Lehrstück für die kriminell-erpresserische US-“Diplomatie”
von Rainer Rupp
erschienen am 28. August 2023 auf RT deutsch
Den demokratisch gewählten pakistanischen Premierminister Imran Khan angesichts seiner immensen Beliebtheit in allen Schichten des Volkes zu stürzen, muss für die US-amerikanischen Strippenzieher “keine leichte Sache gewesen” sein und habe “organisierter Anstrengungen bedurft”, so der renommierte Professor Jeffrey Sachs in einer kritischen Analyse dieses verdeckten Regimewechsels durch Washington. (Siehe dazu auch meinen Artikel “‘Aggressive Neutralität’ wurde Pakistan zum Verhängnis” bei RT vom 23. August 2023)
In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die wissenschaftliche Arbeit von Professorin Lindsay O’Rourke hingewiesen, die anhand offizieller, inzwischen frei gegebener US-Regierungsdokumente nachgewiesen hat, dass es in der Zeit des Kalten Krieges zwischen 1947 und 1989 insgesamt 70 US-Regimewechsel-Operationen in anderen, auch befreundeten und verbündeten Ländern gegeben hat.
Davon fanden 64 Aktionen verdeckt statt, was heißt, dass eine Spur in die USA nicht erkennbar war. In etwas mehr als 40 Jahren ergeben sich daraus eineinhalb Regimewechsel jedes Jahr. Ebenso bedeutend ist, dass sich laut Untersuchung der Wissenschaftlerin nicht nur eine Regimewechsel-Operation nach der anderen früher oder später als Misserfolg herausgestellt hat, sondern in vielen Fällen haben sie auch zu Katastrophen geführt: Destabilisierung, Bürgerkrieg und Terrorismus. Wenn man jetzt die Statistik auf den neusten Stand bringen möchte, müsste man natürlich mindestens ein weiteres Dutzend Versuche zur Veränderung der jeweiligen Machtverhältnisse hinzufügen, wovon der Maidan-Aufstand in der Ukraine sicherlich der spektakulärste und in seinen Konsequenzen die verheerendsten Auswirkungen hatte. Der Regierungswechsel in der Atommacht Pakistan auf Druck der Oligarchie in Washington hat das Zeug, nicht weniger schlimme Folgen zu produzieren.
Der erste Schritt zur Entmachtung von Premierminister Imran Kahn am 3. April 2022 mithilfe eines Misstrauensvotums im Parlament gescheitert. Das wenige Tage später am 9. April mit fadenscheinigen, verwaltungstechnischen Taschenspielertricks herbeigeführte Misstrauensvotum hatte dann doch noch den in Washington gewünschten Erfolg erzielt. In einem Misstrauensvotum im Parlament stimmten 174 von 342 Abgeordneten, also eine hauchdünne Mehrheit von nur drei Stimmen, gegen Khan. In einem Land, in dem die Korruption blüht, dürfte das kein Problem gewesen sein.
Dass Korruption im Spiel war, um den beliebtesten Politiker Pakistan im Parlament zu Fall zu bringen, war auch der Konsens kritischer Beobachter der katastrophalen Entwicklung in Pakistan, die sich nach dem Sturz Khans einstellte. Allerdings fehlten handfeste dokumentarische Beweise für die teuflische Hand Washingtons. Derweil herrschte in den Konzern- und Regierungsmedien des kollektiven Westens eisernes Schweigen über die wahren Hintergründe des Sturzes von Premierminister Khan. Stattdessen wurde Kahn sogar für die blutigen Unruhen gegen das Militär, die das ganze Land nach seinem Sturz erfasst hatten, verantwortlich gemacht.
Über ein Jahr später sind jetzt doch noch Beweise für die Hand Washingtons in diesem schmutzigen Geschäft aufgetaucht, und zwar in Form einer Depesche, die der damalige pakistanische Botschafter in den USA am 7. März 2022 von Washington aus an das Außenministerium in Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, geschickt hatte. Eine Kopie der Depesche war dem investigativen Online-Kanal The Intercept von einem offensichtlich hochrangigen militärischen oder zivilen Whistleblower zugespielt worden. The Intercept hat das ganze Dokument veröffentlicht. Offiziell dementiert wurde es bisher nicht. Die deutsche Übersetzung folgt weiter unten.
In dieser diplomatischen Depesche vom 7. März 2022, also knapp einen Monat vor dem ersten Versuch, Imran Khan durch das Parlament zu stürzen, berichtete Asad Majeed Khan, der damalige pakistanische Botschafter in Washington, von einem Mittagessen, das er zuvor mit dem stellvertretenden US-Staatssekretär für Süd- und Zentralasien, Donald Lu, und dessen Vertreter, Les Viguerie, im Außenministerium hatte.
