Konsequenzen der Wahlniederlage
von Rainer Rupp
erschienen am 01.10.1998 in der Jungen Welt
Droht CDU Schicksal ihrer italienischen Schwesterpartei?
Der Dicke ist weg, ein für allemal. Nun stellt sich die Frage, ob und wie seine Partei die vernichtende Niederlage verkraften wird, oder ob sich in Deutschland ähnliche Entwicklungen wie in anderen westeuropäischen Ländern nach dem Ende des Kalten Krieges einstellen werden. Das beste Beispiel ist Italien, wo die »Schwesterpartei« der CDU, die vormals allmächtige Democrazia Cristiana, aus dem politischen Bild des Landes verschwunden ist. Als standhaftes Bollwerk gegen den Kommunismus wurde sie nach dessen Untergang nicht mehr gebraucht. Einmal von der Macht verdrängt, zerbrach sie schnell. Auch in Frankreich hat sich die Rechte seither stark zersplittert. Und seit der vernichtenden Wahlniederlage durch Tony Blair zeigen sich bei den britischen Konservativen ähnliche Tendenzen, wenn dort auch die innerparteilichen Differenzen hauptsächlich zwischen schottischen und englischen Konservativen zutage treten.
Macht korrumpiert! Wie in ähnlichen Fällen in anderen Ländern ist auch in Deutschland die CDU durch 16 Jahre Machtausübung zu einem Sammelbecken von Opportunisten und Karrieristen geworden, die nun ohne Pfründe und Einfluß dastehen. Letzteres aber war der Leim, der alles zusammengehalten hat, trotz manchen fundamentalen Richtungsstreits innerhalb der Partei. Zum Beispiel zwischen denen, die sich nach wie vor der christlichen Sozialpolitik verpflichtet fühlten, und jenen, die gemeinsam mit der FDP dem Neoliberalismus den Weg ebneten. Diese und andere Differenzen dürften in Zukunft deutlicher sichtbar werden, sobald sich die Partei um ein neues Profil bemüht. Eine Fortsetzung der Politik des »Weiter-wie-bisher« ist ausgeschlossen. Dazu war das Wählervotum zu eindeutig.
Indem er alle wichtigen Entscheidungen an sich gerissen hatte, hat Kohl durch seinen Abgang nicht nur an oberster Stelle ein Vakuum hinterlassen, das andere so schnell nicht werden füllen können. Deshalb ist ein heftiger Positions- und Richtungskampf auf allen Ebenen der Partei zu erwarten.
Das einigende Band des sorgsam gepflegten und künstlich hochgepeppelten Anti-Kommunismus in Form von »Rote- Socken«- und »Rote-Hände«-Kampagnen ist zerbrochen. Wahlen sind damit nicht mehr zu gewinnen. Die große Mehrheit der Bevölkerung wollte ein Ende der von der CDU eingeführten sozialen Grausamkeiten. Die CDU wird sich was anderes einfallen lassen müssen.
Die heterogene Struktur der Partei, der zu erwartende Positionskampf und die unterschiedliche Orientierung, vom strammen Nationalisten über den weltoffenen Neoliberalen bis hin zum sozialen Christen, dürften die ohnehin schon vorhandenen zentrifugalen Kräfte in der CDU noch verstärken. Wir werden sehen, ob die CDU auf Dauer diesem Druck gewachsen ist, zumal ihr jetzt die Macht im Staat fehlt, um die sich bisher alle scharten. Daher ist es nicht auszuschließen, daß die CDU ein ähnliches Schicksal wie die Democrazia Cristiana ereilt. Voraussetzung dafür ist aber, daß die SPD der CDU im Rahmen einer großen Koalition nicht die teilweise Rückkehr an die Macht erlaubt.
Das sinkende Schiff: CDU-Personalkarussell immer schneller
Nahezu im Stundentakt treten führende CDU-Politiker von ihren Ämtern zurück, wobei in manchen Fällen mit sanftem Druck nachgeholfen werden mußte. Rita Süssmuth, als Parlamentspräsidentin die Nummer drei der staatlichen Hierarchie, erklärte, kein parlamentarisches Amt mehr anzustreben und als einfache Abgeordnete weiterzuwirken. Ähnliches hatten bereits Helmut Kohl und Norbert Blüm angekündigt, der zudem auch den CDU-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen abgeben will.
Auch Parteigeneral Peter Hintze, der am Tag nach der Wahl noch von »starkem Rückhalt« im Vorstand der Partei gesprochen hatte, ist am Mittwoch abgetreten. In mehreren Erklärungen wurde ihm hohe Mitverantwortung für die Wahlniederlage attestiert.
Nach dem Rücktritt des Landesvorsitzenden von Sachsen- Anhalt, Karl Heinz Daehre, gerät nun auch der dortige Fraktionschef Christoph Bergner unter Druck. Den umgekehrten Weg beschreiten andere: Heiner Geißler kündigte eine erneute Bundesvorstandskandidatur ebenso an wie die »jungen Wilden« Christian Wulff (Niedersachsen), Peter Müller (Saarland) und Ole von Beust (Hamburg). Alle gelten als Protagonisten einer möglichen schwarz- grünen Option. Volker Rühe meldete, entgegen der Empfehlung von Helmut Kohl, lautstark Ambitionen auf die Position des Parteivorsitzenden an.