Keine Ausfahrt auf NATO-Schnellstraße in den großen Krieg

Keine Ausfahrt auf NATO-Schnellstraße in den großen Krieg

von Rainer Rupp

erschienen am 12. Juli und 19. Juli 2024 auf apolut


Sie alle werden sich sicherlich schon gewundert haben, warum die Machteliten und ihre Top-Dienstleister in Politik, Medien, “Wissenschaft” und Kunst die vitalen Interessen der deutschen Bevölkerung verraten und Deutschland an der Seite der US-Falken in den Stellvertreter-Krieg gegen Russland hineingezogen haben.

Abgehobene Westeliten

Ökonomisch, politisch und international ist uns allen die Beteiligung an diesem Konflikt in der Ukraine bereits teuer zu stehen gekommen. Und es gibt gute Gründe zu befürchten, dass es noch viel schlimmer kommt. Die herrschenden Eliten, die gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung total verantwortungslos sind, haben sich nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten kollektiven Westen in eine ausweglose Ecke manövriert, aus der es für sie ohne Verlust von Job und Wohlstand keinen Ausweg mehr gibt.

Diese düsteren Aussichten erklären, weshalb die Eliten der US-Vasallenstaaten in Europa den aktuellen Konfrontationskurs gegen Russland weiterverfolgen und Schritt für Schritt den gefährlichen Einsatz erhöhen, wohl wissend, dass das für uns alle in einer großen Katastrophe enden kann. Sie tun das in der vergeblichen Hoffnung, Russland zu bluffen und zur Aufgabe bringen zu können.

Der geniale chinesische Stratege Sun Tse hatte schon vor 2.500 Jahren eine zeitlos gültige Abhandlung über die “Kunst des Krieges” geschrieben. Darin heißt es u.a.: Um einen Krieg zu gewinnen, muss man sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Gegners kennen. Aber noch wichtiger ist es, die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen, so der weise Chinese.

Wer wie die Westeliten den russischen Gegner unterschätzt und sich selbst überschätzt hat, der hatte den Krieg bereits verloren, bevor er angefangen hat. Letzteres trifft auf die Situation des kollektiven Westens in Bezug auf Russland und die Ukraine zu.

Geblendet vom eigenen Wunschdenken haben im Westen sogenannte „Experten“ Russland als primitives Land dargestellt, als „eine Tankstelle mit Atomwaffen“. Demnach lag Russlands Wirtschaft am Boden, das Militär war marode, die Waffen veraltet, die Soldaten demotiviert. Die Russen würden in einem konventionellen Krieg gegen die Ukraine verlieren und aus Angst vor einem Weltuntergang würden sie ihre Atomwaffen niemals einsetzen, lautete das Mantra der US/NATO/EU -Eliten und ihrer Presstituierten.

Zugleich haben diese Nullen von West-„Experten“ die Fähigkeiten des eigenen Lagers maßlos überschätzt, z.B. die der westlichen “Wunderwaffen” oder die Produktionskapazität der westlichen Rüstungsindustrie. Die Realität sollte sich spiegelverdreht herausstellen, zugunsten der Russen und ihrer militärischen, logistischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten und ihrer erstaunlichen und oft bahnbrechenden technologischen Durchbrüche in der Waffentechnik, die in vielen Bereichen dem Stand der NATO um ein bis zwei Entwicklungsgenerationen überlegen sind.

Jetzt steht NATO-Europa bereits am Rand des Abgrunds. Aber in Washington bezeugten diese Woche die europäischen Regierungschefs beim NATO-Gipfel vom 9.-11. Juli, unterwürfig ihre Loyalität gegenüber der senilen Präsidentenmarionette Biden, hinter der die Puppenspieler des US-Militärisch-Industriellen Komplexes die Fäden ziehen.

Obwohl – wie in Andersons Märchen – der US-Präsident auf dem Gipfel intellektuell vollkommen nackt auftrat, sahen die getreuen EU-Vasallen tunlich weg und stellten sich weiter fest an die Seite Washingtons. Dabei waren es die Puppenspieler hinter Biden, die uns die Erdgas-Pipeline weggesprengt haben, die dafür gesorgt haben, dass in Europa wieder Krieg herrscht, den niemand im Westen beenden darf. Die gleichen Leute sind auch dafür verantwortlich, dass unsere Wirtschaft in die USA abwandert und damit unseren Kindern in Europa Infrastruktur-Ruinen und eine Zukunft in Armut und Elend hinterlässt. Aber all das scheint unsere Westeliten in ihrer Gefolgschaft zu Washington nicht zu beirren. Alles für das US-Imperium! Und nicht für unser eigenes Land, lautet deren Devise.

