NATO sucht »verschwundene Panzer«
von Rainer Rupp
erschienen am 20.09.1999 in der Jungen Welt
Die »Erfolgsbilanz« der Allianz in Jugoslawien wird von Experten kaum geglaubt
Am Donnerstag letzer Woche war wieder einmal großer Presserummel im NATO-Hauptquartier in Brüssel angesagt. Allerdings kam das dringlichste Problem dabei nicht zur Sprache, nämlich, wie die nationalistischen UCK-Terrroristen daran gehindert werden könnten, unter den Augen der NATO das Kosovo von Serben und Roma ethnisch »rein« zu machen.
Statt dessen war der US-amerikanische Oberbefehlshaber der NATO in Europa, General Wesley Clark, zu einer neuen Rechtfertigungsoffensive angetreten. Der General, der wegen seiner Verbrechen gegen jugoslawische Zivilisten eigentlich vor dem Internationalen Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag stehen müßte, führte diesmal in Brüssel eine Schlacht um die Meinung der Politiker und der Öffentlichkeit in den NATO- Ländern. Zweck der Veranstaltung war es, davon zu überzeugen, daß die US-Luftschläge im Kosovo mit Hochtechnologiewaffen genauso effizient gewesen seien, wie er und die NATO im Frühjahr erklärt hatten. Die Anhänger der Luftkriegsdoktrin hatten nämlich behauptet, Belgrad sei allein unter der Wucht der Luftschläge zusammengebrochen, ohne daß die NATO einen einzigen Soldaten im Kampf verloren habe.
Allerdings haben sich bei vielen Militärexperten Zweifel an der Wirksamkeit der hochentwickelten US-Waffen eingeschlichen. Selbst in den USA sind sie derart gewachsen, daß Clark nun seine Medienoffensive für nötig hielt. Allerdings sah sich der General an besagtem Donnerstag in Brüssel auch zu der Bestätigung gezwungen, daß tatsächlich nur 26 zerstörte serbische Panzer von der NATO im Kosovo gefunden wurden. Aber Clark und die NATO-Führung bestanden weiterhin darauf, daß sie Beweise dafür hätten, daß weitere 93 serbische Panzer durch taktische Luftschläge der NATO zerstört worden seien, was – so nach wie vor die offizielle Lesart der NATO – die Kampfkraft der jugoslawischen Bundesarmee im Kosovo dezimiert hätte. Diese Version steht im krassen Gegensatz zu den in alle Welt ausgestrahlten Bildern, die den Abzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo zeigten. Beobachter konstatierten durchweg, daß das militärische Gerät der jugoslawischen Bundesarmee in gutem Zustand und die Moral der Truppe gut war.
Unter dem Eindruck dieser Bilder erhielten nicht nur die Zweifel an der NATO-Berichterstattung über ihre Kriegserfolge Nahrung, sondern auch die Wirksamkeit der Hochtechnologiewaffen rückte ins Zwielicht, wodurch innerhalb der NATO eine Debatte um die Effizienz der Kriegsführung gegen Jugoslawien entstand. Dabei geht es darum, welche Lehren daraus für den nächsten NATO-Krieg gezogen werden können. Vor diesem Hintergrund hatte Präsident Clinton das US-Kriegsministerium beauftragt, einen »After Action Report« (AA-Bericht) zu erstellen, zur Analyse und Bewertung der Effizienz der Luftkriegsführung. Dieser Bericht hätte eigentlich schon vor Wochen vorliegen sollen. Aber anscheinend hat das Pentagon bei der Bewertung größere Schwierigkeiten.
Vordergründig geht es dabei nur um die Effizienz des taktischen Luftkriegs im Kosovo und nicht um das strategische Bombardement der zivilen und militärischen Einrichtungen in Jugoslawien. Hintergründig steht viel mehr auf dem Spiel; nicht nur Großaufträge an die amerikanische Aerospace- Industrie, nicht nur militärische Karrieren und Rüstungsprofite, die von der Glaubwürdigkeit der Luftschlagdoktrin abhängen, sondern auch das zukünftige militärisch-politische Verhältnis zwischen Europa und den USA wird entscheidend vom Ausgang der Debatte um die Effizienz der Luftschläge bestimmt werden.
Von der Wirksamkeit der 78 Tage dauernden taktischen Luftschläge im Kosovo »zeigten sich westliche Regierungsbeamte und Militärexperten ausgenommen enttäuscht«, berichtete Joseph Fitchett in der »International Herald Tribune« (IHT) vom 17. September. Die Kontroverse schien sich aber vorläufig auf die Beweisführung Clarks und der NATO zu konzentrieren, wo die im Kosovo zerstörten, aber »verschwundenen« Panzer geblieben sind. »Es gehört zur grundlegenden militärischen Lehre, daß man nach dem Kampf das Schlachtfeld aufräumt«, erklärte dazu General John Corley in Brüssel. Er war als Chef eines Schadenseinschätzungsteams ins Kosovo geschickt worden.
Clark schob nach, daß die jugoslawische Armee im Schutz der Nacht die zerstörten Panzer aus dem Kosovo nach Serbien gebracht hätten. Als hätten die Serben nichts Besseres zu tun gehabt, als Schrott nach Hause zu transportieren. Es fällt auf, daß die NATO sich der Argumentationslinie bedient, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein anderes Beispiel dafür: Da sich die NATO sehr schwer tut, die angeblichen Massengräber mit den angeblich vielen Tausenden ermordeten Kosovo- Albanern zu finden, wird ebenfalls behauptet, die Serben hätten die Leichen im Schutz der Nacht wieder ausgegraben und auf Lastwagen nach Serbien verfrachtet. Nun haben sie im Schutz der Nacht auch noch Panzerschrott weggefahren.
Natürlich ist es äußerst peinlich für die NATO-Generäle zuzugeben, daß sie auf die List der jugoslawischen Bundesarmee reingefallen sind und die NATO-Piloten im Kosovo mit Eifer Panzer- und Artillerieattrappen zerbombt haben. So wird z.B. von aufblasbaren Gummipanzern berichtet, die im Inneren mit einer Wärmequelle zur Vortäuschung eines Motors ausgerüstet waren. Die Wärmequelle vermittelte den Infrarotsuch- und Zielerfassungsgeräten der NATO-Piloten das exakte Bild eines Panzers, dessen Zerstörung sie dann nach Hause berichteten. Ebenso gibt es Berichte, daß die jugoslawische Bundesarmee sich im Kosovo erfolgreich langer Plastikfolien bediente, die sie neben real existierenden Brücken über kleine Täler spannten. Aus großer Höhe sahen die Plastikfolien viel stärker nach einer Straßenbrücke aus als die tatsächliche.