Martin Walser: Laßt Rupp frei

Martin Walser: Laßt Rupp frei

von Rainer Rupp

erschienen am 12.10.1998 in der Jungen Welt

Dankesrede für Friedenspreis des deutschen Buchhandels

Verdutzt schaute am Sonntag ein Teil des Publikums drein, als der Schriftsteller Martin Walser in der Paulskirche von Frankfurt am Main eine Dankesrede hielt. Walser, dem der »Friedenspreis des deutschen Buchhandels« verliehen worden war, plädierte im Beisein des Bundespräsidenten Roman Herzog und des künftigen Kanzlers Gerhard Schröder dafür, Rainer Rupp freizulassen.

Rainer Rupp hatte als MfS-Kundschafter im NATO- Hauptquartier gearbeitet und ist dafür 1994 zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Rupp, so sagte Walser, sei ein idealistisch-sozialistischer Weltverbesserer gewesen, der mit dem Geheimnisverrat Besorgnisse im Warschauer Pakt habe abbauen und so den Frieden fördern wollen. In Zeiten »der unseligen Teilung« wäre dieser Gefangene längst ausgetauscht worden. Nun büße er die deutsche Einigung.

»Wenn schon die juristisch-politischen Macher es nicht wollten, daß Ost und West rechtlich gleichgestellt wären, wenn schon das Recht sich als unfähig erweist, die politisch glücklich verlaufene Entwicklung menschlich zu fassen, warum dann nicht Gnade vor Recht?« fragte Walser und sagte an Roman Herzog gewandt: »Lassen Sie Rainer Rupp gehen. Um des lieben Friedens willen.«

Walser hatte in diesem Jahr bereits ein Gnadengesuch an Herzog mit unterzeichnet.

Aufsehen erregte Walser außerdem damit, daß er sich gegen eine »Instrumentalisierung« des Holocaust wandte. Auschwitz eigne sich weder als Moralkeule noch zur rituellen Pflichtübung.

AP/ADN/jW

dazu erschienen am 13.10.1998 in der Jungen Welt

Offener Brief an Martin Walser

Zu jW vom 12. Oktober: »Walser: Laßt Rupp frei«

Sehr geehrter Herr Walser, Rainer Rupp, für dessen Begnadigung Sie sich gestern in Ihrer Rede bei Ihrer Auszeichnung mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgesprochen haben, ist Mitglied in einer Gruppe ehemaliger westdeutscher Mitarbeiter der Auslandsnachrichtendienste der DDR, die sich für die Beendigung der Strafverfolgung, die Freilassung aller Inhaftierten und die juristische Rehabilitierung der Verfolgten einsetzt. Im Namen dieser Gruppe möchte ich Ihnen sagen, daß wir auf ein solches öffentliches Wort bei einer derartigen Gelegenheit lange gewartet haben.

Mit unserer früheren Arbeit haben Sie sich in einem Ihrer Romane eher distanziert und leicht spöttisch befaßt. Nun mahnen gerade Sie in der Frage der einseitigen strafrechtlichen Abrechnung mit dem früheren geheimdienstlichen Gegner der (alten) BRD »Um des lieben Friedens willen« zur Vernunft. Dies erfüllt uns mit Hochachtung.

Gestatten Sie mir, als dem Sprecher der Arbeitsgruppe »Kundschafter des Friedens« in der Gesellschaft für rechtliche und humanitäre Hilfe e. V., GRH, Ihnen dafür unseren Dank auszusprechen.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus v. Raussendorff