Wie sind wir, als das gemeine Volk, in diese fatale Lage gekommen, in der im kollektiven Westen die gewählten Eliten sich keinen Deut mehr um die wirklichen Anliegen der Bevölkerung kümmern? Ihre einzige Sorge gilt der Absicherung der US-geführten, neoliberalen Globalisierung, auf der ihre eigene Macht und ihr Wohlstand ruht. Deshalb halten die Eliten des globalen Westens grenzübergreifend wie Pech und Schwefel zusammen, während ihre Völker zunehmend leiden müssen. Um zu erklären, warum das so gekommen ist, geht der erste Teil dieser Tagesdosis auf die Entstehungsgeschichte der US-geführten „Regel basierten internationalen Ordnung“ ein, die ursprünglich als „Neue Weltordnung“ von US-Präsident George Bush Senior im Jahr 1991 aus der Taufe gehoben wurde.

Blick zurück: Die schöne “Neue Weltordnung”

Bevor man ein Problem lösen kann, muss man Ursache und Wirkung verstehen. Um dies zu tun, wollen wir jetzt in die Anfänge der 1990er-Jahre der USA zurückgehen. Denn damals wurde die neoliberale “Neue Weltordnung” (NWO), die der Kern dieses aktuellen Übels ist, offiziell in Washington konzipiert und in den nachfolgenden Jahren im gesamten kollektiven Westen erfolgreich umgesetzt.

Wer heute von “Neuer Weltordnung” spricht, wird schnell als Verschwörungstheoretiker hingestellt. Tatsächlich aber hatte US-Präsident George Bush Senior diese NWO bereits vor über 30 Jahren – gegen Ende des ersten US-Kriegs gegen Irak – aus der Taufe gehoben und in vielen präsidialen Reden angepriesen. Von der westlichen Journaille wurde diese US-geführte “NWO”, die die Eliten des kollektiven Westens auf Kosten der eigenen Völker vereinen sollte, als der Weisheit letzter Schluss bejubelt.

Denn die NWO sollte ein System schaffen, in dem es unter den Eliten der US-Vasallenstaaten keine Streitigkeiten mehr gab. Dafür sollten sie für ihre Loyalität zum Hegemonen in Washington reichlich belohnt und auch geschützt werden, wofür sie allerdings die Belange ihrer eigenen Völker auf dem Altar der unabdingbaren US-Gefolgschaft opfern mussten.

Durch diese Entkoppelung der nationalen Eliten von den vitalen Interessen ihrer jeweiligen Völker konnten Interessengegensätze und entsprechendes Unruhepotential bereits in den Ansätzen neutralisiert werden. Denn unter diesen Bedingungen konnten nationale Interessengegensätze nicht mehr zu Kriegen zwischen den Völkern führen. Denn die jeweiligen nationalen Eliten waren nicht daran interessiert und machten nicht mit.

Aber in der NWO gab es nicht nur Zuckerbrot. Nationale Eliten, die aus der Reihe tanzten, die sich nicht dem NWO-Code unterwarfen und stattdessen den Belangen des eigenen Volkes Priorität gaben, bekamen die Peitsche zu spüren, selbst in der EU. Aktuelle Beispiele dafür sind Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei.

Francis Fukuyama lieferte mit seinem Buch “Das Ende der Geschichte”, das im ganzen Westen zum Bestseller hochgejubelt wurde, den ideologischen Überbau für die US-geführte neoliberale “Neue Weltordnung”. Sie existiert heute noch in kaum abgewandter Form und ist nach wie vor sehr virulent. Allerdings heißt sie heute – verbal abgerüstet – “regelbasierte Ordnung”.

Wenden wir uns jetzt der Genese der US-geführten “Neuen Weltordnung” zu, und wir werden erleben, mit welcher verblüffenden Schnelligkeit sich die gelehrigen und willigen Eliten in den Ländern der Europäischen Union diesem neuen Diktat unterworfen haben.

1991 – also vor nunmehr 33 Jahren nutzte US-Präsident George Bush Senior, der Vater des späteren Desaster-Präsidenten George W. Bush, den US-Krieg gegen Irak zur Proklamation seiner “Neuen Weltordnung” in einer Reihe von öffentlichen Reden.

