Sowjetische Kofferbomben in den USA?
von Rainer Rupp
erschienen am 30.10.1999 in der Jungen Welt
Neue Episode aus den Mitrochin-Papieren. US- Kongreßabgeordnete schüren Angst
Am vergangenen Dienstag griff der US- Kongreßabgeordnete Curt Weldon, Republikaner aus Pennsylvania, bei einer Anhörung im Kongreß in aller Schärfe die Clinton-Regierung an. Diese hätte es versäumt, Rußland zur Kooperation beim Aufspüren der koffergroßen Atombomben zu bewegen, die noch in Zeiten des Kalten Krieges von der Sowjetunion an verschiedenen Stellen in den USA versteckt worden seien.
Unterstützt wird Weldon von dem demokratischen Abgeordneten James Oberstar aus Minnesota, wo einige der Bomben liegen sollen. Beide hatten auf ihre Anfrage nach den Bomben an Außenministerin Madeleine Albright noch keine Anwort bekommen. Die etwas stark nach James Bond riechende Geschichte beruht auf Berichten, die aus den KGB-Archiven in Moskau stammen und in denen geheime Waffenlager erwähnt sein sollen, die die Sowjets in Europa und in den USA angelegt hätten, u.a. mit fernzündbaren Atomsprengköpfen in Koffergröße.
Da im letzten Winter in der Schweiz und in Belgien bereits zwei Waffenverstecke gefunden worden seien, die in den aus den KGB-Archiven stammenden Papieren gekennzeichnet gewesen wären, müßte man – so die beiden Kongreßabgeordneten – davon ausgehen, daß auch die Archiv-Angaben über die auf amerikanischem Boden versteckten sowjetische Atomwaffen stimmten. Die Unterlagen stammen von Wassili Mitrochin, einem ehemaligen Archivar des KGB, der sich über viele Jahre in eifriger Kleinarbeit an seinem streng geheimen Arbeitsplatz Notizen gemacht und diese nach Hause geschmuggelt hatte. Mit diesen Notizen als Startkapital hatte er sich vor einigen Jahren in den Westen abgesetzt, wo er von den entsprechenden Diensten mit offenen Armen empfangen wurde.
Um die Mitrochin-Papiere rankt sich manche Legende, aber sie sind sicherlich nicht ganz ohne Substanz. Sie dienten u. a. zur jüngsten Enttarnung einiger älterer und längst pensionierter britischer Bürgerinnen und Bürger, die früher als überzeugte Kommunisten für den KGB gearbeitet hatten. Auch der gegenwärtige »Geheimdienstskandal« in Italien, bei dem Namenslisten zirkulieren, soll auf die Aufzeichnungen des Herrn Mitrochin zurückgehen. Dabei werden Hunderte von angesehenen Bürgern aus Politik und Wirtschaft verdächtigt, früher für den KGB gearbeitet zu haben, was die Betroffenen vehement zurückweisen.
Auszüge aus den Mitrochin-Aufzeichnungen sind im September in dem Buch von Christopher Andrew »Schild und Schwert – das Mitrochin-Archiv und die geheime Geschichte des KGB« erschienen. Darin sollen u. a. mit relativ großer Genauigkeit zwölf mit Sprengfallen gesicherte Standorte von in Westeuropa angelegten Verstecken mit Explosivstoffen und anderen Ausrüstungsgegenständen aufgeführt sein.
US-Kongreßabgeordneter Weldon erklärte während der Anhörung, daß FBI-Direktor Louis Freeh in einem Gespräch in der letzten Woche die Existenz solcher Verstecke auch in den USA für möglich hielt. Von Atombombenkoffern war allerdings nicht die Rede gewesen.