Der Kern der Depesche aus Washington war, dass die USA sehr unzufrieden mit dem Premierminister Imran Khan waren und drohten, dass sie es Khan nicht erlauben würden, weiterzumachen wie bisher. Aber es könnte für alle viel besser laufen, wenn etwas passieren würde und Khan nicht mehr Premierminister wäre.
Laut der Depesche hat sich Donald Lu, der im Text kurz Don genannt wird, vorrangig über Pakistans neutrale Position in der Ukraine-Krise beschwert, die er vorwurfsvoll als “aggressive Neutralität” (ein Widerspruch in sich selbst) bezeichnete. Und auch sonst hatte sich der hohe US-Beamte im US-Auswärtigen Dienst mit seinen unverhohlenen Drohungen und Einmischungen in die internen Angelegenheiten Pakistans eher wie ein Mafia-Schutzgeld-Eintreiber benommen als wie ein Diplomat.
Übersetzung: Depesche des pakistanischen Botschafters aus Washington
Ich fragte Don, ob der Grund für diese starke Reaktion der USA die Enthaltung Pakistans bei der Abstimmung in der Generalversammlung der UNO sei. Er verneinte kategorisch und erklärte, dass dies auf den Besuch des Premierministers in Moskau zurückzuführen sei. Er sagte: “Ich denke, dass wenn das Misstrauensvotum gegen den Premierminister (das die Amerikaner offensichtlich verlangt hatten) erfolgreich ist, wird in Washington alles vergeben sein, weil der Russland-Besuch dann als eine Entscheidung des Premierministers angesehen wird. Ansonsten denke ich, dass es schwierig wird, weiterzumachen.” Don hielt inne und sagte dann: “Ich kann nicht sagen, wie dies von Europa gesehen wird, aber ich vermute, dass ihre Reaktion ähnlich sein wird.” Dann sagte er: “Offen gesagt denke ich, dass die Isolation des Premierministers durch Europa und die Vereinigten Staaten sehr stark werden wird.” Don kommentierte weiter, dass es so aussähe, als ob der Besuch des Premierministers in Moskau während der Olympischen Spiele in Peking geplant gewesen sei und es einen erfolglosen Versuch des Premierministers gegeben habe, Putin zu treffen. Daraufhin sei die Idee ausgebrütet worden, dass er nach Moskau gehen werde.
Ich sagte Don, dass dies eine völlig falsche Information und Wahrnehmung sei. Der Besuch in Moskau wäre seit einigen Jahren in Arbeit und das Ergebnis eines beratenden institutionellen Prozesses. Ich betonte, dass, als der Premierminister nach Moskau geflogen sei (am 23. Februar 2021), die russische Invasion in der Ukraine noch nicht begonnen hatte und es immer noch Hoffnung auf eine friedliche Lösung gäbe. Ich wies auch darauf hin, dass etwa zur gleichen Zeit auch Staats- und Regierungschefs europäischer Länder nach Moskau reisten. Don warf ein, dass “diese Besuche speziell dazu dienten, eine Lösung des Ukraine-Konflikts zu suchen, während der Besuch des Premierministers aus bilateralen wirtschaftlichen Gründen erfolgte”. Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass der Premierminister die Situation während seines Aufenthalts in Moskau eindeutig bedauert und hoffe, dass die Diplomatie funktioniere. Der Besuch des Premierministers habe, wie ich betonte, ausschließlich im bilateralen Kontext stattgefunden und sollte weder als Verständnis für noch als Billigung des Vorgehens Russlands gegen die Ukraine verstanden werden. Ich erklärte, dass unsere Position von unserem Wunsch bestimmt sei, die Kommunikationskanäle mit allen Seiten offenzuhalten. Unsere nachfolgenden Erklärungen vor den Vereinten Nationen und von unserem Sprecher hätten dies deutlich zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig unser Bekenntnis zum Grundsatz der UN-Charta, der Nichtanwendung oder Androhung von Gewaltanwendung, der Souveränität und territorialen Integrität von Staaten und der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten bekräftigt.