Vor dem Hintergrund der zerfallenden Sowjetunion präsentierte er seine erzreaktionäre Vision für die weltweite Rolle der US-Eliten in der Zukunft. Um diese Schreckensvision den betroffenen Völkern schmackhaft zu machen, präsentierte sich Bush allerdings als eine Art politische Mutter Teresa, in dessen friedlicher “Neuer Weltordnung”

das Recht und nicht die Macht herrscht”.

Unter falscher Flagge

Aus dem US-Krieg gegen Irak sollte die einmalige Chance für eine neue historische Ära der globalen Zusammenarbeit hervorgehen, die (Zitat Bush):

frei von der Bedrohung durch Terror, stärker im Streben nach Gerechtigkeit und sicherer bei der Suche nach Frieden ist. Eine Ära, in der die Nationen der Welt, Ost und West, Nord und Süd, gedeihen und in Harmonie leben. Hundert Generationen vor uns haben nach diesem nur schwer zu findenden Weg zum Frieden gesucht, während die Suche von tausend Kriegen begleitet wurde. Heute haben die Geburtswehen der Neuen Weltordnung eingesetzt. Es wird eine Welt sein, wie wir sie noch nicht gekannt haben. Eine Welt, in der das Recht die Regeln des Dschungels verdrängt. Eine Welt, in der Nationen die gemeinsame Verantwortung für Freiheit und Gerechtigkeit tragen. Eine Welt, in der Starke die Rechte der Schwachen respektieren.”

Wer möchte nicht in einer solchen paradiesischen “Neuen Weltordnung” leben?! Mit weiteren Reden dieser Art versprach der US-Präsident den Völkern der Welt den Himmel auf Erden, die Verwirklichung eines uralten Traums der Menschheit.

Aber Bushs Vision segelte von Anfang an unter falscher Flagge. Dabei bedient er sich geschickt humanitärer, linker Begriffe, um inhumane Politik global durchzusetzen, nicht zum Wohl der Menschheit, sondern zum Profit einer kleinen kapitalistischen Elite, die jedoch nicht national, sondern international organisiert war und global operierte.

Allerdings machte Bush damals schon klar, dass sein Versprechen von der schönen friedlichen “Neuen Weltordnung” natürlich nicht ohne neue Kriege unter der politischen und ökonomischen Führung der USA zu haben war:

Wenn wir (im Krieg gegen Irak) nicht unsere Entschlossenheit demonstrieren würden, wäre es ein schlimmes Signal an jeden tatsächlichen und potenziellen Despoten rund um die Welt. Amerika und die Welt müssen ihre vitalen gemeinsamen Interessen verteidigen, — und wir werden das. … Amerika und die Welt müssen sich gegen Aggression wehren, — und wir werden das. Und noch eins: bei der Durchsetzung dieser Ziele wird Amerika sich nicht einschüchtern lassen… Im Angesicht der Tyrannei, soll keiner an der amerikanischen Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zweifeln und keiner soll daran zweifeln, es gibt keine Alternative für die amerikanische Führungsrolle.”

Und dann betonte Bush jenseits aller ethisch-moralischen Überlegungen den wahrscheinlich wichtigsten Grund für den damaligen Krieg gegen Irak, denn – so Bush wörtlich – für die USA stünden

auch lebenswichtige wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel, … denn der Irak verfügt über rund 10 Prozent der weltweit nachgewiesenen Ölreserven.”

Damit war bereits klar, dass die “Neue Weltordnung” sich in ihren neoliberalen Grundzügen nicht so sehr von der alten Ordnung des Neo-Kolonialismus unterscheiden würde.

Wie die NWO außenpolitisch konkret umgesetzt werden sollte, das hat damals unter Federführung des Pentagon eine ganze Heerschar von Experten einer Reihe von US-Denkfabriken herausgearbeitet. Einen guten Überblick gibt ein Research Paper des US-Majors Bart R. Kessler für das US-“Air Command and Staff College” aus dem Jahr 1997 unter dem Titel: “The Meaning Behind the Words”.

Wirtschaftlich stabil und kulturell frei” – die Gemeinschaft internationaler Eliten

Demnach handelt es sich bei Bushs NWO zumindest in der Herangehensweise um eine radikale Abkehr von der “realistischen” Tradition von Richard Nixon und Henry Kissinger. Letzterer habe unter Weltordnung vor allem eine stabile Machtverteilung zwischen großen, souveränen Staaten gesehen. Dagegen folge Bushs NWO der “liberalen, idealistischen” US-Denkschule, der zufolge eine globale Ordnung zwischen Völkern und Staaten auf der Basis gemeinsamer Werte und ökonomischer und politischer Interessen der internationalen Eliten (!) gefunden wird.

