»Schuld ist nur die UNO«

»Schuld ist nur die UNO«

von Rainer Rupp

erschienen am 02.09.1999 in der Jungen Welt

Kosovo: US-Diplomat Holbrooke entlastet sich selbst und die NATO

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte Anfang der Woche in New York die Gewalt gegen Angehörige von Minderheiten im Kosovo. Die anhaltenden Übergriffe gegen Serben, Roma und Angehörige der Kosovo-Truppe (KFOR) gäben »Anlaß zur Sorge« und müßten sofort beendet werden, hieß es in einer Erklärung des Rats.

Gegen die brutale ethnische Säuberung durch die »Kosovo- Befreiungsarmee« (UCK) kann die UNO jedoch wenig tun. Die Vereinten Nationen sind mit der zivilen Verwaltung der serbischen Provinz beauftragt. Der soll auch die zivile internationale Polizeitruppe unterstehen. Ihre Stärke soll sich auf vier- bis fünftausend Mann belaufen. In letzter Zeit vermehren sich Hinweise, wonach man in der NATO von dieser leicht bewaffneten UN-Polizeitruppe das erwartet, was die über ein Dutzend Mal stärkere und schwer bewaffnete KFOR nicht schafft oder will. Es werden Vorbereitungen getroffen, um die Schuld für die fatalen Fehler der NATO und die Unfähigkeit der KFOR auf die Vereinten Nationen abzuschieben.

So zielen die jüngsten Erkärungen von Richard Holbrooke, seit Mittwoch vergangener Woche neuer US-Botschafter bei der UNO (AP-Foto: rechts), in diese Richtung. Die bevorstehende Polizeiaufgabe der UNO nannte er dieser Tage bei seiner Kosovo-Visite den »letzten Test der Wirksamkeit der Vereinten Nationen« als Instrument der Konfliktbewältigung. Dabei versucht sich der ehemalige US- Chefunterhändler für den Balkan, auch persönlich einen Persilschein auszustellen. Er hatte US-Präsident William Clinton empfohlen, den Bombenkrieg zu beginnen. Sein Argument: Schon nach wenigen Tagen würde die jugoslawische Regierung das Handtuch werfen und sich den Forderungen der atlantischen Kriegsgemeinschaft fügen. Holbrooke ist somit nicht nur einer der Hauptschuldigen für den Angriffskrieg gegen Jugoslawien, seine vielen konservativen Kritiker in den USA machen ihn auch dafür verantwortlich, daß die NATO übereilt, konzeptionslos und ohne klare Vorstellungen über die Nachkriegsordnung das Prestige des atlantischen Bündnisses aufs Spiel gesetzt hat.

Insbesondere die Amerikaner glauben, daß sie die UCK langfristig auch weiterhin für ihre strategischen Ziele auf dem Balkan einsetzen können. Das ist ein Grund, weshalb die NATO bisher mit äußerster Zurückhaltung auf jede Herausforderung der militärischen und zivilen Autorität der KFOR und der UN-Mission für das Kosovo (UNMIK) reagiert hat. In Anbetracht der anhaltenden UCK-Morde, Gewalttaten und ethnischen Säuberungen wird jedoch deutlich, daß die NATO ihr terroristisches Ziehkind längst nicht mehr unter Kontrolle hat. Nach Auskunft des Leiters der für die deutschen Kosovo- Polizeibeamten zuständigen Arbeitsgruppe, Polizeiinspekteur Ulrich Dugas, werden im Durchschnitt allein in Pristina binnen 24 Stunden fünf Morde verübt. Auf das Jahr hochgerechnet entspreche dies, so Dugas, einer Mordrate von 256 pro 100 000 Einwohnern – in Johannesburg liege die Zahl bei 56, in New York bei zehn und in Frankfurt am Main bei vier.

Vor Ort sind bislang 800 ausländische Polizeibeamte. Für die Untersuchung von Mordfällen ist eine richtige Ermittlungsarbeit sicher sehr wichtig. Weitere Morde und Vertreibungen können jedoch die schwachen UNO-Polizeikräfte nicht verhindern, denen Holbrooke gerne die Verantwortung für die Sicherheit der ethnischen Minderheiten und der nicht UCK-konformen Kosovo- Albaner aufbürden möchte. Mit Ausnahme der UCK bestreitet niemand, daß das Kosovo nach wie vor ein Teil Jugoslawiens ist.

In der Frage, welches Recht im Kosovo herrscht, hat sich die »Befreiungsarmee« allerdings gegenüber UNMIK durchgesetzt. Die UNO-Mission wollte ursprünglich jene jugoslawischen Gesetze beibehalten, die den internationalen Rechtsnormen entsprechen. Kosovo-albanische Juristen und Anwälte wollten dagegen jene albanischen Gesetze wieder einführen, die vor 1989 in der selbstverwalteten autonomen Provinz erlassen wurden. Als die UNMIK nicht zustimmen wollte, drohten die albanischen Mitglieder, den gemeinsamen juristischen Beratungsauschusses zu boykottieren. Kouchner schlug daraufhin vor, neue Gesetzestexte zu schreiben, die indes die Bedingungen des Kosovo-Abkommens mit Jugoslawien unterminieren, wonach die Provinz weiterhin Bestandteil Serbiens ist.

Dazu gehört auch der UNMIK-Plan, zum 1. September an den Grenzen des Kosovo – mit Ausnahme derer zu Serbien – 25 Zollstellen zu errichten und Abgaben auf Importe einzutreiben. Außerdem sollen alle internationale Währungen als offizielles Zahlungsmittel im Kosovo zugelassen werden. De facto wird das die bisher so gut wie unangefochtene Herrschaft der DM im Kosovo zusätzlich festigen.