Mut zum Anti-Amerikanismus

Mut zum Anti-Amerikanismus

von Rainer Rupp

erschienen am 12.02.1999 in der Jungen Welt

Frankreichs Widerstand gegen die US-Hegemonie.

In der ersten Februarwoche 1999 beschrieb der französische Außenminister Hubert Vedrine in einem Interview die amerikanische Dominanz und charakterisierte die Vereinigten Staaten als »Hypermacht«, deren Machtmißbrauch durch die Zusammenarbeit aller anderen Staaten eingedämmt werden müßte. Ein Veteran unter den amerikanischen Europakorrespondenten, John Vinocur, räumte dazu ein, daß diese französische Klage möglicherweise legitim ist, »denn zum Ende dieses Jahrhunderts haben die Amerikaner für das Wohl der übrigen Welt viel zu viel Macht«. (France has a hard sell to rein in US Power«, Herald International Tribune vom 6./7. Februar 1999).

Nach Vedrine befindet sich die Weltgemeinschaft in einer »zentralen Konfrontation« mit den Vereinigten Staaten. Auf dem Spiel steht nicht nur die politische Unabhängigkeit der anderen Länder und ihr ganzes Spektrum »ökonomischer, monetärer, juristischer, linguistischer, audiovisueller und kultureller Selbstbestimmung«, sondern die »mentale Identität« schlechthin.

Unterstützt wird die französische sozialistische Regierung in ihren Bestrebungen vom bürgerlichen Präsidenten Jacques Chirac, der die anderen Länder der Welt aufforderte, sich zum Zwecke einer »kollektiven Souveränität« zusammenzuschließen, um sich so besser gegen die amerikanische Vorherrschaft verteidigen zu können.

Vedrine schlug zur Durchsetzung dieser Aufgabe fünf Regeln und Chirac sieben Maximen vor. Unter anderem führte Vedrine auf, daß zur Durchsetzung einer solchen Politik starke Nerven gehörten, Durchhaltevermögen und die Vorbereitung auf politischer, institutioneller und mentaler Ebene »auf den Moment, wenn Europa den Mut haben wird, (in Richtung Unabhängigkeit von Amerika) weiter zu gehen« als bisher.

Kreuzzug gegen die amerikanische Popkultur

Als erste Maxime schlug Chirac eine Charta für eine neue internationale Ordnung vor, die von der UNO- Vollversammlung angenommen werden sollte und die »unilaterale Tendenzen ausschließen« müßte. Obwohl diplomatisch formuliert, könnte sich diese Forderung nicht eindeutiger gegen die einseitigen Aktionen des Weltsheriffs USA wenden.

»Die französische Regierung verfolgt eine wohldurchdachte Politik, um den Unilateralismus der USA in der Weltpolitik zu blockieren und um die UNO, den IWF, die Kontakt-Gruppe zu Jugoslawien, die OSZE und andere internationale Organisationen, in denen die Vereinigten Staaten nicht eine total freie Hand haben und somit zu Kompromissen gezwungen werden können, zu stärken und zu reformieren«, merkte dazu der in Paris lebende William Pfaff für die Los Angeles Times an (8. 2. 99). »Für Frankreich ist das keine neue Politik. Sie geht zurück auf Charles de Gaulle und hat ihre Wurzeln in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs, als die USA noch planten, eine alliierte Militärregierung in Frankreich einzusetzen, in der französische Repräsentanten, besonders aber der unbequeme General Charles de Gaulle, marginalisiert worden wären«.

Als de Gaulle, 1958 zum Präsidenten Frankreichs gewählt, an die Spitze des Staates zurückkehrte, hatte er diese amerikanische Lektion nicht vergessen. Die USA hatten sich in die inneren Angelegenheiten Frankreichs eingemischt, eine Tatsache, die er ihnen nie verzieh. Unter de Gaulle begann Frankreich, eine betont unabhängige Politik von den USA zu betreiben. Und selbst in den heißesten Zeiten des von den USA entfachten Kalten Krieges verlor Paris nie seinen guten Draht zu Moskau. Nur wenn es wirklich kritisch wurde, wie z. B. während der Kuba-Krise, zeigte de Gaulle, wo das konservative, kapitalistische Frankreich hingehörte, nämlich an die Seite der USA. Ansonsten verhielt sich Paris ausgesprochen kritisch gegenüber der amerikanischen Außenpolitik, die ja auch 1956 zum Scheitern des gemeinsam mit England durchgeführten Überfalls auf das revolutionäre Ägypten unter Nasser zur Freikämpfung des Suez-Kanals geführt hatte.

De Gaulle war davon überzeugt, daß die einmalige amerikanische Machtfülle durch die Art, wie diese eingesetzt wurde, nicht nur für Frankreich, sondern auch für die internationale Ordnung schlecht war. Die nachfolgenden französischen Regierungen versuchten der Außenpolitik de Gaulles nachzueifern. Aber Mut und Ausdauer reichten nicht, um sich dem übermächtigen Amerika ernsthaft zu widersetzen. Trotzdem kam es immer wieder zu Nadelstichen gegen Washington, die sich jedoch nie zu einer ernsthaften Krise ausweiteten. So werfen sich z. B. Franzosen und Amerikaner gegenseitig vor, daß die jeweils andere Seite ihre Wirtschaft und Industrie ausspioniert. Hin und wieder werden auch schon mal Agenten gefaßt und ausgewiesen. Paris befindet sich auf einem regelrechten Kreuzzug gegen die alles durchdringende amerikanische Popkultur. Die von der Pariser Regierung erlassenen Beschränkungen für audiovisuelle amerikanische Produkte, die in Frankreich gesendet werden dürfen, werden von anderen, an billige US- TV-Serien gewöhnten Europäern eher belächelt als ernst genommen.