Rein formal wird dabei großer Wert auf Demokratie und Menschenrechte, sowie auf das Völkerrecht und die Zusammenarbeit mit der UNO gelegt. Zugleich aber wird die Überzeugung der US-Eliten, dass die Vereinigten Staaten eine “exzeptionelle und unverzichtbare Nation” sind, die sich selbst an keine Gesetze halten muss, aber anderen Nationen Gesetze vorschreiben kann, bereits zwischen den Zeilen der ersten Entwürfe der NWO deutlich.

Laut Major Kessler ist Bushs NWO “globalistisch und mit Schwerpunkt auf globales Management” ausgerichtet. Laut US-General Walter R. Sharp, Leiter einer Pentagon-Arbeitsgruppe zur Definierung von Bushs NWO machte die Schaffung

einer Gemeinschaft internationaler Eliten, … die physisch sicher, wirtschaftlich stabil und kulturell frei ist”,

eine stärkere Verflechtung der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen mittels Schleifung der nationalen Schranken für Wirtschaft und Finanzen zwingend notwendig.

Die Vorbedingungen für den Erfolg der NWO könnten nur durch die Schaffung einer Basis gemeinsamer Werte und ökonomischer und politischer Interessen zum Vorteil der internationalen Eliten (!) erfüllt werden. Und das konnte nur im Rahmen der neoliberalen Globalisierung geschehen. Folgerichtig verurteilte General Sharp dann auch das Prinzip der nationalen Souveränität, das er als einen veralteten, aber immer noch “beliebten Fetischismus” beschrieb.

Die unsichtbare Faust

Daniel S. Papp, Wissenschaftler und damals US-Regierungsberater, definierte Bushs NWO als “unipolare Welt, die auf oberster Ebene auf amerikanischer Militärmacht basiert”. Auf der Ebene darunter sei dann im Rahmen der Globalisierung die Welt in drei, von Washington kontrollierte Wirtschafts- und Handelsblöcke organisiert. Eine davon sollte die EU sein.

Aber was würde passieren, wenn Nationen souverän bleiben wollen und sie ihre Interessen anders definieren als die US-geführte “Internationale Gemeinschaft”?

Diese Nationen würden schnell Gefahr laufen, zu Schurken- oder Aggressor-Staaten erklärt zu werden, die nichts Gutes zu erwarten hatten. Das machte das Mitglied der Rüstungsgruppe R. Wright – ein weiteres Mitglied der Pentagon-Studiengruppe in einer als “wirklich visionär gelobten Strategie für die internationale Polizeiarbeit” der USA klar. Dort heißt es u. a.

Die Lehre aus dem Irakkrieg (von 1991) ist, dass ein kleiner Staat sich nicht gegen die Luftwaffe einer Supermacht verteidigen kann.”

Hier legte Präsident Bush persönlich nach und belehrte die Welt unter Verweis auf das Schicksal des Irak: Alle Schurkenstaaten müssten angesichts “der Schrecken des Kriegs” erkennen, dass “sich keine Nation gegen die geeinte Welt stellen kann” und es deshalb besser für sie wäre,

friedlich in die Familie der friedliebenden Nationen zurückzukehren.”

Diese Kernelemente der Bush-NWO finden wir seither immer wieder zur Rechtfertigung neuer US-Sanktionen und anderer wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen bis hin zu neuen US-Angriffskriegen. Als treibende Kraft steckt die neoliberale Globalisierung dahinter und dahinter steckt wiederum die Verfilzung zwischen expansivem US-Kapitalismus und dem Imperialismus der US-Regierung.

Der zu seiner Zeit wohl einflussreichste Kommentator in den USA, der für die New York Times (NYT) schreibende Thomas L. Friedman, machte das mit ein paar kurzen Worten klar:

Der freie Marktkapitalismus und seine Ausbreitung in so gut wie jeden Winkel der Welt wird vor allem von der US-Militärmacht abgesichert”. (Quelle: “Manifest für eine schnelle Welt”, NYT).

Laut General a.D. Brent Scowcroft, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von Bush-Senior und später Chef eines internationalen Beratungsunternehmens, war es das US-amerikanische Kapital, das von der neoliberalen Globalisierung am meisten profitierte. Wörtlich sagte er:

Dies ist eine Welt, in der der Kapitalismus gedeihen kann. Seitdem die Vereinigten Staaten die einzige Supermacht sind, sind Globalisierung und amerikanische Macht zu einem Synonym geworden.”

