Kriegsverbrechen waren eingeplant

Kriegsverbrechen waren eingeplant

von Rainer Rupp

erschienen am 08.09.1999 in der Jungen Welt

Britischer Stabschef verteidigt Ermordung jugoslawischer Zivilisten. US-Ohrfeige für BRD-Krieger

Letzte Woche setzte die British Broadcasting Corporation (BBC) ihre aufschlußreiche Dokumentarsendung über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien fort. Über den ersten Teil berichtete die junge Welt bereits am 23. August. Auch diesmal förderte die »Insider Story« in Form von Interviews mit den maßgeblich am Krieg beteiligten Personen Erstaunliches zutage. So scheute sich z.B. der Stabschef der britischen Streitkräfte, General Sir Charles Guthrie, nicht, unumwunden zuzugeben, daß die Bombenangriffe der NATO auf zivile Ziele in Jugoslawien beabsichtigt und Teil der militärischen NATO-Strategie waren.

Auf die Frage eines BBC-Korrespondenten nach »dem Sinn der Angriffe auf zivile Ziele« sagte General Guthrie: »Ich glaube, daß viele Menschen in Serbien überhaupt keine Ahnung davon hatten, was im Kosovo vor sich ging, denn er (Präsident Milosevic) kontrollierte die Medien, und die Leute mußten deshalb irgendwie dazu gebracht werden zu begreifen, was da passierte. Und der Luftkrieg hat tatsächlich die Leute in Serbien schwer getroffen. Angriffe auf beide Zielgruppen (militärische und zivile) waren notwendig. Ich glaube nicht, daß wir das eine ohne das andere hätten tun können, selbst wenn wir uns das noch so sehr gewünscht hätten.« Guthrie zufolge beabsichtigte die NATO mit ihren Angriffen auf zivile Ziele, die serbische Bevölkerung zu drangsalieren und dafür zu bestrafen, daß sie sich nicht gegen ihre Regierung stellte. Zugleich gestand General Guthrie implizit ein, daß die Luftangriffe allein auf militärische Ziele der NATO nicht den gewünschten Sieg gebracht hätten. Erst indem sie die wirtschaftliche Grundlage des jugoslawischen Volkes in die Steinzeit zurückbombte, konnte die Kriegsallianz der jugoslawischen Regierung ihren Willen aufzwingen. (AP-Foto: Eine Düngemittelfabrik bei Belgrad)

In der verlogenen Welt der NATO-Propaganda war folglich nicht einmal das Bedauern über die als »Kollateralschäden« klassifizierten 2 000 zivilen Opfer ernst gemeint. Die zerfetzten Kinder und Mütter waren kaltblütig eingeplant. Das eine hätte ohne das andere der NATO nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Dabei scheint keine Rolle gespielt zu haben, daß vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung und ihre lebenswichtigen Versorgungseinrichtungen, wie z. B. Wasserwerke, nicht nur völkerrechtswidrig, sondern auch als Kriegsverbrechen geächtet sind. Erschreckend ist, wie leicht dem General Guthrie die Ungeheuerlichkeit seines Eingeständnisses trotzdem über die Lippen kommt. Er weiß, daß er und seine NATO-Komplizen im Ministerrang wegen ihrer Verbrechen gegen das jugoslawische Volk wahrscheinlich nie vor Gericht gestellt werden. Denn nicht das Recht, sondern die Macht zählt, und die liegt auf unabsehbare Zeit eindeutig in den Händen der NATO.

Gegen Schluß der BBC-Sendung wird Richard Holbrooke per Direktschaltung aus dem Kosovo eingeblendet. Dort besuchte er gerade als frischgebackener US-Botschafter bei der UNO das neue NATO-Protektorat. Unter dem Eindruck seiner jüngsten Erkenntnisse bekräftigte er, daß im Kosovo »die NATO alle ihre Kriegsziele erreicht hat«. Demnach müßte dazu auch die ethnische Säuberung des Kosovo von Serben sowie Sinti und Roma gehören, die durch UCK-Terror unter NATO-Oberaufsicht vertrieben wurden.

Die öffentlich vertretene Meinung des stellvertretenden US- Außenministers Strobe Talbott, daß die NATO wegen sehr starker Differenzen zwischen den Regierungen der Mitgliedsländer über die Art ihrer Kriegsführung kurz vor dem Auseinanderbrechen gestanden hätte, weist Holbrooke mit Macht zurück: »Ich habe niemals im geringsten an der festen Entschlossenheit der Leute gezweifelt, auf die es wirklich ankam, Präsident Clinton, Tony Blair, Jacques Chirac. Die wollten weitermachen, und das waren auch die Länder, die gebombt haben.«

Die Deutschen wurden vom amerikanischen Großmeister Holbrooke gar nicht erst genannt. Pech für den treuen NATO-Vasallen Rudolf Scharping, der jede Propagandalüge aus Brüssel nicht nur plump nachplapperte, sondern auch noch mit ungeheuerlichen Vergleichen mit dem Holocaust übertrumpfen wollte. Pech auch für den flinken, wendehalsigen Außenminister Fischer, dessen ehemals öko-pazifistisches Programm auf die Beschaffung von Drei-Liter-Panzern getrimmt wurde. Und besonders Pech für den große Medien-Zampano und Kanzlerdarsteller Schröder, dem nun die Anerkennung in illustrer Gesellschaft verwehrt wird.

Alle drei hatten sich doch so sehr für den Krieg eingesetzt und dabei nicht einmal gezögert, ihre Parteien in tiefe Krisen zu stürzten. Darüber konnten auch noch so weihevollen Reden über die größere Verantwortung des neuen Deutschlands nicht hinweg- täuschen. Um dem deutschen Kapital ein militärmachtpolitisch abgestütztes Mitspracherecht bei der Gestaltung der »Neuen Weltordnung« zu sichern, und um sich selbst für das Kapital akzeptabel und »regierungsfähig« zu erweisen, haben die drei Herren viel gewagt. Und nun müssen sie von Holbrooke erfahren, daß es auf sie überhaupt nicht ankam. Dafür ist das bei vielen Wählern angekommen, die Rosa und Grün auch für ihren Krieg die Quittung gaben.