Am amerikanischen Wesen soll die Welt genesen

In der Waffenproduktion besteht Frankreich auf einem Höchstmaß an Unabhängigkeit von den USA. Auf internationalen Waffenbasaren, aber auch beim Verkauf von zivilen Flugzeugen und Industrieanlagen zeigt sich Paris als ein äußerst aggressiver Konkurrent für die Amerikaner, der auch vor massiver Bestechung nicht zurückschreckt, wenn es um Großaufträge für die französische Industrie geht. Das hat in Washington wiederholt zu nachhaltiger Verärgerung geführt. Aus der amerikanischen Hauptstadt hört man deshalb seit eh und je den Vorwurf, daß Paris prinzipienlos sei. Frankreich dagegen wirft den Amerikanern vor, nichts als große, aber leere oder scheinheilige Phrasen zu dreschen.

Auch in den Grundprinzipien der Wirtschaftspolitik unterscheidet sich Frankreich stärker von den Vereinigten Staaten als alle anderen EU-Länder. Dem neoliberalen Wirtschaftsdarwinismus der USA setzt Frankreich eine eher etatistische Wirtschaftspolitik mit starken sozialstaatlichen Komponenten entgegen. Es gibt kaum einen Industriezweig, der nicht eng mit der Regierung in Paris zusammenarbeitet. Auch gibt es im Unterschied zu Deutschland in Frankreich nur wenige Antennen für das ökonomische Imponiergehabe von der anderen Seite des Atlantiks, daß am amerikanischen neoliberalen Wesen die Welt genesen soll.

In seiner demonstrativen Unabhängigkeit gegenüber Amerika hat Frankreich bisher aber immer alleine gestanden. Die europäischen NATO-Aliierten haben sich bei französischen außenpolitischen Initiativen, die dem großen transatlantischen Bruder nicht gefielen, im Zweifelsfalle immer auf die Seite Washingtons geschlagen. In der noch zu schaffenden gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die es mit Nachdruck verfolgt, sieht Frankreich eine langfristige Chance, die amerikanische Vorherrschaft über Europa zurückzudrängen. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Rivalität zwischen europäischen und amerikanischen Industrien, besonders auf dem Gebiet der Hochtechnologie. Dieser Entwicklung steht allerdings die Verschmelzung europäisch- amerikanischer Großunternehmen nach dem Muster von Daimler-Chrysler entgegen.

»Die amerikanische Macht und Präsenz ist so überwältigend geworden, daß die Leute anfangen zu reagieren«, schrieb kürzlich William Pfaff aus Paris, und das nicht nur in Frankreich, sondern überall auf der Welt. Als Beleg für diese neue Entwicklung führt er an, daß nun sogar die Japaner gemeinsam mit den Franzosen die Vereinigten Staaten kritisieren. Als kürzlich der japanische Premierminister Paris besuchte, schlug der zudem eine gemeinsame japanisch-europäische Initiative vor, um die außergewöhnlich hohen Schwankungen in den Wechselkursen zu dämpfen und den kurzfristigen spekulativen Kapitalverkehr einzuschränken. Damit griff er eine Idee Frankreichs auf, die allerdings bei der Jahresgipfelkonferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF) Ende letzten Jahres in Washington auf vehementen Widerstand der USA stieß und somit nicht weiter diskutiert wurde.

Theaterdonner für pazifistische Anhänger

Der französische Außenminister Vedrine legte das Ziel seiner Politik wie folgt dar: systematische Bemühungen zur Vertiefung der europäischen Kooperation. An die Adresse der USA gerichtet betonte er die Fortführung der Kooperation im Rahmen der Allianz (NATO), »verbunden in Freundschaft und dem Willen, respektiert zu werden, zugleich aber unter allen Umständen den organisierten Multilateralismus und das Vorrecht des (UNO) Sicherheitsrates zu verteidigen.«

Frankreichs Außenpolitik hat also eine klare und mutige Position gegen die wachsenden hegemonistischen Tendenzen aus Washington bezogen. Dort, jenseits des Atlantiks, ist mittlerweile ein Ausspruch des bekannten Harvard-Professors Sam Huntington (Verfasser des Buches »Kampf der Kulturen«) zum Glaubensbekenntnis in den Politikzirkeln geworden: »Eine Welt ohne die Vormacht der Vereinigten Staaten wäre eine mit mehr Gewalt und Unordnung, weniger Demokratie und Wirtschaftswachstum als die jetzige, in der die USA weiterhin mehr Einfluß als jedes andere Land auf die globalen Entwicklungen haben.« US-Außenministerin Madeleine Albright stimmte kürzlich in diesen Tenor ein, als sie sagte: »Die USA stehen am höchsten und sehen am weitesten«.

Ob Frankreich trotz eines grünen deutschen Außenministers in seiner antihegemonialen Politik auf deutsche Unterstützung hoffen kann, ist fraglich. Bei den Gesprächen mit ihren französischen Kollegen taten sich Kanzler Schröder und Außenminister Joseph Fischer eher schwer. Mit dem amerikahörigen Tony Blair und dem neoliberalen England hinter der Maske der Labour-Party scheinen die Herren schon eher auf einer Wellenlänge zu liegen. Und seit Herr Joseph Fischer in Washington war und Madeleine Albright zu seiner Duzfreundin wurde, kennt man ihn und das, was einmal grüne Außenpolitik sein sollte, ohnehin nicht wieder.