Ich sagte Don auch, dass Pakistan besorgt darüber ist, wie sich die Ukraine-Krise im Kontext Afghanistans entwickele. Wir hatten aufgrund der langfristigen Auswirkungen dieses Konflikts einen sehr hohen Preis bezahlt. Unsere Priorität war Frieden und Stabilität in Afghanistan, wofür es unerlässlich sei, mit allen Großmächten, einschließlich Russland, zusammenzuarbeiten und sich abzustimmen. Auch aus dieser Perspektive war es wichtig, die Kommunikationskanäle offenzuhalten. Dieser Faktor bestimmte auch unsere Position zur Ukraine-Krise. Auf meinen Hinweis auf das bevorstehende erweiterte Troika-Treffen in Peking antwortete Don, dass in Washington noch Diskussionen darüber geführt würden, ob die USA am erweiterten Troika-Treffen oder am bevorstehenden Treffen in Antalya zu Afghanistan mit russischen Vertretern teilnehmen sollten, da der Fokus der USA derzeit darauf liege, nur die Ukraine mit Russland zu besprechen. Ich antwortete, dass dies genau das ist, wovor wir Angst hätten. Wir wollten nicht, dass die Ukraine-Krise den Fokus von Afghanistan ablenkt. Don sagte dazu nichts.
Ich sagte Don, dass ich genau wie er auch unsere Sicht der Dinge offen vermitteln würde. Ich sagte, dass wir im letzten Jahr immer wieder die Zurückhaltung der US-Führung gespürt hätten, sich mit unserer Führung auseinanderzusetzen. Diese Zurückhaltung hatte in Pakistan den Eindruck erweckt, dass wir ignoriert und unsere Gefolgschaft sogar für selbstverständlich gehalten würde. Es gab auch das Gefühl, dass die USA zwar Pakistans Unterstützung in allen für die USA wichtigen Fragen erwarteten, diese jedoch nicht erwiderten und wir nicht viel Unterstützung der USA in Fragen sehen, die Pakistan beträfen, insbesondere in Bezug auf Kaschmir. Ich sagte, dass es extrem wichtig sei, funktionierende Kommunikationskanäle auf höchster Ebene zu haben, um eine solche Wahrnehmung zu beseitigen. Ich sagte auch, dass wir überrascht waren, dass die USA sich vor dem Moskau-Besuch und sogar bei der geplanten Abstimmung der UNO nicht auf höchster Führungsebene mit uns beschäftigt hätten, wenn ihnen unsere Position zur Ukraine-Krise so wichtig war?
Pakistan schätzte ein anhaltendes Engagement auf hoher Ebene und aus diesem Grund suchte unser Außenminister das Gespräch mit (US) Minister Blinken, um Pakistans Position und Perspektive zur Ukraine-Krise persönlich zu erläutern. Der Anruf ist noch immer nicht zustande gekommen. Don antwortete, dass man in Washington der Meinung sei, dass dies angesichts der aktuellen politischen Unruhen in Pakistan nicht der richtige Zeitpunkt für ein solches Engagement sei und es warten könne, bis sich die politische Situation in Pakistan beruhigt habe.
Ich erklärte erneut unsere Position, dass Länder in einer komplexen Situation wie der Ukraine-Krise nicht gezwungen werden sollten, sich für eine Seite zu entscheiden, und betonte die Notwendigkeit einer aktiven, bilateralen Kommunikation auf der Ebene der politischen Führung. Don antwortete: “Sie haben Ihre Position klar übermittelt und ich werde sie an meine Führung weitergeben.”
Ich erzählte Don auch, dass wir seine Verteidigung der indischen Position zur Ukraine-Krise während der kürzlich abgehaltenen Anhörung des Unterausschusses des Senats zu den Beziehungen zwischen den USA und Indien gesehen hätten. Es schien, dass die US-Regierung für Indien und Pakistan zweierlei Maß anwende. Don antwortete, dass die starken Gefühle der US-Gesetzgeber über Indiens Enthaltungen im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung während der Anhörung deutlich zum Ausdruck kämen. Ich sagte, dass aus der Anhörung hervorging, dass die USA einerseits von Indien mehr erwarteten als von Pakistan, andererseits schienen sie sich aber mehr Sorgen um die Position Pakistans zu machen. Don war ausweichend und antwortete, dass Washington die Beziehungen zwischen den USA und Indien sehr durch die Brille dessen betrachtet, was in China geschehe. Er fügte hinzu, dass Indien zwar eine enge Beziehung zu Moskau habe, “ich denke, dass wir tatsächlich eine Änderung in Indiens Politik sehen werden, sobald alle indischen Studenten, die sich aktuell noch in der Ukraine befinden, das Land verlassen haben”.
Ich drückte die Hoffnung aus, dass die Frage des Besuchs des Premierministers in Russland unsere bilateralen Beziehungen nicht beeinträchtigen werde. Don antwortete: “Ich würde sagen, dass es aus unserer Sicht bereits eine Delle in der Beziehung verursacht hat. Warten wir ein paar Tage ab, um zu sehen, ob sich die politische Situation ändert, was bedeuten würde, dass wir in dieser Frage keine großen Meinungsverschiedenheiten haben und die Delle rasch verschwinden wird. Andernfalls müssen wir uns diesem Problem direkt stellen und entscheiden, wie wir damit umgehen.”