Am Tag, an dem die NATO unter US-Führung ihren unprovozierten, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien begann, schrieb der bereits erwähnte Friedman:

Damit die Globalisierung funktioniert, darf Amerika sich nicht scheuen, als die allmächtige Supermacht zu handeln, die es ist. Die unsichtbare Hand des Marktes wird nie ohne den F-15-Konstrukteur McDonnell-Douglas funktionieren. Und die unsichtbare Faust, die dafür sorgt, dass die Welt für McDonalds Hamburger Niederlassungen und Silicon-Valley-Technologien sicher ist, heißt US-Army, US-Navy, Air Force und Marine Corps.”

Aber laut General a.D. Scowcroft mussten die US-Streitkräfte Anfang der 1990er-Jahre in den meisten Fällen gar nicht erst militärisch intervenieren, um die neoliberale Globalisierung abzusichern:

Wo auch immer US-Amerikaner mit anderen Ländern über Investitionsschutz, Marktzugang oder sonst was verhandeln, immer fällt der Schatten der amerikanischen Militärmacht auf den Verhandlungstisch.”

Im August 1998 veröffentlichte der private Spionage- und Analysedienst Stratfor einen längeren Bericht über den umwerfenden Erfolg von US-Präsident Bushs „Neuer Weltordnung (NWO)”. Stratfor war selbst überrascht, dass sich trotz des Unilateralismus der USA die NWO rasch zu einem globalen Renner entwickelt hatte, (Zitat) “zu einer Vision, die von einem Großteil der Weltelite geteilt wurde”. Die NWO habe zweifelsfrei „eine neue Qualität“ in den Beziehungen zwischen kapitalistischen Staaten geschaffen.

Alle Nationen waren jetzt vernünftig” – und den USA gefügig

Der Erfolg dieser “Ideologie der Neuen Weltordnung” liege darin, so Stratfor, dass grundlegende politische Meinungsverschiedenheiten zwischen den Nationen, d. h. zwischen den Eliten der Nationen verschwunden waren. Statt ideologischer Streitigkeiten, waren alle Eliten der großen Nationen sich nun bezüglich der fundamentalen Prinzipien, also

Marktwirtschaft und bürgerliche Demokratie, Förderung der globalisierten Finanzwirtschaft und Märkte einig“.

Demnach stimmten alle “vernünftigen Menschen” egal in welchem Land darin überein, dass Wirtschaftswachstum und Wohlstand, von dem vor allem die Eliten profitierten, alle anderen Interessen übertrafen. Daher hatten alle ein großes Interesse daran, diese neue internationale Stabilität nicht zu stören. (Zur Erklärung: Stratfor spricht hier von nichts anderem als von Wohlstand für die Eliten der US-Vasallenstaaten unter dem Regime der Pax Americana)

Die einzigen internationalen Probleme, welche die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten konfrontierten, so Stratfor weiter, waren “Schurkenstaaten” wie Irak und Nordkorea oder die Bedrohung der inneren Instabilität von Staaten wie z. B. in Jugoslawien und Somalia durch Bürgerkrieg oder auch Ausbrüche des internationalen Terrorismus. Aber laut Stratfor waren das nur noch ” Randprobleme”. Denn

alle anderen Nationen waren jetzt vernünftig. Sie hatten alle die Notwendigkeit eingesehen, dafür zu sorgen, dass die Schurkenstaaten davon abgehalten werden, durch Bürgerkriege oder durch Ausbreitung von Terrorismus die Finanzmärkte zu beunruhigen”.

Da die Eliten aller Nationen „im Rahmen der NWO ein gleich-großes Interesse an der Erhaltung gut funktionierender Finanzmärkte haben, waren sie folglich auch bereit, den USA bei der Lösung der marginalen Probleme (siehe Jugoslawien, Irak und Somalia) beizustehen”. Damit die internationalen Finanzmärkte auch optimal funktionierten, hatte die US-geführte NWO laut Stratfor der Aufgabe, das internationale Wirtschaftssystem zu einem international-eingeebneten Spielfeld zu machen, absolute Priorität gegeben. Denn wenn die global operierenden Unternehmen nicht die Möglichkeit haben, ohne Einschränkungen durch Zölle, nationale Regularien, Deviseneinschränkungen und Investitionshindernissen nach eigenem Gutdünken zu schalten und zu walten, ist eine Profitmaximierung nicht möglich.

