Ratlos in Skopje

Ratlos in Skopje

von Rainer Rupp

erschienen am 08.05.20001 in der Jungen Welt

NATO und EU fordern Mazedonien zur Zurückhaltung bei Kampf gegen Sezession auf

Interview: Siehe auch Interview

Die Rechnung der mazedonischen UCK scheint aufzugehen. Die zunehmenden Opfer unter der Zivilbevölkerung bei der derzeitigen Regierungsoffensive werden die ethnischen Fronten in Mazedonien nur noch weiter verhärten. In Skopje bestätigte am Sonntag Annick Bouvier vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) die Version der mazedonischen Regierung, daß die »Nationale Befreiungsarmee« (UCK) Hunderte von Bewohnern der Dörfer, in denen sie sich verschanzt hat, als Geiseln und lebende Schutzschilde gewaltsam festhält. Dabei folgt die Untergrundgruppe dem bereits im Kosovo bewährten UCK- Rezept. Während die Offensive der Regierungstruppen weitergeht, setzt die UCK auf das Mitleid der Weltöffentlichkeit für die unschuldigen Opfer, die sie der mazedonischen Regierung anlastet.

Als eine Delegation des IKRK die mehrheitlich von Albanern bewohnten Dörfer in der Umgebung von Kumanovo besuchte, fand sie in den Kellern der Häuser »erschöpfte und verängstigte Menschen«, deren hygienische Lage »sehr prekär war«. Das IKRK zeigte sich besonders wegen des anhaltenden Beschusses durch Artillerie, Panzer und Kampfhubschrauber besorgt.

Unterdessen forderten die Kämpfe weitere Opfer. Nach jüngsten Meldungen sind am Sonntag drei weitere mazedonische Soldaten schwer verletzt worden, nachdem ihr Fahrzeug auf eine von UCK-Sezessionisten gelegte Mine fuhr. Die mazedonische Armee berichtete unterdessen am Montag, bei den Auseinandersetzungen der letzten Tage 20 UCK- Angehörige getötet zu haben. Die UCK gibt an, in dem bereits vor einem Monat umkämpften Gebiet um die Stadt Tetovo zur Entlastung ihrer Kämpfer bei Kumanovo eine zweiten Front eröffnet zu haben. Ohne massive Unterstützung aus dem Kosovo wäre die mazedonische UCK dazu nicht fähig.

Daß enge Verbindungen zwischen der UCK im Kosovo und der mazedonischen UCK bestehen, mußte jüngst sogar die NATO aus einem Bericht des eigenen militärischen Nachrichtendienstes zur Kenntnis nehmen. Ausgerechnet in die von der NATO gegründete und von den USA und Deutschland bezahlte UCK-Nachfolgeorganisation, das sogenannte Kosovo-Schutzkorps (KSK), wiesen die Verflechtungen mit der mazedonischen UCK. Unter dem Druck der NATO hat Agim Ceku, ehemaliger militärischer Chef der UCK im Kosovo und heute Kommandant des KSK, jetzt 14 seiner Mitarbeiter gefeuert.

In Mazedonien dagegen ist der NATO und EU die Kontrolle über die albanischen Terroristen entglitten. Anders als seinerzeit im Kosovo, als Belgrad an allem die Schuld zu tragen hatte, kann der Westen nicht einfach Skopje verantwortlich machen, denn die mazedonische Regierung hat sich längst der neuen Weltordnung unterworfen. Im Gegenzug erwartet sie Unterstützung. Die hat der mazedonische Präsident Boris Trajkovski bei seinem jüngsten Besuch in Washington erbeten und sich zugleich die Genehmigung für die laufende Regierungsoffensive gegen die UCK eingeholt.

Sollte es in Mazedonien, durch das der NATO-Nachschub ins Kosovo fließt, tatsächlich zu einem Flächenbrand kommen, würde es der NATO sehr schwer fallen, nicht darin verwickelt zu werden. Eine Politik der strikten Nichteinmischung würde aller Welt signalisieren, daß auf die USA und die NATO im entscheidenden Moment kein Verlaß ist. Nicht verwunderlich also, daß NATO und EU ernsthaft besorgt sind, zwischen die Fronten zu geraten. Der EU-Sicherheitsbeauftragte Javier Solana und NATO-Generalsekretär Lord Robertson – beide wegen ihrer Rolle beim Angriffskrieg gegen Jugoslawien von internationalen Völkerrechtsexperten der Kriegsverbrechen beschuldigt – kamen am Sonntag abend erneut zum Krisenmanagement in die mazedonische Hauptstadt Skopje.

Doch EU und NATO sind ratlos. Angesichts der Gewaltaktionen der albanischen Extremisten stehen sie wie der Zauberlehrling da, der längst die Kontrolle über die bösen Mächte verloren hat, die er rief. Ihre Warnungen an die mazedonische Staatsführung, nicht den Kriegszustand auszurufen, wirken hilflos. Dem entgegen steht etwa Hysni Shaqiri. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der »Demokratischen Partei der Albaner« (DPA) hat kürzlich das Parlament verlassen, um mit der UCK zu kämpfen. Aus seinem Versteck erging sein Aufruf, daß »jeder ethnische Albaner die Pflicht hat, das Gewehr in die Hand zu nehmen und so das Problem zu lösen«.