Jetzt auch im Irak: „Ami go home!“
von Rainer Rupp
erschienen am 29. Oktober 2017 via RT deutsch und KenFM
Washington ist zunehmend über den Irak und den Iran frustriert. Bagdad lässt US-Außenminister Tillerson gegen die Wand laufen. Die US-Militärs, die den IS als Vorwand für eine Rückkehr in den Irak genutzt hatten, sollen nach Hause gehen.
Meinung von Rainer Rupp.
Bei seinem jüngsten Besuch in Saudi-Arabien am 22. Oktober drängte US-Außenminister Rex Tillerson auf engere Beziehungen zwischen der Golfmonarchie und dem Irak. Dabei lockte er den anwesenden irakischen Regierungschef Haider al-Abadi mit großen saudischen Investitionen zum Wiederaufbau des von der US-Kriegsmaschinerie immer noch weitgehend zerstörten Zweistromlandes. Wachsende und starke Beziehung zwischen Saudi-Arabien und dem Irak seien „entscheidend“, um die kollektive Sicherheit in der Region und die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Islamischen Staat zu stärken. Das sollte das Zuckerbrot für Bagdad sein.
Dann – offensichtlich immer noch überzeugt von der absoluten Macht des unverzichtbaren Imperiums in Washington, als dessen Vertreter er auftrat – knallte Tillerson mit der Peitsche und versuchte dem irakischen Ministerpräsidenten zu diktierten, dass erstens „alle ausländischen Kämpfer den Irak verlassen“ müssten. Damit zielte er auf die kampfstarken Einheiten der Iranischen Revolutionären Garden (IRG), die Teheran auf Bitten der Regierung in Bagdad als Militärhilfe gegen den IS in den Irak entsandt hatte.
Zweitens müssten die im Irak operierenden, schwer bewaffneten schiitischen Milizen, die ihre Ausbildung von den Kampftruppen der IRG erhalten hatten, entwaffnet, aufgelöst und nach Hause geschickt werden. Es waren aber diese Milizen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit und nicht das irakische Militär, die die Hauptlast der verlustreichen Boden- und Häuserkämpfe gegen den IS getragen hatten. Ohne sie wäre Mossul nicht befreit worden, US-Luftunterstützung hin oder her. Allerdings fühlen sich diese schiitischen Milizen mit Iran religiös und ideologisch aufs Engste verbunden und das ist Washington ein Dorn im Auge.
Iraks Bevölkerung sieht US-Truppen mitnichten als Sicherheitsgaranten
Tillerson machte jedoch bezüglich seiner Forderung, dass keine ausländische Macht sich im Irak einmischen dürfe, eine bedeutende Ausnahme. Denn was Washington allen anderen Nationen vorschreibt, gilt natürlich nicht für die Ausnahmenation USA. Die Soldaten der US-Armee und ihre Militärbasen in Irak sowie die angeheuerten Söldner dürfen, nein, sie müssen sogar im Irak bleiben, nämlich als „Garant für die regionale Sicherheit“. Denn nur so könne ein Wiedererstarken des IS verhindert werden, lautet die vorgeschobene Begründung Tillersons.
Nur dumm für die Amerikaner, dass ihnen in Irak schon lange niemand mehr glaubt. Vielmehr sind laut Umfragen weit über drei Viertel der irakischen Bevölkerung überzeugt, dass Washington die IS-Terroristen selbst geschaffen und stark gemacht hat, um unter diesem Vorwand im Irak erneut militärisch Fuß fassen zu können.
Tatsächlich war der Abzug der US-Streitkräfte aus dem Irak unter Präsident Obama von US-Falken immer wieder heftig als großer strategischer Fehler verurteilt worden. Das Auftauchen von ISIS, später IS – praktisch aus dem Nichts – und die unglaublichen militärischen Erfolge der Terrorarmee im ersten Jahr haben schließlich die Regierung in Bagdad gezwungen, den aufgedrängten US-Militärbeistand gegen die Terroristen anzunehmen.
Allerdings machte sich das US-Militär mittels der bekannten Salami-Taktik im Irak schnell wieder flächendeckend breit. Auch politisch versuchte Washington den Status quo ante wiederherzustellen. Es setzte sogar die Absetzung des damals gerade erst demokratisch gewählten, US-skeptischen Ministerpräsidenten al-Maliki durch, um diesen durch den US-freundlicheren al-Abadi zu ersetzen. Dank ISIS konnte Washington in der Tat schon bald seine auf immer verloren geglaubten strategischen Basen und Positionen im Irak wieder einnehmen. Allerdings konnte die Farce des angeblichen US-Kampfes gegen die US-Kreation ISIS auf Dauer nicht aufrechterhalten werden.
Auffallend schonender Umgang der US-Truppen mit dem IS
Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Fälle dokumentiert, die den Eindruck erwecken, dass die US-Armee nie ernsthaft gegen den IS gekämpft hat. So wurde der IS z. B. immer wieder vor bevorstehenden US-Luftangriffen gewarnt, indem US-Flugzeuge viele Stunden vorher über den Zielen Flugblätter mit entsprechenden Hinweisen abgeworfen hatten.
Zugleich wurden IS-Kämpfer, die in kritische Situationen geraten waren, laut Zeugenaussagen irakischer Soldaten und Milizionäre von der Front nicht selten mit US-Waffen und anderem Nachschub aus der Luft versorgt. Das US-Militär erklärte das stets durch angebliche Navigationsfehler. Anscheinend mussten sich die Piloten der hochmodernen US-Luftwaffe anhand von veralteten, aufklappbaren Landkarten orientieren.