Daher sei diese Aufgabe in die Hände einer Gruppe von multilateralen Organisationen delegiert worden, wie z. B. der Internationale Währungsfonds IWF, das GATT (seither von der Welthandelsorganisation (WHO) ersetzt), die Weltbank, die OECD und nicht zuletzt die NATO. Diese Organisationen “dienen alle dem gleichen Zweck und sie haben einen sehr guten Job gemacht”, lobte Stratfor.

Für den US-Analysedienst war es auch „selbstredend”, dass die Vereinigten Staaten, als weltweit führende Nation, auch eine besondere und entscheidende Rolle bei der Festlegung der Missionen der UNO und der anderen multilateralen Organisationen spielen.

Da jedoch alle Nationen jetzt die gleichen grundlegenden Interessen haben, folgt daraus, dass keine vernünftige Nation sich dem US-Führungsanspruch und dessen Entscheidungen widersetzt.”

(Anmerkung: Wenn Stratfor von „vernünftigen Nationen“ spricht, dann sind damit stets die oberen Führungsschichten, also die sogenannten „Eliten“ gemeint.)

Die europäische Dimension der NWO

Wie sehr diese US-Ideologie von der NWO insbesondere in der EU auf fruchtbaren Boden gefallen ist, lässt sich exemplarisch an der Person Robert Coopers festmachen. Cooper begann seine diesbezügliche Karriere als Chefberater des britischen Premiers Tony Blair. Von dort ging er zur EU und wurde “Generaldirektor für Äußere und Politisch-Militärische Angelegenheiten” im Generalsekretariat des EU-Rats und hatte damit ständigen Umgang mit Ministern und Staatschefs. In dieser Rolle hat Cooper laut Wikipedia auch die Philosophie der „Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik maßgeblich geprägt”. Dafür wurde er später von der Queen zum Ritter geschlagen und so gut wie von allen Regierungen der EU-Mitgliedsländer mit Orden und Ehrungen überhäuft.

Orden und Ehrungen wofür? Für Forderungen wie diese aus seinem ersten Buch, die dann in der EU auch prompt umgesetzt wurden, unter wohlwollender US-Aufsicht:

Wir brauchen eine neue Art von Imperialismus, einen Imperialismus, der mit den Menschenrechten und den kosmopolitischen Werten kompatibel ist: ein Imperialismus, der sich zum Ziel setzt, Ordnung und Organisation zu bringen.”

Nach dem US/NATO-völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien hat Cooper zwischen zwei Arten des “neuen Imperialismus” unterschieden: Da wäre zunächst das, was er als “freiwilligen Imperialismus” bezeichnet, dessen Träger die angeblich „demokratischen” (!) Institutionen der westlichen Welt sind, wie der “Internationale Währungsfonds” (IWF) oder die “Weltbank”.

Laut Cooper bringen diese Institutionen “all jenen Staaten Hilfe, die freiwillig ihren Weg zurück in die globale Wirtschaft der internationalen Gemeinschaft finden wollen”. Das heißt nichts anderes, als dass all jene Staaten, die sich beugen und bereit sind, sich ihre wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Verfasstheit von den undemokratischen, NWO-kontrollierten Institutionen IWF und Weltbank vorschreiben zu lassen, keine Angst zu haben brauchen vor “humanitären” Bombardements.

Allen anderen Staaten aber, die sich nicht freiwillig der NWO unterwerfen, droht Cooper mit „gut nachbarschaftlichem Imperialismus”, d. h., dass “verantwortliche” Staaten, z.B. die USA, Frankreich, Großbritannien oder Deutschland zuerst wirtschaftliche und politische Zwangsmaßnahmen verhängen und dann, wenn das nichts genutzt hat, militärisch intervenieren, um Instabilitäten im globalen Dorf zu verhindern, damit die Finanzmärkte nicht verschreckt werden.

Als leuchtendes Beispiel für den “gut nachbarschaftlichen Imperialismus” verweist Cooper in seinem Buch von 2002 “The Postmodern State and the World Order (Der postmoderne Staat und die Weltordnung)” auf die erfolgreiche “humanitäre Intervention” der NATO im Kosovo. Das dort errichtete NATO-Protektorat zeige wie kein anderes Beispiel, wie gut “der neue Kolonialismus (!) Ordnung und Organisation” bringen kann.

