Krieg für Menschenrechte?
von Rainer Rupp
erschienen am 23.08.1999 in der Jungen Welt
Im Kosovo hat die NATO eine Herrschaft des Terrors errichtet (Teil I)
Interview: Michel Chossudovsky* Dieser Text wurde am 31. Juli 1999 im International Action Center in New York der Unabhängigen Untersuchungskommission zur Erforschung der U.S.-/NATO-Kriegsverbrechen gegen das jugoslawische Volk vorgelegt. Der Autor ist Professor der Volkswirtschaft an der Universität Ottawa und Autor von »Globalisierung der Armut – die Auswirkungen der Reformen des IWF und der Weltbank«. *
Während sich die Aufmerksamkeit der Welt auf Truppenbewegungen und Kriegsverbrechen konzentrierte, wurden die Massaker von Zivilisten, die dem Ende der Bombardierung auf dem Fuße folgten, beiläufig als »berechtigte Racheakte« abgetan. Im besetzten Kosovo wird mit »doppelten Standards« gemessen, wenn es darum geht, Kriegsverbrechen einzuschätzen. Die Massaker, denen Serben, Roma und andere ethnische Gruppen zum Opfer gefallen sind, waren auf Anordnung des militärischen Oberkommandos der »Kosovo-Befreiungsarmee«, der UCK verübt worden.
Die NATO streitet jegliche UCK-Beteiligung ab. Diese sogenannten unmotivierten Akte von Gewalttätigkeit und Vergeltung werden nicht als »Kriegsverbrechen« erfaßt und folglich fallen sie nicht in den Verantwortungsbereich der zahlreichen Untersuchungsbeamten von FBI und Interpol, die unter den Auspizien des Internationalen Tribunals für Kriegsverbrechen in Den Haag ins Kosovo geschickt wurden. Damit nicht genug; Während die NATO stillschweigend die selbsternannte provisorische Regierung der UCK unterstützt, bewegen sich die für die Massaker verantwortlichen UCK-Kommandanten unter dem Schutz der KFOR, die eigentlich die internationale Sicherheitsstreitmacht im Kosovo darstellen sollte. Durch diese Vorgehensweise machen sich die Vertreter der NATO und der UNO mitschuldig an den Massakern von Zivilisten.
Die öffentliche Meinung ist in gröbster Weise irregeführt worden. So ganz nebenbei haben die westlichen Medien bei ihren Schilderungen der Massaker die Rolle der »Kosovo- Befreiungsarmee« einfach übersehen. Und von der Durchdringung des Organisierten Verbrechens durch die UCK wurde erst recht nichts erwähnt. Nach den Worten von Samuel Berger, dem Nationalen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, kommen »diese Leute [die Kosovo-Albaner] mit gebrochenem Herzen zurück und einige Herzen sind voller Zorn«. Während die Massaker selten als Resultat »der bewußten Entscheidungen« des militärischen Oberkommandos der UCK dargestellt werden, gibt es Beweise dafür, daß die Greueltaten Teil einer (UCK-)Politik »der ethnischen Säuberung« sind, die sich hauptsächlich gegen die serbische Bevölkerung, aber auch gegen Roma, Montenegriner, Goranis und Türken richtet. Auch die Geschichte der UCK bestätigt das.
Häuser und Geschäfte der Serben sind konfisziert, geplündert oder abgefackelt worden. Die Serben sind verprügelt, vergewaltigt und getötet worden. (AP-Foto: Dieses einst von Serben in Zitinje südlich von Pristina bewohntes Haus wurde von Kosovo-Albanern zerstört.) In einem der drastischeren Ereignisse verwüsteten UCK-Truppen ein Kloster, terrorisierten den Priester und eine Gruppe von Nonnen mit Maschinengewehrfeuer und vergewaltigten mindestens eine der Nonnen. Die Unfähigkeit der NATO – oder ist es mangelnde Bereitschaft – die UCK richtig zu entwaffnen, hat auch für die NATO-Truppen eine sehr ernste Situation heraufbeschworen.
