Schlappe für den CIA-Chef

Schlappe für den CIA-Chef

von Rainer Rupp

erschienen am 28.08.1999 in der Jungen Welt

Rechtfertigung der US-Regierung für Bombardierung einer Medikamentenfabrik im Sudan angezweifelt

Ein Jahr, nachdem die USA mit 13 Cruise Missiles die pharmazeutische Fabrik El Shifa in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zerstört haben, mehren sich auch innerhalb der amerikanischen Administration ernsthafte Zweifel an der offiziellen Rechtfertigung Washingtons für diesen staatsterroristischen Akt. Wie von unabhängiger Seite von Anfang an behauptet, hat die Fabrik scheinbar nichts anderes als Medikamente für den sudanesischen Bedarf hergestellt.

Unmittelbar nach dem nächtlichen Raketenangriff auf El Shifa, bei dem ein ziviler Wächter getötet wurde, hatte US-Präsident William Clinton vor der Presse behauptete, unumstößliche Beweise dafür zu haben, daß in der Fabrik das tödliche VX-Nervengift für die chemische Kriegsführung hergestellt würde. Besonders gefährlich sei dabei, daß der saudi-arabische Multimillionär und mutmaßliche Islamistenführer Osama bin Laden hinter der Giftgasproduktion stecke. Eben jener bin Laden, auf dessen Ergreifung Washington fünf Millionen Dollar ausgesetzt hat, weil er für die verheerenden Bombenattentate auf zwei US-Botschaften in Kenia und Tansania vor einem Jahr verantwortlich gemacht wird. Dabei waren über 200 Menschen, darunter zwölf US- Amerikaner, getötet worden.

Als Vergeltung nahmen sich die USA das Recht heraus, auf Verdacht zwei souveräne Länder mit Raketen anzugreifen. Neben dem Sudan galt der zweite Angriff mit insgesamt 66 Cruise Missiles mehreren angeblichen Ausbildungslagern der Anhänger von bin Laden in Afghanistan. Wie viele Menschen dabei getötet wurden, ist bis heute nicht bekannt.

Seinerzeit hatte sich die Regierung in Washington über die internationalen Proteste hinweggesetzt. Die amerikanische Öffentlichkeit jubelte, hatte man es doch den vermeindlich Bösen wieder mal gezeigt. Und alles wäre längst vergessen, wenn nicht der in Großbritannien ausgebildete saudi-arabische Eigentümer der pharmazeutischen Fabrik im Sudan, Salaheddin Idriss, ein weltgewandter Mann wäre. Er nahm sich einen guten amerikanischen Anwalt und klagte in den USA auf Schadensersatz für sein zerstörtes Unternehmen. Prompt kamen die Herrschaften in Washington ins Schwimmen.

Zusätzlich zum Raketenangriff auf seine Fabrik hatte Washington die Konten von Idriss bei der Bank von Amerika wegen seiner angeblichen Verwicklung in den internationalen Terrorismus sperren lassen. Da die US-Regierung aber keinen Beweis für diese Anschuldigung erbringen konnte, sah sie sich gezwungen, die Konten wieder freizugeben, womit sie implizit bereits eingestand, nicht nur den falschen Mann verfolgt, sondern auch die »falsche« Fabrik zerstört zu haben.

In dem Rechtsstreit mit Idriss dürfte es der US-Regierung angesichts der nun bekannt gewordenen Tatsachen schwerfallen, die Rechtmäßigkeit ihres Angriffs nachzuweisen. Dabei ist zu beachten, daß internationales Recht und Völkerrecht für die amerikanische Justiz in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. – Offizielle Erklärungen bekräftigen immer wieder die Auffassung der USA, daß internationales Recht nur für andere Staaten gemacht sei. Denen sei aber das US-amerikanische, »das beste Rechtssystem der Welt«, haushoch überlegen. Folglich braucht sich Washington nicht nur nicht an internationales Recht zu halten, die USA nehmen sich ihrerseits das Recht heraus, ihre Rechtsnormen und -sprüche extraterritorial auf andere Länder und Regionen unilateral anzuwenden.

