinter den USA in der Spitzenposition.
Und ohne die aggressive US-NATO-Militärpolitik von Osteuropa, über den Kaukasus und den Nahen- und Mittleren Osten, über den Hindukusch bis hin ins Süd- und Ostchinesische Meer, zur Umzingelung Russlands und Chinas hätten sich Moskau und Peking wahrscheinlich gar nicht zu dieser engen Partnerschaft zusammengefunden. Außerdem wurde das „globale Machtgleichgewicht“ durch die russisch-chinesische Partnerschaft nur dahingehend verändert, dass die USA gemeinsam mit ihren NATO-Vasallen nicht mehr so unangefochten überall in der Welt Regierungen stürzen oder Kriege anzetteln können, wie sie das noch vor 10 oder vor allem vor 20 Jahren machen konnten.
Zudem befindet sich der NATO-Unwertewesten nicht erst seit gestern in einem wirtschaftlichen und moralischen Niedergang und zugleich im gesellschaftlichen Zerfall. Deshalb orientieren sich andere Völker zunehmend an nicht-westlichen Entwicklungsperspektiven, was wiederum negative Folgen für die westliche Außenwirtschaft und -politik hat. Da helfen auch die scheinheiligen Beschwörungen von westlicher „Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ durch Stoltenberg nicht.
Trotz des antagonistischen Denkens der NATO im Kalten Krieg haben Russland und China im Laufe der Jahre kontinuierlich dem Westen Olivenzweige präsentiert, z.B.: in Fragen der Terrorismusbekämpfung, der Asteroidenverteidigung und globaler Infrastrukturprojekte in der Arktis und der umfassende Gürtel. In allen Fällen wurden diese Angebote von dem westlichen militärischen Industriekomplex, der die NATO regiert, und dem atlantischen Bündnis fast einstimmig kalt erwischt.