Der für Flüchtlinge zuständige Hohe Kommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) bestätigte: »In den sieben Wochen, seitdem die NATO-geführten KFOR-Truppen ins Kosovo einmarschiert sind, haben mehr als 164 000 Serben die Provinz verlassen. (…) Es folgte eine Welle von Brandschatzungen und Plünderung der Häuser von Serben und Roma, die quer durch das Kosovo geht«.
Die Serben und Roma, die im Kosovo geblieben sind, wurden wiederholt Opfer von Belästigungen, Einschüchterungen und brutaler Gewaltakte. Am schlimmsten ist die Serie von Morden und Entführungen, die sich seit Mitte Juni gegen Serben richtet, einschließlich des Massakers an serbischen Bauern Ende Juli.
Politische Morde
Die selbsternannte provisorische Regierung des Kosovo (PRK) hat auch die Ermordung ihrer politischen Konkurrenten befohlen, einschließlich der »loyalen« Kosovo-Albaner (jene, die der jugoslawischen Regierung in Belgrad loyal gegenüber gestanden hatten – Anm. d. Ü.) und der Anhänger von Rugovas Demokratischer Liga des Kosovo (DLK). Diese Morde wurden in einem Klima durchgeführt, in dem niemand auch nur versucht hätte, die Taten zu verhindern. Statt wegen Kriegsverbrechen inhaftiert zu sein, stehen die Führer der UCK unter dem Schutz der KFOR.
Noch während des (NATO-) Bombardements veröffentlichte das »Foreign Policy Institute« in den USA einen Bericht, wonach die UCK keinerlei Bedenken hatte, »Mitarbeiter von Rugova zu ermorden, den die UCK des >Verbrechens< der Mäßigung beschuldigte. Die UCK erklärte Rugova zum >Verräter<, ein weiterer Schritt, um alle möglichen Konkurrenten um die Macht im Kosovo zu eliminieren.«
Bereits im Mai 1999 war Fehmi Agani, einer von Rugovas engsten Mitarbeitern in der DLK, ermordet worden. NATO- Sprecher Jamie Shea beschuldigte seinerzeit die Serben dieser Tat. Aber die mazedonische Zeitung Makedonija Danas enthüllte, daß Agani im »Auftrag des selbsternannten Premierministers Hashim Thaci exekutiert worden ist«. »Wenn er (Thaci) tatsächlich in Rugova eine Bedrohung seiner Machtansprüche sehen würde, dann würde er nicht zögern, Rugova von der politischen Landschaft des Kosovo zu entfernen.«
Die UCK hat bereits zahlreiche Fachleute und Intelektuelle entführt und getötet: »Privates und Staatseigentum ist gefährdet. In Massen werden die Besitzer von Häusern und Apartments unter Drohungen und Gewaltanwendungen aus ihren Wohnungen vertrieben. Häuser und ganze Dörfer werden gebrandschatzt. Kulturelle und religiöse Denkmäler werden zerstört. Besonders schlimm waren die Ereignisse im Krankenhauszentrum von Pristina: Das Management, die Ärzte und das Pflegepersonal wurden mißhandelt und vertrieben«, zitierte das »Yugoslav Daily Survey« am 29.Juni 1999 das jugoslawische Außenministerium.
Aber sowohl die NATO als auch die UNO ziehen es vor, nichts zu sehen. Der Interimsverwalter der UNO, Bernard Kouchner (ehemaliger französischer Minister für Gesundheit), und KFOR- Kommandant Sir Michael Jackson haben ein gutes routinemäßiges Arbeitsverhältnis mit »Premierminister Hashim Thaci und dem UCK-Stabschef, Brigadegeneral Agim Ceku, aufgebaut«.
Greueltaten gegen Roma
Die ethnischen Säuberungen durch die UCK richten sich auch gegen die Volksgruppe der Roma, die vor dem Konflikt im Kosovo etwa 150 000 Menschen zählte (Die Zahl basiert auf Angaben der Roma-Gemeinschaft in New York). Ein großer Teil der Roma ist bereits nach Montenegro und Serbien geflohen. Die in Zagreb erscheinende Zeitung Hina Press Dispatch berichtete am 26. Juli, daß Roma, die mit dem Boot nach Süditalien geflohen waren, von den italienischen Behörden wieder nach Hause geschickt worden sind.