Wir sprachen auch über Afghanistan und andere Fragen im Zusammenhang mit den bilateralen Beziehungen. Zu diesem Teil unseres Gesprächs folgt eine separate Mitteilung.
(Es folgt die persönliche Einschätzung des Gesprächs durch den pakistanischen Botschafter in Washington.)
Einschätzung:
Don hätte eine so starke Demarche ohne die ausdrückliche Zustimmung des Weißen Hauses, auf die er wiederholt Bezug nahm, nicht vermitteln können. Don hat unverhohlen unpassende Bemerkungen über die inneren politischen Angelegenheiten Pakistans gemacht. Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken und erwägen, eine angemessene Demarche an die US-amerikanische Botschaft in Islamabad zu richten.
(Ende der Depesche)
Inzwischen wurde die Depesche von Botschafter Asad Majeed Khan in den Ländern des Globalen Südens als Lehrstück für die kriminell erpresserische Vorgehensweise der US-“Diplomatie” in Medien rund um den Globus, nur nicht in denen des “Kollektiven Westens” veröffentlicht. Dort haben die gekauften und bezahlten Presstituierten lieber weggeschaut. Und wenn im Westen doch noch über den Sturz von Imran Khan durch ein Misstrauensvotum berichtet wurde, dann war er selbst daran schuld.
Weil Imran Khan nach dem Sturz nicht aufgab und sich aus der Politik zurückzog, sondern weiter gegen den Tiefen Staat in Pakistan und dessen Auftraggeber in Washington kämpfte, wurde er von einem gekauften Gericht in Phase II wegen fingierter Vergehen zu einer Strafe mit Hausarrest verurteilt. Und weil auch das seinen Widerstandswillen nicht gebrochen hatte, wurde er jüngst in Phase III wegen angeblich weiteren Vergehen zu drei Jahren Wegschluss im Gefängnis verurteilt. In pakistanischen Gefängnissen herrschen schlimme Zustände und dort ist keiner seines Lebens sicher. Ein Streit unter Gefangenen könnte auf elegante Weise für Washington und seine Stiefellecker in Pakistan das Problem Imran Khan ein für alle Mal beenden.
Zum Abschluss nochmals zur Erinnerung:
Imran Khans sogenanntes “Verbrechen”, das den Zorn der US-Regimes auf ihn gelenkt hat, bestand darin, dass er sowohl mit den Vereinigten Staaten als auch mit China und mit Russland befreundet sein wollte. Seine Botschaft war: Wir wollen gute Beziehungen zu allen haben. Das aber war für die herrschende Clique in Washington unerträglich. Gute Beziehungen zu US-Gegnern zu haben, geht schon überhaupt nicht. Denn wenn ihr nicht gegen unsere Feinde seid, dann seid ihr gegen uns.
Hier sei an die Gesprächspassage erinnert, in der der pakistanische Botschafter argumentiert: “Nur weil Pakistan mit anderen Ländern Handel treibt, sind wir doch nicht auf der Seite der Feinde der USA!” Aber seinen hochrangigen Gesprächspartner Don vom US-Außenministerium konnte er nicht umstimmen. Normale Beziehungen zu anderen Ländern ohne US-Zustimmung sind offensichtlich schon ein Verstoß gegen die “regelbasierte Ordnung” Washingtons. “In diesem Fall können Sie kein Freund von uns sein”, war Dons Antwort.
Khans Verbrechen war, dass er sich den von den USA verhängten Sanktionen gegen Russland nicht anschloss und die Beziehungen zu Moskau nicht abbrach. Das hatte Khan getan, um vom pakistanischen Volk, das von günstigem russischem Öl und anderen Rohstoffe abhängig ist, schweren Schaden abzuwenden.
Kein führender Politiker eines wirklich souveränen Staates würde sich anders verhalten als Imran Khan. Die korrupten Eliten der US-Vasallenstaaten, siehe auch Deutschland, verkaufen bereits im vorauseilenden Gehorsam die Lebensgrundlage des Volkes für ein gnädiges Lächeln aus Washington. Allerdings wissen sie, dass auch ihnen ein Regimewechsel droht, wenn sie sich querstellen. Das ist die Funktionsweise der USA-diktierten “regelbasierten, internationalen Ordnung”. Kein Wunder, dass in Südafrika letzte Woche der Andrang zur Mitgliedschaft in die BRICS so groß war.