In vielen Schriften und Reden entwickelt Cooper im Laufe der Jahre die EU-Doktrin des “neuen, liberalen Imperialismus” weiter. Dabei unterstreicht er im Umgang mit sogenannten Problemstaaten “die Notwendigkeit von doppelten Standards”. Eine weitere Steigerung kommt in seinem nächsten Buch, “The Breaking of Nations” (auf Deutsch: “Wie man Nationen gefügig macht”). Dort heißt es:

Untereinander sollten die Europäer auf der Grundlage des Rechts und gemeinsamer Sicherheit operieren. Aber außerhalb Europas sollten sie die raueren Methoden früherer Zeiten anwenden – Gewalt, Präventivschläge, Hinterlist und was sonst noch alles nötig ist. Denn wenn wir uns im Dschungel befinden, dann müssen wir auch die Gesetze des Dschungels anwenden”;

im Original: “When in the jungle, one must use the laws of the jungle.”

Laut einer weiteren Stratfor-Analyse funktionierte diese Version der Neuen Weltordnung für eine Weile sehr gut für die USA. Auch die internationalen Eliten konnten gut davon profitieren. Auch habe es “unter den Eliten der beteiligten Nationen keine namhaften Konflikte gegeben”. Daraus wurde dann die bekannte Phrase gestrickt, dass „Demokratien keine Kriege gegeneinander führen“.

Störenfried Russland

Während in Russland noch das Jelzin-Regime herrschte, sah man im Westen gute Chancen auch Russland in diese US-geführte neue Weltordnung hineinzuziehen.

Dann aber kam 1998/99 der russische Finanzkollaps, bei dem Hilfe vom Westen ausblieb und IWF und Weltbank tatenlos dem Absturz Russlands zusahen. Diese Untätigkeit des Westens, verbunden mit kaum verdeckter Vorfreude westlicher Geier auf reiche Beute in Form des gigantischen Rohstofflagers Sibirien, gaben der zukünftigen Entwicklung Russlands einen entscheidenden Abstoß in eine andere Richtung. Denn sie förderte neue auftauchende politische Kräfte im Land, die Russlands Zukunft nicht im Westen sahen.

Gleichberechtigte Partnerschaft” in den Neunzigern? Wie es wirklich war: Clinton-Jelzin-Abschriften

In dem Chaos, das von westlichen Beratern der russischen Regierung im Verein mit lokalen Oligarchen angerichtet worden war, entstand der Keim, aus dem in den nachfolgenden 25 Jahren der mächtigste Widersacher der NWO geworden ist. Und die russische Bevölkerung steht zu 85 Prozent hinter ihrem Präsidenten Putin. Zugleich hat sich das wirtschaftlich, moralisch und militärisch wiedererstarkte Russland, als unüberwindbarer Widersacher gegen die US-geführte, “regelbasierte Ordnung” erwiesen, so heißt nämlich die 1991 aus der Taufe gehobene Neue Weltordnung heute. Zugleich ist Russland gemeinsam mit seinem strategischen Partner China zum Leuchtturm der Hoffnung vieler Länder des Globalen Südens geworden, die sich aus der räuberischen Umklammerung der westlichen Neo-Kolonialisten befreien wollen.

Kein Plan B: Auf der Schnellstraße in den Krieg

Und jetzt kommen wir zurück auf die eingangs geschilderte Lage in der Ukraine. Inzwischen dürfte auch klar geworden sein, wieso die politischen, medialen, wissenschaftlichen und militärischen Eliten in Europa kein Problem damit hatten und haben, die vitalen Interessen ihrer eigenen Völker zu missachten, solange es ihnen selbst gut geht und sie die Rückendeckung der befreundeten Eliten in Europa und jenseits des Atlantiks haben.

Das Wichtigste für diese Leute sind die Finanzmärkte, von denen sie alle kräftig profitieren. Denn trotz der katastrophalen Wirtschaftslage in allen Ländern des kollektiven Westens erklimmen die Börsen dort dank geldpolitischer Manipulationen ständig neue Höchststände, was die Eliten weiter bereichert, während aufgrund der gleichzeitigen Geldentwertung die arbeitende Bevölkerung immer ärmer wird.

Deutsche Phantasien: Russland niederringen

Nach wie vor gelingt es den Eliten dank Ihrer willigen Presstituierten, dem Gros der Bevölkerung vorzugaukeln, dass sie alles im Griff haben, egal ob in der Ukraine, bei der Inflationsbekämpfung, beim Wirtschaftswachstum etc. Aber der Moment, an dem die Realität den Schleier der Lügen, der Manipulationen und des Schönredens zerreißt, kommt unaufhaltsam näher.