Die UCK hat auch die systematische Plünderung und Brandschatzung der Häuser der Roma-Gemeinschaft angeordnet: »Alle Häuser und Siedlungen der Roma, wie z. B. die 2 500 Häuser im Wohngebiet >Mahala< der Stadt Kosovska Mitrovica, sind geplündert und verbrannt worden.« (Hina Press Dispatch, 26. 7. 99) Die Medienberichte über die Grausamkeiten, die die UCK an den Roma begangen hat, werden jedoch in bekannter Art und Weise verfälscht. So berichtete die BBC am 5. Juli: »Zigeuner werden von Kosovo-Albanern beschuldigt, mit den Serben kollaboriert zu haben, weshalb auch sie Opfer von Vergeltungsangriffen geworden sind – und die Wahrheit ist, daß einige vermutlich kollaboriert haben«.
Während die politischen Führer des Westens ihre Unterstützung der Demokratie in die Welt hinausposaunen, ist der Staatsterrorismus zu einem wesentlichen Bestandteil der NATO- Nachkriegsgestaltung für das Kosovo geworden. Die politische Rolle für die UCK in der Periode nach dem Krieg war schon lange vorher ausgearbeitet worden. Schon vor der Konferenz in Rambouillet war der UCK eine zentrale Rolle in der Bildung einer Kosovo-Regierung nach Beendigung der Krise versprochen worden. Die geheimen Pläne sahen dabei vor, die paramilitärische UCK in eine legitime, zivile Verwaltung umzuwandeln.
Nach Aussage des Sprechers des US-Außenministeriums, James Foley: »Wir möchten ein gutes Verhältnis zu ihnen [der UCK] aufbauen, während sie sich in eine politisch orientierte Organisation verwandeln. Wir glauben, daß wir ihnen jede Menge gute Ratschläge und Hilfe geben können, falls sie sich in genau die politische Kraft verwandeln, die wir wollen« (New York Times, 2. Februar 1999).
Das heißt nichts anderes, als daß das US-Außenministerium schon lange geplant hatte, der »provisorischen Regierung« der UCK zu erlauben, die zivilen Institutionen des Staates zu leiten. Unter der »indirekten Herrschaft« der NATO hat die UCK bereits Bürgermeisterämter und andere öffentliche Ämter übernommen, einschließlich Schulen und Krankenhäuser. Rame Buja, der UCK- »Minister für kommunale Verwaltung« hat in 23 von 25 städtischen Verwaltungen den Bürgermeister ernannt (Financial Times, 4. August 1999).
Unter der Herrschaft der NATO hat die UCK die Position der von ethnischen Albanern gewählten provisorischen Kosovo-Regierung des Präsidenten Ibrahim Rugova übernommen. Die selbsternannte UCK-Regierung hat Rugova als Verräter deklariert und die im März 1998 (parallel) abgehaltenen parlamentarischen Wahlen der Kosovo-Albaner für ungültig erklärt.
Diese Position ist im wesentlichen von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterstützt worden, die nach Kriegsende von der UNMIK mit der Aufgabe des »demokratischen Aufbaus« und des »guten Regierens« im Kosovo betraut worden war. Statt dessen haben die OSZE-Beamten bereits ein gutes Arbeitsverhältnis zu den UCK-Vertretern aufgebaut.
Die provisorische UCK-Regierung besteht aus dem politischen Flügel der UCK und der demokratischen Anschlußbewegung (LBD), eine Koalition von fünf Parteien, die in Opposition zu Rugovas Demokratischer Liga (LDK) stehen. Außer dem Amt des Premierministers kontrolliert die UCK das Finanzministerium, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit und das Verteidigungsministerium. Die UCK hat auch die ausschlaggebende Stimme im UNO-geförderten Übergangsrat für das Kosovo, der von Bernard Kouchner eingerichtet wurde. Die provisorische UCK-Regierung hat außerdem Verbindungen zu einer Anzahl von westlichen Regierungen hergestellt.
Während die UCK unter Leitung der OSZE angefeuert wurde, zivile Institutionen zu leiten, wurden die Mitglieder der gewählten kosovo-albanischen (provisorischen) Regierung der Demokratischen Liga (Rugovas LDK) in brüsker Weise kaltgestellt und davon ausgeschlossen, eine sinnvolle politische Rolle zu spielen.