Bei der Schadensersatzforderung des El-Shifa-Eigentümers vor einem US-Gericht geht es also nicht darum, ob Washington gegen internationale Gesetze verstoßen hat, zur Entscheidung steht lediglich, ob in der Fabrik tatsächlich Giftgas produziert wurde. Wenn nicht, dann war auch aus amerikanischer Sicht der Angriff nicht rechtmäßig, folglich muß Schadensersatz gezahlt werden.

Anfang der Woche meldete die »Washington Post«, hochrangige Mitglieder der Clinton-Administration hätten eingestanden, daß die Fabrik »tatsächlich Medizin hergestellt hat«. Außerdem hätten sie zugegeben, daß »es gut möglich sei, daß das Unternehmen überhaupt keine chemische Waffen hergestellt hat«. »Zumindest nicht zum Zeitpunkt des Raketenangriffs«, beeilt man sich hinzuzufügen.

Laut Washington Post hatten die für Chemiewaffen verantwortlichen CIA-Experten vor dem Raketenangriff auf El Shifa die Giftgas-Hypothese der Regierung angezweifelt. »Sie hatten noch mehr Zeit für Tests gefordert, bevor sie mit ziemlicher Sicherheit sagen könnten, ob in der Fabrik eine Schlüsselkomponente für das tödliche VX-Nervengas hergestellt würde oder nicht«, berichtet die Zeitung.

Die Bezeichnung der in Frage kommenden Schlüsselkomponente ist EMPTA. Nach Angaben eines hochrangigen US- Regierungsbeamten kommt diese chemische Substanz nicht in der Natur vor. Der »zwingende Beweis« des US-Präsidenten stellte eine Bodenprobe dar, die von einem CIA-Agenten in einer geheimen Mission in der Nähe der Fabrik gesichert worden war. Diese Bodenprobe soll eine hohe Konzentration von EMPTA enthalten haben.

So einfach konnte daraus die politisch gewünschte Schlußfolgerung aber nicht gezogen werden. »Ende Juli letzten Jahres stellten die CIA-Chemiker in einem dreiseitigen Bericht kritische Fragen zur Glaubhaftigkeit der Bodenprobe und zweifelten an, ob sie überhaupt einwandfreie Rückschlüsse erlauben würde.« Interviews von Mitarbeiter der US- Geheimdienste, auf die sich die Post beruft, besagen auch, daß sich das Vorhandensein einer hohen Konzentration von EMPTA in einer Bodenprobe, die von außerhalb der Fabrik stammt, schlecht erklären läßt: »EMPTA ist eine viskose Substanz, die nicht flüchtig genug ist, um zu verdampfen (um sich dann anderswo wieder niederzuschlagen – R.R). Auch ist es unwahrscheinlich, daß die Substanz vom Abwassersystem der Fabrik herausgespült wurde, um dann außerhalb an der Oberfläche der Umgebung wieder abgelagert zu werden.« Fragen wurden auch laut, die die Glaubwürdigkeit des CIA-Agenten in Frage stellten, der die Bodenproben beschafft hatte. Beamte der Geheimdienste verneinten Berichte, wonach der Agent Ägypter oder Agent des ägyptischen Nachrichtendienstes ist. Der Mann sei glaubwürdig und habe einen Lügendetektortest bestanden, hieß es von Vertretern der Geheimdienste.

Fest steht auf jeden Fall, daß die CIA-Chemiker auf Grund vieler offener Fragen ihre Zweifel an dem politisch gewünschten Ergebnis hatten und weitere Bodenproben von El Schifa verlangten, bevor sie eine endgültige Antwort geben wollten. Davon erwähnte George Tenet, der Direktor der CIA, allerdings nichts, als er am 17. August 1998 den Präsidenten und seinen Sicherheitsrat über die nachrichtendienstliche Beweislage informierte. Drei Tage später zerstörten US-Raketen die einzige pharmazeutische Fabrik des Sudan.