Nicht zuletzt bestand das US-Militär bei der Einnahme von IS-besetzten Städten durch irakische Milizen und Armee immer(!) darauf, dass der jeweilige Ort nicht vollständig umzingelt wurde, sondern eine Seite als Fluchtweg in Richtung Syrien offenblieb, denn dort hatten die IS-Kopfabschneider immer noch wichtige Dienste für die Regime-Change-Ambitionen Washingtons zu leisten.
Dank des aufopfernden Einsatzes vor allem der schiitischen Milizen ist der IS nun so gut wie vollständig aus dem Irak vertrieben. Der weitere Verbleib der US-Streitkräfte in dem Land lässt sich deshalb nicht mehr so einfach rechtfertigen. Daher versucht Washington mithilfe saudi-arabischer Finanzkraft, die Regierung in Bagdad dazu zu verlocken, ihre durch viele Krisen gestärkten, engen Beziehungen zu Teheran zu kappen, um eine US-Saudi-arabisch-irakische Allianz gegen Teheran einzugehen. Für einen solchen Schritt fehlen jedoch sämtliche politischen Voraussetzungen im Irak. Offensichtlich hat Washington keine politischen Optionen mehr in Bagdad und setzt seine letzten Hoffnungen auf Korruption, d. h. auf das Winken mit saudischen Milliarden-Investitionen.
Kein Interesse an saudischer „Hilfsbereitschaft“
Aber die schiitische Regierungsmehrheit in Bagdad weiß sehr wohl, dass saudische Investitionen mit großer Vorsicht zu genießen sind. Denn die mit steinzeitlichen Gewaltmethoden herrschende Diktatur hat in den letzten Jahrzehnten etwa 73 Milliarden Dollar vor allem im Mittleren Osten für den Bau von Moscheen und Koranschulen ausgegeben. In diesen wird die militant-islamistische Staatsreligion der Saudis verbreitet, die in Schiiten ihre schlimmsten Feinde sehen, die es zu vernichten gilt.
Auch US-Außenminister Tillerson konnte mit seinem imperialen Gehabe Bagdad nicht beeindrucken. Bei seinem Besuch in der irakischen Hauptstadt am Montag dieser Woche, einen Tag nach dem Treffen mit Ministerpräsident al-Abadi in Saudi-Arabien, ließ man ihn demonstrativ auflaufen. Davon zeugt die offiziell in Bagdad veröffentlichte Regierungserklärung. Demnach hat Regierungschef al-Abadi gegenüber Tillerson darauf bestanden, dass die Kämpfer der größten schiitischen Miliz Hash’d al Shaabi (Volksmobilisierungseinheiten) irakische Bürger sind, die den Terrorismus bekämpften und ihr Land schützten. Sie hätten große Opfer gebracht, um gegen Daesh (IS) zu gewinnen. Al-Abadi hat ferner unterstrichen, dass Hash’d al Shaabi, die im Westen als PMU-Milizen bekannt sind, eine offizielle Institution unter dem Dach des irakischen Staates darstellen. Weiter sagte er: „Wir sollten diese Kämpfer ermutigen, weil sie die Hoffnung unseres Landes und der Region sind.“ Damit hat al-Abadi den Außenminister des Imperiums und dessen saudische „Initiative“ voll gegen die Wand laufen lassen.
Mehr oder weniger zeitgleich hat am selben Tag der prominente Kommandant der irakisch-schiitischen PMU-Miliz in einer Fernsehansprache die Vereinigten Staaten aufgefordert, den Irak zu verlassen und nach Hause zu gehen. Die US-Streitkräfte hat er beschuldigt, nicht wirklich daran interessiert zu sein, den IS zu bekämpfen. „Eure Streitkräfte sollen sich bereitmachen, aus unserem Land zu verschwinden, sobald es ISIS als Vorwand für ihre Präsenz hier nicht mehr gibt“, sagte der PMU-Kommandeur Scheich Qais al-Khazali, der engen Verbindungen zum Iran pflegt.
„Schiitische Expansion“ ist Folge US-amerikanischer Angriffskriege
Die Welt hat sich verändert. In Bagdad kann man offensichtlich sehr gut auf die „unverzichtbare Nation“ verzichten. Damit nicht genug: Die irakische Regierung und ihre paramilitärischen Milizen sehen in der US-amerikanischen Truppenpräsenz zunehmend die eigentliche ausländische Bedrohung des Landes und der Region.
Aber Washington tut sich schwer, diese Veränderungen zu verstehen, worin die Gefahr für einen neuen Konflikt ruht. Denn Tillersons Auftreten spiegelt die zunehmende Frustration des außenpolitischen Establishments Washingtons über die angebliche, von Schiiten geführte, iranische Expansion in der Region wider, vor allem in Syrien und im Irak. Dabei ist Washington an dieser – von den US-Angriffskriegen in der Region getriebenen – Entwicklung ausschließlich selbst schuld.
Nur die US-Verbündeten in der Region, vor allem Saudi-Arabien und Israel, sind wohl noch frustrierter. Das spiegelt sich in der zunehmend explosiven Rhetorik in beiden Ländern wider. Darin finden die langjährigen Feinde Israel und Saudi-Arabien immer mehr Gemeinsamkeiten in ihrer Frontstellung gegen den Iran und Syrien – und nun bald auch wieder gegen den Irak.