Unter dem Besatzungsregime der NATO sind bedeutende Rechtsgrundsätze vielfach auf den Kopf gestellt worden. Verbrecher und Terroristen sollen Polizisten werden. Aus UCK- Mitgliedern, die bereits Polizeistationen übernommen haben (und die schon von ausländischen Polizeioffizieren im Auftrag der UNO ausgebildet werden), soll schließlich eine 4 000 Mann starke »zivile« Polizeistreitmacht gebildet werden, die den Auftrag hat, »Zivilisten zu schützen«. Die UCK-Polizei wird unter der Aufsicht des UCK-kontrollierten »Ministeriums für öffentliche Sicherheit« stehen.
US-Militärhilfe
Obwohl sich die NATO verpflichtet hatte, die UCK zu entwaffnen, deutet alles darauf hin, daß die paramilitärische Organisation in eine moderne militärische Streitmacht umgewandelt werden soll. Der amerikanische Kongreß hat der UCK im Rahmen des »Gesetzes für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit im Kosovo« von 1999 bereits eine sogenannte Sicherheitsunterstützung bewilligt. Die Anfangsgelder von 20 Millionen Dollar werden weitgehend für »Training und Unterstützung der von der UCK gestellten Selbstverteidigungskräfte« verwendet werden.
UCK-Stabschef Agim Ceku sagte dazu: »Die UCK möchte sich in eine Art Nationalgarde nach US-Vorbild verwandeln. (…) Wir nehmen die Hilfe der KFOR und der internationalen Gemeinschaft an, die uns beim Aufbau einer modernen Armee entsprechend der NATO-Standards unterstützen. Den professionell ausgebildeten Soldaten der nächsten Generation der UCK wird nur die Verteidigung Kosovos am Herzen liegen. In dieser entscheidenden Situation verstecken wir nicht unsere Zielsetzung, und wir wünschen uns, daß die internationalen militärischen Strukturen uns in unseren friedlichen und humanitären Bemühungen unterstützen« (Kosovapress, 31. Juli 1999).
Während die UCK weiterhin eng mit dem internationalen Drogenhandel verflochten bleibt, aus dessen Einkünften in der Vergangenheit so manche terroristische Aktivität finanziert worden ist, so bekommt die UCK nun (von der NATO – d. Ü.) den offiziellen Persilschein und legale Geldquellen. Die Entwicklung folgt dabei in etwa dem kroatischen Beispiel, aber auch dem der Bosnisch-Kroatischen Föderation in Bosnien. In beiden Ländern hat das US-Verteidigungsministerium sogenannte Ausrüstungs- und Trainingsprogramme aufgebaut. Mit dem Unterschied, daß Washingtons militärisches Hilfsmittelpaket für die UCK der privaten Söldnerfirma »Military Professional Resources Inc« (MPRI) anvertraut wurde. Die Söldnerfirma residiert unweit von Washington in Alexandria, Virginia, und wird von hochrangigen ehemaligen Offizieren der US-Armee geleitet, die eng mit der US- Regierung zusammenarbeiten.
Das Trainingskonzept von MPRI, das bereits in Kroatien und Bosnien getestet wurde, basiert auf der Vermittlung, daß »offensive Taktiken die beste Form der Verteidigung sind«, wie es Tammy Arbucky in dem Aufsatz »Building a Bosnian Army« in Jane International Defence Review (August 1997) beschrieb. Im Kosovo verwandelt diese sogenannte Verteidigungsdoktrin die UCK in eine moderne Armee, die dabei jedoch nicht ihr terroristisches Make-up verliert. Zielsetzung ist es, die UCK in eine moderne Armee und Polizei-streitmacht umzuwandeln, die den zukünftigen strategischen Zielen der NATO-Allianz auf dem Balkan dient. Die MPRI-Söldnerfirma hat z. Z. »93 in hohem Maße erfahrene, ehemalige militärische Fachleute in Bosnien-Herzegovina im Einsatz« (nachzulesen im Internet unterhttp://www.mpri.com/current/personnel.htm). Die Zahl der ehemaligen Offiziere, die im Auftrag der US-Regierung die UCK trainieren, wurde nicht bekanntgegeben.
(Übersetzung: Rainer Rupp)