Je länger diese tragische Entwicklung anhält, desto weniger Optionen zur Rettung oder Milderung der Lage bleiben übrig. Der Westen ist an seine Belastungsgrenze gekommen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten zeigen sich jetzt innerhalb des Westens wieder tiefe Bruchlinien zwischen den Eliten auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Realisten und Pragmatiker wollen mit den Russen verhandeln, während Extremisten vom Typ der eingangs erwähnten Kriegstreiber mit einem direkten Waffengang zwischen Russland und der NATO liebäugeln.

Dabei lässt sich die aktuelle Situation in der Ukraine, die vom Westen als Rammbock ausgenutzt wird und dabei selbst zerstört wird, wie folgt skizzieren:

Erstens: Russland hatte auf dem Schlachtfeld von Anfang an eindeutig die Oberhand, egal ob militärtechnisch, oder in Bezug auf Strategie und Taktik, oder auf Reserven, oder auf Ausbildungsstand und Moral der Soldaten, oder auf die Unterstützung und Einigkeit der russischen Bevölkerung. Die Ukraine hat längst verloren, selbst wenn sie noch einige Zeit in selbstzerstörerischem Wahn weiterkämpfen kann. Fest steht jedoch, dass der Ukraine die Zeit davonläuft.

Zweitens: ist die Führung der Ukraine ungeachtet ihrer Schwäche weiterhin nicht bereit, auf Verhandlungen zur Beendigung des Krieges zu Bedingungen einzugehen, die für Russland akzeptabel sind. Der russische Präsident Wladimir Putin hat wiederholt bekräftigte, dass Moskau grundsätzlich offen für Gespräche bleibt, allerdings nicht auf Grundlage von “Wunschdenken”, sondern ausgehend von den Realitäten an der Front.

Die mangelnde Flexibilität des Kiewer Regimes ist nicht verwunderlich. Für Präsident Wladimir Selenskij persönlich und zumindest für sein Kernteam gibt es bei der unausweichlichen Niederlage kaum eine Möglichkeit, die Katastrophe zu überleben, die sie ihrem Land zugefügt haben. Sie waren willfährige Werkzeuge der Menschen verachtenden Kriegstreiber in Washington, deren Ziel es war und ist, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Sie alle haben versagt und werden auf der Strecke bleiben.

Und Drittens: besteht zumindest in NATO-Europa nach dem Scheitern des Projektes Ukraine die Möglichkeit, dass auch dort die Eliten auf der Strecke bleiben, weil sie zur Unterstützung der Strategie Washingtons die vitalen Interessen ihrer eigenen Völker verkauft und diese ins wirtschaftliche Elend geführt haben.

Ein Zusammenbruch der ukrainischen Front wird es den West-Eliten unmöglich machen, die bisherigen Lügen aufrecht zu halten. Selbst die gutgläubigsten Schafe im Westen werden sich von den herrschenden Eliten in Politik und Medien abwenden. Letztere fürchten sich zu Recht vor dem Tag, an dem die Zeitenwende der Abrechnung beginnt.

Der Westen zerstört sich selbst

Die Westeliten haben in ihrer Abgehobenheit von jeglicher Realität nie daran gedacht, dass ihre ursprünglichen, ihrem Wunschdenken entsprungenen Pläne zur Destabilisierung der russischen Gesellschaft und zur strategischen Schwächung des russischen Militärs scheitern könnten. Daher haben sie keinen Plan B. Sie haben keinen Ausweg, weshalb sie mehr und mehr von Panik ergriffen werden.

Panik

In der Tat können die westlichen Gedankenspiele und die öffentliche Thematisierung eines Nuklearwaffeneinsatzes in der Ukraine nur mit Panik erklärt werden. In dieselbe Kategorie fortgeschrittenen Wahnsinns fallen auch Pläne, westliche Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden, womit wir dem großen Krieg einen gewaltigen Schritt näherkämen. Das Problem ist, dass die selbstherrlichen West-Eliten im Taumel ihrer Siegessicherheit es unterlassen haben, auf ihrer Schnellstraße in den großen Krieg vor dem Abgrund eine Ausfahrt einzuplanen.

Quellen und Anmerkungen

Der Artikel basiert auf einer Rede, die ich am 23. März 2024 im HoffART-Theater Darmstadt gehalten habe. Die Veranstaltung wurde organisiert von den NachDenkSeiten und dem Deutschen Freidenker-Verband e.V.