Netznutzer: Big brother is watching you
von Rainer Rupp
erschienen am 02.12.1998 in der Jungen Welt
Elektronische Spitzel am Arbeitsplatz sind in den USA Alltag
Ein Arbeitsplatz am Computer? So nebenbei schon mal schnell eine E-Mail an Freunde geschickt; zur Ablenkung kurz ein Spiel auf den Bildschirm geholt oder über das World Wide Web die letzten Sportergebnisse abgefragt? Wenn der Chef ins Büro kommt, genügt ein Tastendruck, und auf dem Monitor erscheint wieder blitzschnell das Schriftstück oder die Tabelle, an der man gerade gearbeitet hat. Amerikanische Managementberater behaupten, daß so den Unternehmen jährlich Milliarden Dollar verloren gehen.
Deshalb soll in Zukunft Schluß sein mit derlei profitmindernden Sabotageakten in der Arbeitswelt. Schon heute steht in vielen amerikanischen Firmen ein virtueller Spitzel der Bosse hinter den Angestellten und schaut diesen, ohne daß sie es wissen, bei ihrer Arbeit über die Schulter. Jede nicht zur Arbeit gehörende Operation am Keyboard wird registriert und – je nach Aufwendigkeit der Installation – dem Chef sofort gemeldet.
Eine Reihe von US-Firmen haben sich auf die Entwicklung dieser Art von Software spezialisiert. So brachte z. B. die Firma Tech Assist Inc. vor einem Jahr ihr »Desktop Surveillance« auf den Markt, das sich großer Nachfrage erfreut. Heimlich installiert, entgeht dem 55 Dollar teuren Programm keine Operation des Angestellten an seinem PC. Vorbei mit dem schnellen unbemerkten Abstecher ins WWW. Bei vernetzten Systemen meldet das Programm jede Abweichung sofort dem Computer im Chefbüro. Ansonsten lassen sich die »Vergehen« der Angestellten ohne deren Wissen nach Ende der Arbeitszeit auf deren PCs abrufen.
Bei der Präsentation einer verbesserten Version ihrer Spitzelsoftware berichtete kürzlich Tech Assist von einem erstaunlich breiten Kundenspektrum. Verkauft wird nicht nur an große Unternehmen und Organisationen, sondern auch an Privatleute. Zu den Kunden gehören sowohl FBI und Staatsanwaltschaften als auch mißtrauische Eheleute, die kontrollieren wollen, mit wem ihr(e) Partner(in) per Computer in Verbindung steht.
Diese Art der Technologieanwendung ist Teil einer schnell wachsenden Branche, mit deren Hilfe immer mehr US- Firmen ihre Angestellten systematisch überwachen, um mehr aus ihnen und ihrer Arbeitszeit herauszuholen. So berichtete z. B. Mitte November die »Washington Post«, daß es mittlerweile für viele US-Personalmanager zur Routine geworden ist, persönliche E-Mails und Telefongespräche ihrer Angestellten am Arbeitsplatz mitzulesen und mitzuhören. Der Arbeitsplatz gehört dem »Arbeitgeber«, und der Schutz der Privatsphäre gilt dort nicht. Andere Unternehmen haben in Büros und Aufenthaltsräumen Videokameras installiert, um die Bewegungen ihrer Angestellten auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Wieder andere tun das mit Hilfe elektronischer Schleusen und Pässe, die die Angestellten bei sich tragen müssen. Die Zigarettenpause um einige Minuten überzogen, ein privater »Besuch« bei einem Freund in einem anderen Büro – alles wird registriert. Eine Computerfirma verkauft sogar Software an Krankenhäuser und Restaurants, die dem Management erlaubt festzustellen, wie oft sich die Angestellten auf die Toilette begeben.