Leserbrief: Unnötig und gefährlich
von Rainer Rupp
erschienen am 28.05.2024 in der Jungen Welt
Zu jW vom 2./3. Mai: Interview mit Anja Heinemann »Warum war der NPD-Marsch in Leipzig nicht zu verhindern?«
»Die Polizei hat das Völkerschlachtdenkmal (wo etwa 4 000 NPD-Anhänger demonstrierten- d. Red.) so massiv geschützt, daß es für uns unmöglich war, dorthin vorzudringen«, erklärte Anja. Entsetzt frage ich, was um Himmels willen wolltest Du und die anderen da? Demonstrationen gegen Rechts sind wichtig! Aber müssen sie unbedingt auf Tuchfühlung mit den aggressionsgeladenen Glatzköpfen stattfinden? Schlägereien und Krawalle sind so programmiert. Oder sucht man die etwa selbst?!
Es ist doch Irrsinn zu glauben, daß etwa 5 000 linke Gegendemonstranten die Veranstaltung von 4 000 NPD- Anhängern verhindern könnten, ohne daß es auf beiden Seiten zu schweren Verletzungen kommt. Die Verantwortlichen für die rechtsradikalen Kundgebungen sitzen woanders. Dort oder auf einem anderen öffentlichen Platz sollten die Gegendemonstrationen stattfinden. Indem Linke die handgreifliche Auseinandersetzung mit den Rechten suchen, ist das nicht nur unnötig gefährlich, sondern es wirkt sich auch vielfältig kontraproduktiv aus:
– die Demos der Rechtsradikalen erfahren auf diese Weise eine Aufmerksamkeit und Publizität, die sie sonst nicht bekämen;
– linke Sympathisanten, die vielleicht auch gerne ihren Widerstand gegen Rechts öffentlich zeigen würden, müssen befürchten, bei solchen Gegendemos in Schlägereien verwickelt zu werden und bleiben lieber zu Hause;
– damit wird den Herrschenden nur Munition für die Manipulation der Öffentlichkeit geliefert, indem sie Linke mit rechtsradikalen Krawallmachern gleichsetzen.
Überhaupt nicht verstehe ich, wenn dann auch noch auf die Polizei geschimpft wird. Leider ist die NPD nicht verboten. Und leider haben die Behörden die NPD-Demo genehmigt. Daß aber in diesem Fall eine massive Polizeipräsenz wichtig war, um den ungehinderten Zusammenstoß von 4 000 NPD- Anhängern und 5 000 Linken zu verhindern, das steht doch wohl außer Zweifel. Mord und Totschlag hätte sonst die Folge sein können!
Nun höre ich schon den Protest der Aktivisten, daß sowas nur ein Salon-Sozialist schreiben kann. Falsch. Für meinen Einsatz sitze ich schon viele Jahre im Gefängnis.
Rainer Rupp, JVA Saarbrücken